Die Belastungen für Griechenland durch die Reformen werden immens. Der Kurs der Geldgeber wird zum Teil hart kritisiert. Was wäre, wenn Deutschland so sparen müsste? Könnte Deutschland das? Oder ist ein solcher Vergleich gar nicht möglich?
Der Reformkurs in Griechenland hat begonnen. In der Nacht zum Donnerstag verabschiedete das Parlament in Athen die ersten Gesetzesänderungen. Weitere Sparauflagen müssen folgen. Nur dann sind die Voraussetzungen geschaffen, dass die Geldgeber aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds über ein drittes Hilfsprogramm zu verhandeln bereit sind. Ministerpräsident Alexis Tsipras hatte die Auflagen der Institutionen am Mittwochabend scharf kritisiert. Gleichzeitig hielt er sie für alternativlos. Trotzdem bedeuten die geforderten Maßnahmen harte Einschnitte für das Land.
So soll allein die neue Mehrwertsteuer, die in drei Stufen eingeteilt ist, pro Monat Mehreinnahmen von einer Milliarde Euro einbringen. Für Restaurants und Cateringbetriebe gelten rückwirkend ab 1. Juli Mehrwertsteuersätze von 23 Prozent, Grundnahrungsmittel, Energie und Wasser werden mit 13 Prozent belegt, Arzneimittel mit einem ermäßigten Satz von sechs Prozent. Es sind Forderungen, die die Geldgeber schon seit Jahren gestellt haben, von der Athener Regierung aber immer wieder zurückgewiesen wurden – zuletzt auch von der Bevölkerung, die mit Nein gegen neue Sparauflagen gestimmt hatte.
"Rentenrevolution" in Griechenland
Auch das Rentensystem wird nun reformiert. So musste das griechische Parlament vor Beginn der Verhandlungen um ein Programm im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in einem ersten Schritt die Frührente weitestgehend abschaffen. Außerdem dürfen die zahlreichen Rentenfonds nicht mehr defizitär arbeiten – soll heißen: Ausgezahlt werden darf nur, was auch tatsächlich in der Kasse liegt. Bis Oktober müssen weitere Reformen des Rentensystems folgen. Dazu zählen unter anderem die Abschaffung von Sonder- und Zusatzrenten sowie die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge für Rentner.
Zudem hat die hellenische Volksvertretung nun Zusatzsteuern für Freiberufler beschlossen, für Häuser, Freizeitwägen und Luxusjachten muss künftig mehr entrichtet werden.
Alles in allem, schätzt Arne Heise, Professor für Finanzwissenschaften an der Universität Hamburg, belaufen sich die Einsparungen auf zwei bis vier Prozent der griechischen Jahreswirtschaftsleistung. Zum Vergleich: Deutschland musste für die Wiedervereinigung einen ähnlichen Anteil seines Bruttoinlandsprodukts aufbringen. Damals erhielt die Bundesrepublik Kredite, mit denen sie die Zusatzbelastung abfedern konnte. Und bis heute wird der Solidaritätszuschlag gezahlt.
Deutschland könnte Programm verkraften
Experten warnen davor, die Sparmaßnahmen und Strukturreformen, die Griechenland nun umsetzen muss, um seinen Haushalt zu sanieren und wieder wettbewerbsfähig zu werden, hypothetisch auf andere EU-Staaten zu übertragen. Damit würde eine gefährliche Debatte befeuert, fürchten sie. "Das ist nicht vergleichbar", mahnt auch Heise. Zum einen, weil die deutsche Wirtschaft derzeit ein moderates Wachstum erfährt – in Griechenland verzeichnete die Konjunktur erstmals Ende 2014 leichte Zuwächse, die in den vergangenen Monaten durch den Regierungswechsel und die zähen Verhandlungen wieder zunichte gemacht wurden. Die griechische Wirtschaft droht zu stagnieren. Deutschland würde bei vergleichbaren Sparauflagen "keinen dramatischen Konjunktureinbruch" erleben, meint Heise. Das Land würde solche Maßnahmen "verkraften".
Allerdings wären derartige Einsparungen in Deutschland auch gar nicht nötig. Denn die Bundesrepublik hat einen ausgeglichenen Haushalt, in diesem Jahr wird die schwarze Null geschrieben, ab 2016 gilt die Schuldenbremse, die Mehrausgaben verbietet. Griechenland hat seinen Staatsapparat hingegen über Jahre künstlich aufgepumpt. Das Land verfügt über mehr Beamten als Deutschland, auf 11 Millionen hellenische Einwohner kommen mehr Staatsbedienstete als auf die 82 Millionen Bundesbürger. Löhne und Renten wurden seit dem Beitritt in den Euro massiv erhöht – so stark wie in keinem anderen EU-Land. Zeitgleich stieg die Kreditlast an.
Auch die Mehrwertsteuer lässt sich nur schwer mit deutschen Verhältnissen vergleichen, da die Pflichtabgabe laut Heise hierzulande "auf einem anderen Niveau ist als es in Griechenland je der Fall war". Der ermäßigte Satz von sieben Prozent gilt für Grundnahrungsmittel, Bücher, Zeitungen und Kulturveranstaltungen, 19 Prozent beträgt die normale Umsatzsteuer. Sie spült jährlich Milliarden in die öffentlichen Haushalte und ist mit mehr als 30 Prozent Anteil am Gesamtvolumen die wichtigste Einnahmequelle. Eine Haushaltsgrundlage, die Griechenland fehlt.
Schwarzarbeit ist weit verbreitet
Dazu kommen weitere Probleme in Hellas. Viele Restaurants und Cafés stellen nicht immer oder nur auf Nachfrage Quittungen aus. Schwarzarbeit ist weit verbreitet und drückt die Steuereinnahmen. Selbst mit den neuen Steuersätzen, die die griechische Volksvertretung nun beschlossen hat, bleibt abzuwarten, welche Einnahmen der Staat dadurch gewinnen kann. Ähnlich sieht es mit der Grundsteuer aus: Denn Griechenland verfügt bis heute über kein einheitliches Katasterregister.
Die Reformen, die das Land nun umsetzen muss, beinhalten zudem nicht nur weitere Einsparungen, sondern auch Umstrukturierungen des Arbeitsmarktes, die die Wirtschaft wieder ankurbeln sollen. Außerdem bekommt Griechenland 36 Milliarden Euro ohne Eigenleistungen aus EU-Fördertöpfen. Aus dem Treuhandfonds, der die Privatisierungen der Staatsunternehmen übernehmen wird, sollen weitere 12,5 Milliarden Euro in die Wirtschaft fließen.
"Für Griechenland sind diese Maßnahmen verkraftbar", betont Heise. Zwar werde sich die Stagnation sicher auf ein bis zwei Jahre fortsetzen. Doch die Wirtschaft werde darunter nicht zusammenbrechen – "jedenfalls nicht so, wie das ohne ein drittes Hilfsprogramm der Fall wäre". Die Alternative wäre ein unkontrollierter Zahlungsausfall gewesen – "ein viel schrecklicheres Szenario".
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