Österreich hat in den Speed-Disziplinen ein Nachwuchsproblem. Die aktuelle Führung leidet unter den Versäumnissen der Vergangenheit. Es laufen bereits erste Gegenmaßnahmen, die entsprechenden Erfolge scheinen aber trotzdem noch in weiter Ferne.

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Es ist der normale Zyklus, den alle Nationen durchlaufen. Aber Österreich ist eben nicht wie jede andere Nation. Zumindest nicht, wenn es um den alpinen Rennsport geht und im Speziellen um die Königsdisziplin unter den Wettkämpfen.

Da ist die Aufregung besonders groß, wenn die Erfolge ausbleiben. Dass dem so ist, wird kaum einer leugnen wollen. In den Speed-Disziplinen gelang heuer ein einziger Sieg, Marcel Hirscher trug in Beaver Creek Anfang Dezember den Triumph im Super G davon. Und in der Abfahrt: Null Siege, drei Podestplätze. Ein trostloser Winter.

Die selbst ernannte Ski-Nation Nummer eins kämpft mit Problemen, wie man sie eigentlich nur bei anderen Verbänden kennt. Das Debakel bei der Weltmeisterschaft vor einem Jahr - als bei den Herren kein einziger Fahrer unter den Top Ten war - hätte eigentlich wachrütteln sollen.

Nun geht die Misere in ihre zweite, manche mögen behaupten, dritte Saison und die Frage steht im Raum, wie es mit den ÖSV-Racern weitergehen soll. Die schallende Ohrfeige beim Saisonhöhepunkt auf der Streif, als Vincent Kriechmayer als Siebter bester Österreicher war, kratzt sehr am Image der Ski-Nation.

Puelacher und die Probleme

Die drei zum Teil schweren Stürze von Max Franz, Georg Streitberger, Klaus Kröll und Hannes Reichelt lassen die personelle Lage derzeit so akut werden wie gefühlt nie zuvor. "Haben wir noch eine Kaderliste?", fragte Herren-Rennsportleiter Andreas Puelacher nach dem Rennen auf der Streif mit beißender Ironie in die Runde.

"Wenigstens braucht ihr jetzt nicht mehr zu spekulieren, wen wir aufstellen. Auf unserer Liste stehen fast nur noch Trainer oben. Und da fehlt auch schon einer", verwies er auf Speed-Coach Martin Sprenger, der sich in Kitzbühel beim Besichtigen Bänderrisse in beiden Knien zugezogen hatte.

Puelacher war es, der kurz nach seiner Amtsübernahme im Sommer 2014 große Defizite in den technischen Disziplinen ausgemacht hatte. "Früher wurden andere Prioritäten gesetzt. Man hat dabei sicher Fehler gemacht. Damals hatten wir eine Topmannschaft, die Jungen kamen dadurch zu wenigen Einsätzen. Vielleicht war man ein bisschen blind und wollte die dahinter entstehende Kluft nicht sehen. Man muss sich auch die Frage stellen: Ist unser System falsch? Man muss es auf jeden Fall genau durchleuchten", sagte er damals.
"Die Probleme sind ja nicht von heute auf morgen entstanden, das hat sich im Laufe der Jahre aufgebaut. Dieses Nachwuchsproblem müssen wir jetzt in den Griff kriegen. Das sehe ich als meine Hauptaufgabe", so Puelacher weiter.

Der Riesentorlauf als Basis für alles

In der Folge wurden verschiedene Maßnahmen getroffen, um wieder verstärkt Fahrer aus dem Europacup in den Weltcup zu hieven, der gemeine Fokus lag dabei ganz klar auf der grundsätzlichen Ausbildung im Riesentorlauf. Mit dem Abstand von einem Jahr lässt sich erahnen, dass die Probleme nicht nur den Riesentorlauf und den Slalom betreffen, sondern eben auch die Speed-Disziplinen.

Womöglich würde Puelacher diesen einen Satz von damals heute auch anders formulieren. "In der Abfahrt und im Super G sind wir gut, und da haben wir auch gute Junge. Da werden wir weiterhin Freude haben", sagte er im Januar 2015. Wenige Tage später gab es das historisch schlechte Abschneiden bei der WM und die Gewissheit, dass auch zehn Jahre nach der Bronzemedaille von Michael Walchhofer bei der WM in Bormio 2005 wieder kein Edelmetall nach Österreich wandert.

Vor einigen Jahren waren die Probleme schon einmal ähnlich gelagert. Es gab viele Verletzte, einen überalterten Kader, kaum Siegläufer mit Perspektive. Damals wurden die Probleme zwar erkannt, aber auch mehr oder weniger nonchalant vom Tisch gewischt. Es brauche wieder mehr Burschen und Mädels, die sich etwas trauen. ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel oder Hermann Maier teilten diese Ansicht. Die ist sicherlich nicht falsch, vielleicht fehlt es den Jugendlichen und jungen Erwachsenen tatsächlich an einem gewissen Mut, an Hartnäckigkeit und Biss.

