- Jahrelang testieren Wirtschaftsprüfer von EY den Jahresabschluss des Skandalunternehmens Wirecard.
- Warum fällt der mutmaßliche Milliardenbetrug so lange nicht auf?
- Im Bundestag müssen sie sich harten Vorwürfen stellen.
Sie flogen auf die Philippinen, um Belege für dubiose Konten zu suchen, wiesen Testüberweisungen in Millionenhöhe an - trotzdem sind die Wirtschaftsprüfer von EY mit dem Vorwurf konfrontiert, im Fall Wirecard nachlässig gehandelt und Pflichten verletzt zu haben.
Zehn Jahre lang hatte EY die Bilanzen des damals aufstrebenden Fintechs uneingeschränkt abgesegnet - bis zum vergangenen Sommer, als der mutmaßliche Milliardenbetrug aufflog. Am Freitag mussten sich die Prüfer im Untersuchungsausschuss des Bundestags rechtfertigen. "Bei Wirecard wurden wichtige Grundsätze des Prüfer-Einmaleins nicht beachtet", warf der Finanzpolitiker der Grünen, Danyal Bayaz, ihnen dabei vor.
Christian Orth, 51 Jahre alt, Wirtschaftsprüfer und Leiter der Qualitätssicherung bei EY, wies das im Bundestag zurück. Alle bei EY hätten sich gewünscht, diesen Betrug früher aufzudecken, sagte er. "Es ist am Ende des Tages Straftätern mit hoher krimineller Energie gelungen, uns alle zu täuschen."
EY rechtfertigt sein Vorgehen: Sind "nicht die Kriminalpolizei"
Doch Orth berichtete auch, die Prüfer hätten es jahrelang nicht für nötig gehalten, eine Bestätigung der Banken für die Existenz von Treuhandkonten in Asien einzuholen. Stattdessen habe man sich bis zum Jahre 2020 auf die Bestätigung der Treuhänder verlassen. "Das Prüfungsteam ist davon ausgegangen, angemessene und ausreichende Prüfungsergebnisse zu haben", sagte er.
Auch der frühere EY-Deutschland-Chef Hubert Barth rechtfertigte das Vorgehen. Man könne zwar viel aufdecken, sei aber nicht die Kriminalpolizei, sagte er. Barth hat inzwischen seinen Posten an der Spitze von EY geräumt.
Auf die Frage, ob die Wirtschaftsprüfer Fehler gemacht hätten, antwortete er, die Mitarbeiter hätten nach bestem Gewissen geprüft und sich an die bei EY geltenden Standards gehalten. Auch er selbst habe sich nichts vorzuwerfen.
Abgeordnete reagieren ungläubig
Die Abgeordneten reagieren ungläubig. Alles deute darauf hin, dass die Treuhandkonten nicht ausreichend geprüft wurden, sagte der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar. "EY hat sich über Jahre hinweg mit dem wenigen abspeisen lassen, was Wirecard bereit war anzubieten."
Für die Wirtschaftsprüfer von KPMG dagegen, die ein Sondergutachten zu Wirecard schrieben, war eine Bankbestätigung selbstverständlich. "Nur der Hartnäckigkeit von KPMG ist zu verdanken, dass der große Schwindel aufgedeckt wurde", sagte der SPD-Finanzpolitiker Jens Zimmermann. EY dagegen habe sich hinter technischen Prüfungsregeln verschanzt und sich von schlecht gefälschten Dokumenten täuschen lassen.
Orth betonte im Ausschuss, nach damaliger Rechtslage sei die Bestätigung der Bank nicht notwendig gewesen. "Diese Haltung war seinerzeit vertretbar", heute - im Lichte des Skandals - schätze man das womöglich anders ein.
1,9 Milliarden Euro existierten wohl nicht
Durch die Treuhandkonten in Asien sah es so aus, als würden Drittpartner der Wirecard AG offene Rechnungen per Überweisung bezahlen und auf diesen Konten zwischenparken - tatsächlich existierten die 1,9 Milliarden Euro aber wohl nicht. Das Geschäft mit den Treuhandkonten sei der Schlüssel für den großen Bilanzskandal gewesen, sagte der Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk von der AfD.
Erst als die Konten von Singapur auf die Philippinen verlagert wurden, sei bei ihm "der Feueralarm" angegangen, sagte Orth. Als angeforderte Testüberweisungen ausblieben, hätten die Wirtschaftsprüfer im Frühjahr 2020 Kontakt mit den Bankvorständen aufgenommen. Diese hätten schließlich bestätigt, dass die Konten nicht existierten. Daraufhin verweigerte EY das Testat für den Jahresabschluss 2019.
Nach Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft waren die Bilanzen des Zahldienstleisters aber spätestens seit 2015 manipuliert. Wirecard war ein Dienstleister für bargeldlose Zahlungen an der Schnittstelle zwischen Händlern und Kreditkartenfirmen.
Manager Jan Marsalek ist auf der Flucht
Das Fintech spielte in der obersten deutschen Börsenliga - und machte den Wirtschaftsprüfern offenkundig jahrelang etwas vor. Im Sommer räumte Wirecard ein Bilanzloch von 1,9 Milliarden Euro ein und meldete Insolvenz an. Tausende Anleger verloren Geld, Vorstandschef Markus Braun wurde festgenommen, Manager Jan Marsalek ist auf der Flucht.
Monate, bevor der Skandal aufflog, hatte es bereits Hinweise und Berichte über Unregelmäßigkeiten bei Wirecard gegeben. Vor diesem Hintergrund sieht Fabio De Masi, der Finanzpolitiker der Linken, "Anzeichen für grobe Pflichtverletzungen" bei EY. "Sie haben Milliardenbeträge auf Treuhandkonten nicht überprüft", sagte er.
Auch Bayaz kritisierte: "Wenn Milliarden auf Treuhandkonten nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden können, muss das in einem Testat thematisiert werden." Der Unions-Abgeordnete Matthias Hauer hält die Prüfung ebenfalls nicht für ausreichend. Im Jahr 2020 habe EY dann ja auch andere Mittel eingesetzt, die letztlich zur Insolvenz von Wirecard geführt hätten. "Warum nicht schon früher?", fragte Hauer.
Wirecard-Blase platze erst 2020
Erst 2020, nach einer Reise nach Manila, fehlgeschlagenen Testkäufen und dem KPMG-Sondergutachten platzte die Wirecard-Blase. Als die Banken ihnen mitgeteilt hätten, dass die Konten nicht existierten, habe EY unverzüglich die Finanzaufsicht Bafin informiert und mit dem Aufsichtsrat telefoniert, sagte Orth.
Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann habe mehrfach nachgefragt, ob sich EY sicher sei - und gewarnt, "dass wir damit dem Unternehmen den Stecker ziehen". Am Donnerstag hatte Eichelmann im Untersuchungsausschuss ausgesagt, er selbst habe das Drittpartnergeschäft von Wirecard in Asien nie verstanden - sonst hätte er ja gemerkt, dass es nicht da sei. Er habe sich darauf verlassen, dass etwas, das zehn Jahre lang geprüft werde, auch existiere.
Und wie reagierte Wirecard-Chef Markus Braun auf die Aufdeckung des Skandals? Auch das beschrieb Orth im Ausschuss: Er habe sehr ungläubig gewirkt, von einem riesengroßen Missverständnis gesprochen und schließlich gesagt: "Herr Orth, Sie glauben doch nicht, dass ich mir zwei Milliarden Euro stehlen lasse." © dpa
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