Biathlon-Olympiasieger und Eurosport-Experte Michael Rösch spricht im Interview mit unserer Redaktion über die abgelaufene Biathlon-WM aus deutscher Sicht und erklärt die Material-Probleme im DSV-Team. Einer Medaillenchance trauert er besonders hinterher.
Herr Rösch, wie fällt Ihr Fazit zur Biathlon-Weltmeisterschaft aus?
"Es war eine geile WM mit über 200.000 Zuschauer. Die Fans kamen zu etwa 70 Prozent aus Tschechien und der Rest verteilte sich auf die internationalen Fans. Es war ein riesiges Familienfest mit vielen Kindern vor Ort. Einzig das Wetter war so lala, aber dafür kann niemand etwas. Trotzdem konnte die Strecke in Schuss gehalten werden, auch weil die Helfer rund um die Uhr im Einsatz waren.
Mit dem Sonntag gab es aber einen versöhnlichen Abschluss, den sogar der tschechische Staatspräsident vor Ort erlebte. Es war ein gigantisches Ereignis insgesamt. Besonders beeindruckt hat mich das gewachsene Biathlon-Verständnis der Zuschauer. Bei der WM 2013 am selben Ort wurden fast ausschließlich die einheimischen Sportler unterstützt, inzwischen bringen sie aber Fachwissen mit und unterstützen jeden Teilnehmenden.
Wie die Deutschen abgeschnitten haben
Wie bewerten Sie die Leistungen der deutschen Frauen bei der WM?
Es war schon ein wenig überraschend, dass
Wie bewerten Sie die Leistungen der deutschen Männer in Nove Mesto?
Hier gab es nur die Medaille durch Benedikt Doll. Da muss man einfach sagen, dass er es meistens schafft bei den Großereignissen eine Medaille mitzunehmen, egal ob WM oder Olympia. Für die anderen Deutschen war es schade, da sie größtenteils in diesem Winter bereits auf dem Podest standen und sie sich wohl Hoffnungen auf Edelmetall machten.
Aber gerade im Sprint waren sie läuferisch zu weit weg von der Spitze – alle zusammen. Da ist dann die Frage, ob es an der Form lag oder am Material. Aber die norwegische Übermacht darf nicht vergessen werden bei der Bewertung der Leistungen. In der Staffel war es bitter, weil bei allen Weltcups davor standen sie auf dem Podest und dann funktioniert es beim Großereignis nicht.
Wenn Nationen mit mehreren Strafrunden vorne stehen, ist die Tür für eine Medaille nicht offen, sondern ausgehangen. Das war schon sehr bitter. Es unterstreicht aber auch die besonderen Verhältnisse bei einer WM, dass eine Medaille nicht geschenkt wird. Letztendlich muss man mit der einen Medaille zufrieden sein, aber aufgrund der Vorleistungen in diesem Winter ist es ein wenig enttäuschend.
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Neue Wachs-Regeln und Diskussionen über Ski-Material
Während der Biathlon-WM gab es viele Diskussionen rund um das Ski-Material der deutschen Sportlerinnen und Sportler. Wie sehen Sie das Thema aus der Sicht eines ehemaligen Sportlers?
Das Wachsteam vor Ort gibt alles und läuft selbst täglich bis zu 30 Kilometer, um Ski zu testen. Es lag also definitiv nicht am Einsatz. Und nicht nur die Deutschen hatten Probleme, denn es ist das erste Jahr ohne Einsatz von Fluor-Wachs. Es fehlen die Erfahrungswerte aus den vergangenen Jahren, alle fangen also bei Null an.
Aber vielleicht waren ein, zwei Nationen etwas anders aufgestellt. Auffällig war außerdem, dass gerade "kleinere" Nationen wie Estland, Lettland und die USA oft richtig gutes Material hatten. Ein guter Ski macht einfach oft noch einmal die entscheidenden Prozentpunkte aus. Durch die neuen Wachs-Regeln hat sich das Fenster für Fehlgriffe aber weiter geöffnet. Ich vergleiche das mit einem A4-Blatt. Sorgte vorher die komplette Blattgröße für einen guten Ski, ist das Blatt inzwischen in der Breite um die Hälfte kleiner geworden.
Meiner Meinung nach ist das Material schon entscheidend im Kampf um Medaillen. Irgendwann kommt dann noch der Kopf dazu und es läuft beim Schießen nicht richtig rund und schon ist das Selbstvertrauen komplett weg. Ich würde die Probleme nicht nur aufs Material schieben, aber es war schon offensichtlich, dass die Deutschen dort teilweise einen Nachteil hatten. Es wurde auch von den Sportlerinnen und Sportlern selbst angesprochen. Das gilt es aufzuarbeiten und für die Zukunft besser zu machen.
Wer war für Sie aus sportlicher Sicht die größte Überraschung bei der Weltmeisterschaft?
Ich muss mehrere nennen. Keine Überraschung in dem Sinne, aber einen grandiosen Auftritt legte Johannes Thignes Bö hin, der jetzt sogar Biathlon-Legende Ole-Einar Björndalen bei den Goldmedaillen (20; Anm. d. Red.) eingeholt hat. Es war sehr beeindruckend, wie er wieder auf den Punkt topfit war und aus jedem Rennen eine Medaille mitgenommen hat, auch wenn er sich wahrscheinlich noch mehr vorgenommen hat.
Bei den Frauen haben die Französinnen als Team sehr beeindruckt und eine Machtdemonstration abgeliefert. Und das trotz der juristischen Auseinandersetzung zwischen Justine Braisaz-Bouchet und Julia Simon rund um den Kreditkarten-Betrug. Ansonsten waren es vor allem die Sportler aus kleineren Nationen wie Silbermedaillen-Gewinner Andrejs Rastorgujevs oder der US-Amerikaner Campbell Wright, der überraschend weit vorne mitlief. Die Estinnen, die in der Frauen-Staffel bereits eine Hand an einer Medaille hatten und damit für eine Riesen-Sensation gesorgt hätten. Bei einer WM ist eben alles möglich, auch für kleinere Nationen.
Über den Gesprächspartner
- Michael Rösch ist 2006 Olympiasieger mit der deutschen Biathlon-Staffel geworden. Der gebürtige Altenberger startete ab 2014 für Belgien und beendete 2019 seine Karriere. Inzwischen arbeitet der 40-Jährige als TV-Experte und begleitete in dieser Funktion auch die Biathlon-WM in Nove Mesto.
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