Seit Monaten werden in der deutschen Industrie massiv Jobs abgebaut. Im Finanzsektor hat die Deutsche Bank im Zuge ihres geplanten Konzernumbaus die Streichung von 18.000 Stellen angekündigt. Vielen Menschen verlieren im Moment ihren Arbeitsplatz, andere bangen um ihren Job. Sind die fetten Jahre vorbei?
In den letzten vergangenen Jahren hat sich in Deutschland die Zahl der Arbeitslosen halbiert. Dieser Trend scheint vorerst vorbei zu sein.
Im Finanzsektor wie auch in der deutschen Industrie werden seit Monaten massiv Jobs abgebaut und weitere Stellenstreichungen angekündigt.
Bei der Deutschen Bank ist jede fünfte Stelle betroffen. Bei VW sollen bis 2023 7.000 Stellen wegfallen. BASF streicht 3.000 Stellen, Bayer 4.500. Siemens plant im Zuge seiner Neuordnung die Streichung von 10.000 Arbeitsplätzen, will aber bis 2023 an anderer Stelle rund 20.000 neue Jobs schaffen.
Große ausländische Arbeitgeber wie Ford und Unicredit streichen auch in Deutschland Tausende von Jobs. Der Arbeitsmarkt wird also kräftig durcheinandergewirbelt, denn andererseits gibt es in Deutschland noch immer einen Fachkräftemangel und vor allem kleinere bis mittlere Unternehmen suchen händeringend Mitarbeiter.
Warum gibt es derzeit so viele Entlassungen?
Der Bankensektor hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gewandelt, weg von den Filialen hin zu Online-Banking, Apps und digitalen Diensten. Aber auch interne Fehlentscheidungen haben so manche Bank in Schieflage gebracht.
Bei den Automobilkonzernen haben der Dieselskandal und der Umstieg vom Verbrennungs- zum Elektromotor Spuren hinterlassen. Exportorientierte Unternehmen haben nicht zuletzt mit den Handelskonflikten und auch mit den Querelen rund um den Brexit zu kämpfen.
Bundesagentur für Arbeit bleibt gelassen
Detlef Scheele, Leiter der Bundesagentur für Arbeit (BA), gibt Entwarnung. Er sieht keine Anzeichen für eine Krise und spricht anlässlich der aktuellen Statistik der BA für den Monat Juni von einer "ganz normalen konjunkturellen Phase". Ist es wirklich so einfach oder nicht doch Schlimmeres zu befürchten?
In der aktuellen Statistik vom Monat Juni jedenfalls dürften sich die Zahlen noch nicht widerspiegeln, da Stellenstreichungen nicht von heute auf morgen umgesetzt werden.
Allerdings ist auch im Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt der BA für Juni 2019 durchaus von einer konjunkturellen Abschwächung die Rede: "Die deutsche Wirtschaft ist zwar gut in das Jahr 2019 gestartet, die Dynamik dürfte sich aber im zweiten Quartal deutlich abflachen. [...] Der Arbeitsmarkt zeigt sich weitgehend robust, die konjunkturelle Abschwächung wird aber auch hier sichtbar."
Die Einschätzung des Arbeitsmarktforschers
Eine konjunkturelle Abschwächung seit Mitte 2018 sieht auch Prof. Dr. Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik in Freiburg, Direktor des Walter Eucken Instituts sowie seit 2011 einer der fünf Wirtschaftsweisen, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Die Industrie befindet sich in der Rezession, was einer schwachen Auslandsnachfrage geschuldet ist. Sowohl die Exporte in den Euroraum, als auch nach Asien, insbesondere China sind rückläufig."
Weltweit könne man eine Abschwächung des Wachstums beobachten. Für eine Abkühlung in Deutschland sprächen auch verschiedene Signale, die vom Arbeitsmarkt kommen: Die Zahl der offenen Stellen ist rückläufig, Kurzarbeit wird häufiger angemeldet, es gibt einen Abbau der Überstunden und eine ganze Reihe von Unternehmen haben Entlassungen angekündigt.
Kurzfristige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
Die Entwicklung am Arbeitsmarkt läuft der Konjunktur typischerweise hinterher, so Prof. Feld. Am Arbeitsmarkt gibt es im Moment nur erste Anzeichen. Der Stellenabbau wird bei vielen Firmen sozialverträglich ohne betriebsbedingte Kündigungen gestaltet.
Daher schlagen sich die Stellenstreichungen nur zum Teil auf die Arbeitslosigkeit nieder, was andererseits durch die Schaffung von Stellen in anderen Bereichen kompensiert wird, so dass die Arbeitslosenquote nicht signifikant steigt.
Langfristige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
Prof. Feld ist hinsichtlich der langfristigen Entwicklung am Arbeitsmarkt zuversichtlich. "Unabhängig von der Konjunktur wird die Nachfrage nach Arbeitskräften weiter hoch sein. Wir stehen im Moment am Beginn des demographischen Wandels, der ab 2025 so richtig in Gang kommen wird: Viele gehen in Rente, und es kommen nur sehr geburtenschwache Jahrgänge nach, was sich auch durch Migration nicht kompensieren lassen wird."
Was über Digitalisierung und Automatisierung an Stellen verloren geht, wird durch die zusätzliche Nachfrage, die der demographische Wandel mit sich bringt, vermutlich kompensiert. "Wir stehen also vor einer längerfristigen Arbeitsmarktentwicklung, bei der insbesondere qualifizierte, gut ausgebildete Arbeitskräfte knapp sein werden, und darauf müssen sich die Unternehmen einstellen." Das führt laut Feld dazu, dass Arbeitgeber selbst bei nachlassender Nachfrage eher versuchen, ihre Arbeitskräfte zu halten.
Weiterbildung liegt in der gesellschaftlichen und politischen Verantwortung
Auch Prof. Dr. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung rät in einem Interview der Tagesschau, über den kurzfristigen Tellerrand hinauszuschauen: "Sobald wir durch den Abschwung durch sind, werden Mitarbeiter wieder dringend gesucht werden."
Da es gerade bei technischen Fachkräften enorme Engpässe gibt, käme es in erster Linie darauf an, in die Qualifikation und Kompetenzen der Menschen zu investieren. Das liege sowohl in der Verantwortung der Betriebe und Beschäftigten selbst, es sei letztlich aber auch eine gesamtgesellschaftliche und politische Verantwortung, Weiterbildung intensiv zu unterstützen.
Verwendete Quellen:
- Expertengespräch mit Prof. Dr. Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik in Freiburg und Direktor des Walter Eucken Instituts
- Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt der Bundesagentur für Arbeit für Juni 2019
- IAB-Forum: Einschätzung des IAB zur wirtschaftlichen Lage – Juni 2019
- Tagesschau.de: Interview mit Prof. Dr. Enzo Werber
- Der Tagesspiegel: Warum Unternehmen gerade massenhaft Stellen streichen
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.