- Immer wieder kommt die Forderung von Fans, Sport und Politik voneinander zu trennen.
- Allerdings zeigt sowohl die Geschichte als auch die momentane Realität, dass diese Forderung illusorisch ist.
- Der Sport ist zumeist ein Spiegelbild von geopolitischen Systemkonflikten oder auch sozialen Fragen.
In einem Jahr, in dem die Olympischen Spiele in der chinesischen Hauptstadt Peking und die Fußball-Weltmeisterschaft im Golfstaat Katar stattfinden, reicht es so einigen Fans mit der Vermischung von Sport und Politik. Sie fordern lauthals eine Trennung zwischen beiden. Es ist die Sehnsucht danach, den Sport als Zufluchtsort zu haben und während der Events alles Politische des Alltags zu vergessen.
"Es ist ein Privileg zu sagen, jetzt bin ich zum Beispiel nur beim Fußball und alles andere interessiert mich nicht", sagt Journalist Felix Tamsut, der sich seit Langem mit Fankultur beschäftigt, im Gespräch mit unserer Redaktion. Warum ist es ein Privileg? "Um ein Beispiel zu geben: Ich bin Jude, ich gehe ins Stadion. Ich möchte auch meinen Alltag hinter mir lassen, aber dann kommt jemand zu mir und sagt: 'Du scheiß Jude.' Weil ich einen Davidstern trage. Ich bin nicht hier, um das Thema Antisemitismus zu diskutieren. Ich bin hier, um meinen Verein zum Sieg zu brüllen. Und trotzdem muss ich dem begegnen."
Fangruppen meist bewusst politisch
Das Stadion, die Arena oder Rennstrecke ist stets ein Ort des Politischen. Denn Rassismus und Diskriminierung sind gegenwärtig, ebenso wie Klassenunterschiede und viele generelle soziale Fragen. Andernfalls würde es nur Stehplätze oder nur VIP-Logen geben. Wegschauen oder weghören sei laut Tamsut eine bewusste Entscheidung: "Diese Forderung, apolitisch zu bleiben und in Anführungsstrichen unpolitisch zu bleiben, ist eine politische Forderung. Wenn man keine Seite wählt, wählt man im Endeffekt eine Seite, egal welche."
Er lobt, dass gerade organisierte Fangruppierungen etwa im Fußball ein starkes politisches Bewusstsein haben und in vielen Fällen auch Verantwortung übernehmen. "Diese Verantwortung trägt man auf vielerlei Weise. Sei es in der Verantwortung für deine Gruppenmitglieder, die irgendwelche Probleme haben. Sei es durch Stellungnahmen, die man zu bestimmten Themen veröffentlicht", sagt Tamsut. "Das kommt auch dadurch, dass man in der Kurve, im Stadion und manchmal auch in der Stadt eine gewisse Position hat, bei der man auch Sachen bewegen kann, im sozialen Bereich, im politischen Bereich, in Sachen Rassismus, in Sachen Sexismus."
Sport als Spiegelbild von Systemkonflikten
Während es hierzulande oftmals um politische Fragen innerhalb der Gemeinde oder Stadtgesellschaft geht, wird auf der großen Sportbühne entsprechend Geopolitik betrieben. Gerade Autokratien nutzen den Sport mit Vorliebe, um sich im besten Licht zu präsentieren. Der Sport hat schon lange dazu gedient, die Überlegenheit der Systeme auszufechten.
Der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel erinnerte kürzlich daran, dass Russland beziehungsweise die Sowjetunion erst so wirklich nach dem Zweiten Weltkrieg die Sportbühne betrat und auch dort dann zu einer Supermacht während des Kalten Krieges wurde.
Darüber hinaus werden im Sport seit jeher religiöse und ethnische Konflikte stellvertretend ausgetragen. Man nehme beispielsweise die lange Auseinandersetzung zwischen irisch-stämmigen Katholiken und protestantischen Unionisten in Schottland, die sich in den Glasgower Spitzenklubs Celtic und Rangers widerspiegelte. Oder die Partie zwischen Dinamo Zagreb und Roter Stern Belgrad am 13. Mai 1990, die aufgrund der Straßenschlachten und Ausschreitungen die fortschreitende Auflösung des Vielvölkerstaats Jugoslawien veranschaulichte. Ein Mythos besagt sogar, dass dieses Spiel die Kämpfe der Balkankriege mit einleitete.
"Sport hat immer mit dem Land, mit der Kultur, mit der politischen Situation, mit vielen anderen Sachen zu tun", resümiert Tamsut. Eine Trennung zwischen Sport und Politik ist deshalb illusorisch und die entsprechende Forderung danach haltlos.
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