Ein Wahlversprechen hat Alexis Tsipras gehalten: die zurückliegenden zwei Monate waren Monate, in denen alles anders wurde. Denn seit seiner Wahl zum neuen griechischen Ministerpräsidenten am 25. Januar hat Alexis Tsipras alles in Frage gestellt, worauf die Eurozone baut. Viel erreicht hat er nicht, der Chef des Linksbündnisses Syriza steht vor einem Scherbenhaufen, sein Land vor dem Bankrott. Es bleibt die Frage: Was hat die Athener Regierung bislang überhaupt erreicht? Ein Zwischenfazit.
Schon vor seinem Sieg tönte Alexis Tsipras, mit ihm werde alles anders. Finanzminister
Sicher, einige seiner Wahlversprechen hat der neue Mann an Athens Spitze bereits in die Tat umgesetzt. So drückte die Regierung noch kurz vor dem Eurogipfel, der in der vorherigen Woche in Brüssel tagte, ein 200 Millionen Euro teures Sozialprogramm durch, das den 300.000 ärmsten Haushalten im Land Gratisstrom und Essensmarken zuspricht – ohne jede Absprache mit den Geldgebern aus der Eurozone. Bedienstete und Beamte, die die Vorgängerregierung unter dem Konservativen Antonis Samaras aus dem völlig aufgeblasenen Staatsapparat entlassen hatte, stellte man kurzerhand wieder ein. Zudem hat der Grieche die von den europäischen Geldgebern geforderten Privatisierungen maroder Staatsunternehmen ein Ende gesetzt und damit bereits interessierte Investoren, etwa aus China im Fall des Hafens von Piräus, verprellt.
Doch diesen Kurs wird der griechische Regierungschef kaum halten können, sagen Experten. "Tsipras hat die Wahlen gewonnen mit dem Versprechen, den europäischen Kurs gegenüber Griechenland zu ändern", sagt Céline-Agathe Caro von der Konrad-Adenauer-Stiftung unserem Portal. "Jetzt merkt er, dass es nicht so leicht ist, alles zu ändern, und, dass die finanzielle Solidarität in der Eurozone nur funktionieren kann, wenn sich alle an den Vereinbarungen der EU-Mechanismen zur Überwindung der Krise halten."
Niemand kennt die genaue Finanzlage Griechenlands
Auch Matthias Kullas vom Centrum für Europäische Politik (cep) in Freiburg meint im Gespräch mit unserem Portal zu den bereits durchgesetzten Reformen: "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen." Zwar werde es wohl schwer werden, das nun verabschiedete Sozialpaket für die Ärmsten des Landes zu stoppen – doch Europa habe auch kein Interesse daran, diese "noch weiter zu belasten". Dennoch gilt das Paket als problematisch, weil die Finanzierung dafür fehlt.
Schon jetzt kann Athen erste Lehrer und Beamten nicht mehr bezahlen. Wie Griechenland die nächste Woche fällig werdende Rate von circa 1,5 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) bezahlen will, ist ungewiss. Denn nach dem Rauswurf der Troika kennt niemand die genaue Finanzlage der Hellenen.
"Spätestens, wenn Löhne nicht mehr bezahlt werden können und die Konten auf den Banken eingefroren werden müssen, wird Griechenland nichts anderes übrig bleiben, als Reformen einzuleiten", meint deshalb Politikwissenschaftler Kullas. Besonders die Wiedereinstellung von Staatsbediensteten und Beamten bedeute einen "Riesenposten im griechischen Haushalt" – den sich Tsipras eigentlich gar nicht leisten kann.
Gleiches gilt für dessen Pläne, den Mindestlohn von derzeit 585 Euro auf 751 Euro anzuheben. Ein entsprechendes Gesetz zur stufenweisen Anhebung ist geplant, liegt aber noch nicht vor. Der Grund: Nicht nur die europäischen Geldgeber, sondern griechische Unternehmer drohten dem neuen Regierungschef mit Schwarzarbeit und zusätzlichen Entlassungen, hebt er den Mindestlohn so drastisch an. Schon jetzt ist mehr als jeder vierte Hellene arbeitslos. Auch hatte der Syriza-Chef die Aufhebung der bereits eingeführten Rentenkürzungen angekündigt, Pensionäre, die weniger als 700 Euro im Monat erhalten, sollen künftig von einem Zusatzbonus profitieren. Doch auch hierfür fehlt dem Linkspopulisten das Geld.
