Wieder kein Finale, von einem Titel ganz zu schweigen. Der heiß ersehnte Grand-Slam-Durchbruch von Dominic Thiem lässt weiter auf sich warten. Warum für den Niederösterreicher Konstanz nicht mehr gut genug sein darf.

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Zweite Woche bei allen vier Grand-Slam-Turnieren in diesem Jahr: Das hat sonst nur Rafael Nadal geschafft. Doch so beeindruckend Dominic Thiems Konstanz auch ist: Im kollektiven Tennisgedächtnis bleiben die Finalhelden auf der großen Bühne, nicht die Spieler mit Achtelfinal-Abo. Nach der jüngsten Niederlage im US Open-Achtelfinale gegen Juan Martín del Potro gab sich Österreichs Nummer eins dementsprechend selbstkritisch: "Irgendwie fühle ich gerade, dass irgendwas nicht gepasst hat, die ganze Zeit. Das muss ich analysieren und dann irgendwas verändern."

Unter Druck erfolglos

Denn gerade in den Momenten, auf die es ankommt – bei den "Big Points"–, hat Thiem Aufholbedarf. Das belegen die Fakten. Im "Under Pressure Rating" der ATP, das die verwerteten und abgewehrten Breakchancen sowie die Prozentsätze der gewonnenen Tie-Breaks und Entscheidungssätze der vergangenen 52 Wochen summiert, dümpelt Thiem nur auf dem 42. Platz dahin.

Kein Wunder, dass es beim 24-Jährigen, der bei den Grand-Slam-Turnieren gegen die Besten bestehen muss, dieses Jahr nicht zu einem Coup gereicht hat.

Vor allem in "Best-of-Three-Matches" gilt es, die Konzentration über einen längeren Zeitraum zu halten. Doch wie Deutschlands Grand-Slam-Hoffnung Alexander Zverev hat Thiem eine negative Bilanz, wenn es über die volle Distanz von fünf Sätzen geht.

Ein kleiner Trost für die ambitionierten Youngster: Dass Erfahrung in dieser Statistik durchaus helfen kann, lehren die jüngsten Grand-Slam-Champions.

Nadal und Roger Federer, die sich die Trophäen in diesem Jahr aufteilten, gehören beide bekanntermaßen der Ü30-Fraktion an.

Was Thiem bisher von einem Grand-Slam-Sieg trennt, dürfte aber nicht das Wettbewerbsformat, die fehlende Erfahrung oder die Physis sein – sondern schlicht und einfach das für ihn so wichtige Selbstvertrauen.

Auf der Suche nach dem Selbstbewusstsein

Thiem hat gezeigt, dass er die Großen schlagen kann. Roger Federer (in Rom und Stuttgart 2016), Rafael Nadal (in Buenos Aires 2016 und Rom 2017) und Novak Djokovic (bei den French Open 2017).

Diese Erfolge kamen aber immer dann zustande, wenn der Österreicher einen Lauf hatte und selbstbewusst, mit vielen Siegen im Rücken, in die Duelle ging. Sand ist seine Wohlfühlzone, keine Frage. Doch Thiem kann auch auf anderen Belägen siegen. Nach seiner tollen Sandplatzsaison 2016 klappte es plötzlich auch beim Rasenduell gegen Federer – Selbstvertrauen sei Dank!

"Hardest-Working Man in Tennis"

Dies hat auch Thiem erkannt, den "The New York Times" einmal als "Hardest-Working Man in Tennis" betitelte. "Viele Turniere zu spielen ist sehr wichtig für mich, weil es mir hilft, mein Selbstvertrauen aufzubauen, das nur mit dem Gewinn von Matches kommt", so der Lichtenwörther dieses Jahr beim Turnier in Indian Wells.

Das drückt sich in Zahlen aus. Unter den Top 10 der Weltrangliste hat er die meisten Turniere 2017 auf dem Buckel und sein Plan ist bis zum Jahresende weiterhin straff. Davis Cup, Laver Cup, Chengdu, Tokio, Schanghai, Wien, Paris-Bercy und aller Voraussicht nach das ATP-Finale in London, das Thiem als aktuell Viertplatzierter im Jahresranking so gut wie in der Tasche hat.

Bei einer Pressekonferenz in Wien nach den US Open wollte der Österreicher von Ermüdungserscheinungen nichts wissen: "Ich fühle mich dieses Jahr definitiv in besserer Verfassung als letztes Jahr."

Unglaubliche Zahlen

In der Weltrangliste steht Thiem aktuell mit Nummer sieben an seiner Top-Position. Dabei profitierte er allerdings von verletzungsbedingten Ausfällen von Tennisgrößen wie Stan Wawrinka. Denn auch wenn der Vielspieler, wie im vergangenen Jahr, konstant gute Ergebnisse einfährt: Zum Titel hat es in dieser Saison nur einmal gereicht – auf Sand in Rio de Janeiro.

Ohne diese Erfolge scheint es so, als ob Thiem in den entscheidenden Situationen der Glaube an sich selbst fehlt. Seit Mitte Mai hat er keinen Entscheidungssatz mehr gewonnen. In dieser Statistik der ATP wird er aktuell nur auf dem 65. Platz geführt!

Das sah im vergangenen Jahr noch ganz anders aus. Da stand Thiem in den Entscheidungssätzen bei 87,5 Prozent auf Platz zwei hinter Djokovic. Der Beleg: 2016 fuhr das Toptalent vier Siege ein.

Was die schöne Bilanz trübt: Alle bisherigen Titel holte der Österreicher bei den kleineren Turnieren. Für die Bewerbe der 1000er- und 2000er-Kategorie reichte es bisher noch nicht.

Der feine Unterschied

Doch genau diese Turniere müssen sein Anspruch sein. Damit Thiem den nächsten Schritt in seiner Karriere schaffen kann, sollte er lernen, seiner eigenen Stärke zu vertrauen – und an die Siege zu glauben.

Denn das unterscheidet Thiem bisher von einem Grand-Slam-Champion wie del Potro, der auch nach einem 0:2-Satzrückstand in New York die unglaubliche Wende schaffte.

Wenn das Selbstvertrauen passt, dann werden die Siege schon kommen – auch bei den großen Turnieren. Denn Konstanz ist längst nicht mehr das, woran sich Thiem messen sollte. Es sind die großen Spiele, die die großen Spieler zu solchen machen.


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