Extremsportler Jonas Deichmann hat 120 Triathlon-Langdistanzen in 120 Tagen absolviert. Im Gespräch mit unserer Redaktion berichtet er von dieser Höchstleistung und verrät, welchen Faktor er unterschätzt hat. Außerdem erklärt er sein Motivationsgeheimnis.

Ein Interview

Herr Deichmann, nun sind bereits einige Tage vergangen, wie geht es Ihnen, vermissen Sie die tägliche Langdistanz?

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Es war genau richtig mit den 120 Tagen und danach aufzuhören. Ich vermisse es nicht, es war eine tolle Zeit, vor allem auch die tolle Unterstützung an der Strecke jeden Tag. Doch jetzt kommt etwas Anderes. Aber momentan befinde ich mich noch in einem Medienmarathon, schreibe an meinem Buch "Weil ich es kann" und halte Vorträge. Das normale Leben muss also noch etwas warten.

Als Sie die 120 Tage erreicht haben, waren Sie mit den Kräften am Ende oder hätten Sie noch weitermachen können?

Aus körperlicher Sicht hätte ich weitermachen können. Ich hatte keinerlei Blessuren. Aber natürlich hatte ich eine gewisse Grundmüdigkeit und die Spritzigkeit ist auch komplett abhandengekommen. Aber mir ging es an Tag 120 besser als an Tag zehn. Mein Körper hat sich an die Belastungen angepasst. Wahrscheinlich wären auch 130 Tage gegangen, wir werden es nie herausfinden. Aber 120 war einfach eine schöne Zahl, um aufzuhören.

Jonas Deichmann: "Über vier Monate keine Privatsphäre"

Wenn Sie zurückblicken auf die 120 Tage, welche Sache haben Sie im Vorfeld unterschätzt und welchem Faktor haben Sie vielleicht zu viel Bedeutung gegeben?

Unterschätzt habe ich in jedem Fall, wie viele Leute jeden Tag in Roth dabei waren. Insgesamt waren es tausende Menschen. Allein bei meinen "Läufchen" (Marathon; Anm. d. Red.) waren am Ende jeweils über hundert Menschen dabei. Es war einfach jeden Tag was los, was mich einerseits natürlich ungemein motiviert hat und auch so gewollt war. Andererseits hatte ich über vier Monate jeden Tag über 14,15 Stunden keine Möglichkeit auf Privatsphäre. Gerade zum Ende hin war das eine riesige Herausforderung für mein Team und mich. Das hatte ich im Vorfeld nicht auf dem Schirm. Überschätzt habe ich nichts, weil ich mich so akribisch wie noch nie in meinem Leben auf dieses Projekt vorbereitet habe – in allen Belangen. Denn bei täglich 14 oder 15 Stunden Sport gibt es keinen Puffer für Fehler. Ich hätte nichts weglassen können, ohne dass es in anderen Bereichen zu Problemen gekommen wäre.

Wie fühlt es sich an, 120 Tage lang jeden Tag mindestens 14,15 Stunden Sport zu machen?

Rein körperlich gibt es Tage, die komplett problemlos sind, die sich wie ein lockerer Trainingstag anfühlen. Dann waren Tage dabei, da hatte ich einen schweren Moment, zum Beispiel mit schweren Beinen am Ende des Marathons. Und es gab einige Tage, da war es einfach nur schwer. Glücklicherweise waren das nur wenige Tage, meistens ging es mir super. Die ersten drei Tage liefen richtig super, an Tag vier hat der Körper dann erste Reaktionen gezeigt. Bis Tag 30 war es für mich sehr anstrengend und ich spürte die große Belastung. Ab Tag 31 hatte ich weniger Mühe und hatte oft auch mehrere Wochen, in denen ich nicht angeschlagen war. Im Endeffekt hat sich mein Körper ab diesem Zeitpunkt an die Langdistanz angepasst.

"Es geht nur mit maximaler Routine"

War es nicht eintönig für Sie, jeden Tag die gleiche Strecke bewältigen zu müssen?

Anders funktioniert ein solches Projekt nicht, es geht nur mit maximaler Routine. Sonst passieren Fehler und dafür war das Projekt zu sehr an der Grenze des Machbaren. Ich habe mich darauf eingelassen und dann war es auch nicht schwierig.

Wie schwer war es, den Fokus zu behalten, als ihr Bruder sich verletzt hat? Ihr Projekt sollte ja schließlich weitergehen.