Wo bleibt die groß angekündigte Reichensteuer?
Denn mit dem Regierungswechsel haben viele Griechen, deren Steuermoral bereits im Wahlkampf deutlich nachließ, kaum noch in die Athener Kassen gezahlt. Doch eine entsprechende Steuerreform hat Alexis Tsipras bislang noch nicht vorbereitet. Auch von seiner groß angekündigten Reichensteuer hat man seit dem Wahlkampf nichts mehr gehört. Dabei sei dies das "Mindeste, das man von einer linken Regierung erwartet", wundert sich Kullas vom cep. "Ich bin überrascht, wie schwer sie sich damit tut, an diese Gelder ranzugehen." Dabei bezahlen die Reichsten des Landes gar keine Steuer: So sind die milliardenschweren Reeder per Grundgesetz von dem Obolus befreit. Gianis Varoufakis hat sogar öffentlich seine Bedenken geäußert, wenn man die Reeder besteuere, könnten Tausende Griechen ihren Job verlieren.
Dabei hatte Regierungschef Tsipras im Wahlkampf noch groß angekündigt, der Steuerhinterziehung und Vetternwirtschaft ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Weil Syriza nicht zu den Traditionsparteien Nea Dimokratia und Pasos gehört, die gut 40 Jahre lang das Land regierten, traut ihnen Caro von der KAS zu, dass sie dieses Wahlversprechen tatsächlich umsetzen könnten: " Syriza ist nicht Teil der alten Elite. Darin liegt Hoffnung für die Bekämpfung der Korruption sowie für die Entstehung eines effektiven Steuersystems." Damit würde nicht nur die prekäre finanzielle Situation verbessert, sondern auch das international verlorengegangene Vertrauen in die neue Regierung wiederhergestellt.
Denn dies haben sowohl Tsipras als auch Varoufakis mit ihren widersprüchlichen Aussagen, den immer neuen Debatten zwischen Athen und Brüssel und den nicht enden wollenden Forderungen nach einem neuerlichen Schuldenschnitt zerstört. "Wenn griechische Entscheidungsträger mehr damit beschäftigt sind, Stimmung gegen Deutschland zu machen oder die EU-Mechanismen zur Stabilisierung der Eurozone zu kritisieren, anstatt Reformen in ihrem Land zu implementieren – dann wird das Vertrauen gegenüber der griechischen Regierung" im Ausland zerstört, meint Caro.
Und auch in seiner Heimat verliert Tsipras' Politik an Zustimmung. Seine Popularitätswerte sind in den ersten Wochen seiner Amtszeit gesunken – doch noch immer stehen rund drei Viertel der Hellenen hinter ihm: "In ihrer Brust schlagen zwei Herzen", glaubt Kullas. Einerseits wünschten sich viele ein Ende der Unsicherheit, die schließlich auch die Wirtschaft ausbremse, andererseits "hat es Tsipras immer wieder geschafft, im Inland Erfolge zu verkaufen."
Alexis Tsipras hat seinen letzten Trumpf verspielt
Doch selbst der im Wahlkampf noch so vollmundig auftretende Regierungschef hat inzwischen erkannt, dass sich die europäischen Geldgeber nicht erpressen lassen: In der vergangenen Nacht hat er zugestimmt, wieder mit der Troika (die nicht mehr so heißen darf) zusammenzuarbeiten - und eine detaillierte Reformliste vorzulegen. Seine Taktik, möglichst viele seiner Wahlversprechen gegen den Widerstand der Institutionen (wie die Troika nun heißt) umzusetzen, dürfte damit gescheitert sein. Denn eines ist in diesen Tagen in Brüssel deutlich geworden: Wenn der griechische Regierungschef nicht einlenkt, wird Europa das Risiko eines Grexit, also eines Ausstiegs des Landes aus der Union, in Kauf nehmen. Damit hat Tsipras seinen letzten Trumpf verspielt.
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