Trainingseinheiten sind teuer

Was damals aber schon versäumt wurde: Die grundlegenden Parameter in der Ausbildung wurden nicht justiert. Der Nachwuchs war da, aber er war nicht besonders wichtig. Oder nicht so wichtig, wie er es für eine Ski-Nation wie Österreich sein sollte.
Die Alten blockierten die Jungen, und als die Alten dann doch irgendwann in Rente gingen, waren die Jungen nicht mehr gut genug oder hatten keine Lust mehr. Die Trainingsbedingungen sind auch heute nicht optimal.

Die nötigen Sicherheitsvorkehrungen mit Netzen und Absperrungen für die Trainingseinheiten sind teuer und nicht immer sind die nötigen Gelder dafür da, um einen reibungslosen Betrieb auf höchstem Niveau aufrechtzuerhalten. Dazu wollen sich die großen Skigebiete kleinere, unrentable Liftanlagen nicht mehr leisten. Genau die benötigt es aber, um die Nachwuchsfahrer abseits der Massen trainieren zu lassen.

Derzeit weisen die Kader bei den Herren und bei den Frauen eine durchaus gesunde Altersstruktur auf. Hinter den Oldies Hannes Reichelt (35), Georg Streitberger (34), Lizzy Goergl (34) und Romed Baumann (30) tummeln sich viele Mittzwanziger und ein paar noch jüngere.

Kriechmayer, Otmar Striedinger, Matthias Mayer, Johannes Kröll oder Patrick Schweiger bei den Herren, Cornelia Hütter, Nicole Schmidhofer, Ramona Siebenhofer, Mirjam Puchner, Stefanie Moser, Stephanie Venier, Tamara Tippler und Nesthäkchen Sabrina Maier bei den Damen.

Das ist eine Menge Fahrerinnen und Fahrer, die es in dieser Saison auch schon in die Weltcup-Punkteränge geschafft haben. Aber echte Siegläufer sind (noch) nicht darunter. Und der einzige Siegläufer dieses Winters, Marcel Hirscher, ist noch nicht mal ein ausgewiesener Speed-Spezialist.

Verletzungen immer ein Problem

Die Installation des ehemaligen Damen-Abfahrtschefs Jürgen Graller als Nachwuchskoordinator war ein erster Schritt, Florian Winkle an Stelle des langjährigen Burkhard Schaffer bei den Abfahrern verantwortlich zu machen, ein zweiter. Das Team um Winkler hat einen Paradigmenwechsel in der Trainingssteuerung und bei den -inhalten vorangetrieben.

Freies Skifahren, Telemarking sind feste Bestandteile der Einheiten, dazu kommen die Schwerpunkte auf dem Riesentorlauf. Als Beispiel wird immer wieder Aksel Lund Svindal herangezogen, der sich vom Riesentorlauf als Basis aus aufgemacht hat, der Welt in den Speed-Disziplinen das Fürchten zu lehren.

Nur ist auch ein Überfahrer wie Svindal nicht vor Verletzungen gefeit. Dieses eine Problem haben alle Fahrer im Weltcup-Zirkus gemein. Da braucht es auch das nötige Glück; und das ist dem Österreichischem Skiverband speziell in dieser Saison nicht eben hold. "Ich bin jetzt 27 Jahre Trainer, habe ich etwas falsch gemacht? Ich weiß es nicht", sagt Puelacher angesprochen auf die enorme Verletztenmisere.

Auch hier geht es an die Ursachenforschung, bisher aber ohne den großen Erkenntnisgewinn. "Ich finde keine Struktur in den Verletzungen. Wenn man sagt, alle reißen sich das Kreuzband, weil wir zu tief in der Position sind, dann sage ich: ,Hallo, haben wir skitechnisch irgendetwas übersehen und nicht ganz richtig gemacht?‘ Aber den einen drückt es nach vorn, den anderen drückt es nach hinten." Jeder Unfall wurde analysiert, Antworten wurden keine gefunden. Sogar ein Psychologe soll nun helfen, dem verbliebenen Team wieder auf die Sprünge zu helfen.

Das löst unter Umständen einige kurzfristige Probleme, auf langfristige Sicht bedarf es etwas mehr. Die langjährigen Weltcuptrainer Willibald Zechner und Wolfgang Erharter forcieren in den Europacups die Nachwuchsarbeit. Es ist die Arbeit an der Basis, die die Zukunft des ÖSV nachhaltig bestimmt. Offenbar haben das nun alle auch so verstanden.

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