Er ist in einer leichten Abfahrt mit dem Rad gestürzt und hat sich dabei einen Schlüsselbeinbruch zugezogen. Eine häufige Verletzung im Radsport. Wir waren mit vielen Leuten unterwegs und ich habe sofort angehalten und nach ihm geschaut. Man hat direkt den Schlüsselbeinbruch gesehen, sodass wir einen Krankenwagen gerufen haben. Mein Bruder hat dreimal zu mir gesagt: "Jonas, fahr weiter!" Andere Leute sind bei ihm geblieben, bis der Krankenwagen kam. Das klingt hart, aber wir haben im Vorfeld des Projektes über genau solche Szenarien gesprochen. Bei allen Unfällen mit Verletzungen, die in wenigen Wochen wieder auskuriert werden können, war klar abgesprochen, dass ich weiterfahre.

Abbruch des Projektes? "Natürlich waren Rückschläge da"

Gab es Situationen, als Sie an einen Abbruch gedacht haben?

Nein, das gab es nicht. Es waren natürlich Rückschläge da, in denen unklar war, wie es weitergeht, beziehungsweise wie der Körper reagiert. Ich hatte Entzündungen in der Achillessehne, im Knie und im Rücken sowie zwei Erkältungen. Aber ich stand unter ärztlicher Überwachung und von dort gab es grünes Licht. Bei Fieber wäre aber Schluss gewesen. Ich habe mich dann immer auf den aktuellen Moment fokussiert und geschaut, wie ich den Tag am besten rumbringe und dann steht ein neuer Tag an. Es braucht für ein solches Projekt einfach einen bedingungslosen Optimismus und einen Fokus auf die aktuelle Aufgabe: den heutigen Tag zu überstehen und mit guter Regeneration dafür zu sorgen, dass der nächste Tag schon wieder anders aussieht.

Was für Gedanken gehen einem durch den Kopf, wenn man 120 Tage lang jeden Tag die gleiche Tätigkeit macht und sich immer am Limit bewegt?

Es war nicht so, dass ich mich immer am Limit bewegt habe, sondern ich war im Grundlagenbereich unterwegs. Ich bin mit einem Puls von 110 unterwegs gewesen. Es war alles im Komforttempo, nur halt sehr lange. Die Gedanken sind unterschiedlich gewesen. Beim Laufen gab es viel Entertainment an der Strecke, da unterhielt ich mich und lenkte mich damit auch ab. Beim Schwimmen war ich meistens eher im Flow und habe das Gefühl dabei genossen. Auf dem Rad habe ich aber schon viel nachgedacht. Zum Beispiel über die Mittagspause oder mein Leben und alles was noch kommt.

"Kein Bedürfnis so etwas nochmal zu machen"

In unserem Interview vor dem Projekt haben Sie erzählt, dass Sie gerne Ihre Grenze kennenlernen möchten. Haben Sie diese erlebt? Und wie haben Sie es geschafft, die Motivation aufrechtzuerhalten?

Ich bin meiner persönlichen Grenze sehr nahegekommen und habe sie auch ein Stück weit verschoben. Ich habe aber in keinster Art und Weise das Bedürfnis, so etwas nochmal zu machen. Ich habe es mir selber bewiesen, dass es möglich ist, 120 Langdistanzen am Stück zu absolvieren. Der Fokus lag immer auf dem heutigen Tag, dazu gab es natürlich Highlights wie die Teilnahme an der Challenge Roth an Tag 60. Dazu ist es wichtig, immer kleine Zwischenziele oder Meilensteine zu setzen und diese dann auch zu feiern. Ich stand dort jeden Tag auf, um meine beste Leistung zu liefern.

Welche Träume haben Sie jetzt noch für die Zukunft nach 120 Langdistanzen in 120 Tagen?

Es gibt noch viele Träume und es kommen immer welche hinzu. In den nächsten Monaten gibt es viele kleinere Abenteuer neben Vorträgen und Medienterminen. Mein nächstes größeres Projekt wird wieder ein Abenteuer und nicht ein Hochleistungssport-Projekt wie jetzt mit den Langdistanzen.

Über die Person:

  • Jonas Deichmann ist ein Abenteurer und Weltrekord-Inhaber. Im fränkischen Roth absolvierte er zuletzt 120 Triathlon-Langdistanzen (3,8 km Schwimmen, 180 km Rad fahren, 42,195 km Laufen) in 120 Tagen und stellte damit eine neue Bestmarke auf. Zuvor absolvierte Deichmann unter anderem einen Triathlon um die Welt.
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