Es ist das wohl größte Problem des American Football: Seit Jahren begehen etliche Ex-NFL Profis Suizid oder wenden Gewalt gegen Familie oder Bekannte an. Die Vermutung: Durch die vom Sport verursachte Krankheit CTE verlieren die Footballer mehr und mehr die Kontrolle über ihr Leben - mit tragischen Konsequenzen.

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Warum bringt ein erfolgreicher Sportler aufgrund einer Nichtigkeit einen Menschen um und erhängt sich dann zwei Jahre später in seiner Zelle? Für das Drama um Football Star Aaron Hernandez (+27) gibt es jetzt eine mögliche Erklärung: Ein klaffendes Loch in seinem Gehirn, verursacht durch chronisch-traumatischer Enzephalopathie (CTE).

Im American Football ist er kein Einzelfall. Seit Jahrzehnten sind die möglichen Auswirkungen der Sportart bekannt. Bei 110 von 111 ehemaligen NFL Spielern ist die Krankheit CTE bisher diagnostiziert worden und doch hebt der Fall Hernandez die Brisanz auf ein ganz neues Level.

Der Grund: Hernandez war bei seinem Tod erst 27 Jahre alt. Bis 2013 spielte er noch als Profi bei den "New England Patriots".

Dann wird er 2015 wegen Mordes an einem Bekannten verurteilt. Zwei Jahre später begeht er in seiner Gefängniszelle Suizid.

Als sein Gehirn von Forschern des Boston Univercity CTE Center untersucht wird kommt eine erschütternde Diagnose. Ein von CTE derartig beeinträchtigtes Gehirn findet man normalerweise nur bei Spielern, die 40 Jahre älter sind.

Ein großes Loch klafft, wo bei gesunden 27-Jährigen normalerweise die Regionen des Gerhirns liegen, die das Gedächtnis, Verhalten und Impulskontrolle beeinflussen.

"Egal wo wir hinsahen, überall fanden wir klassisches CTE", sagt dazu Dr. Ann McKee, die die Untersuchungen am Gehirn von Hernandez vornahm dem "Boston Globe".

Von den bisher 468 untersuchten Gehirnen sei das jüngste Gehirn mit einer ähnlichen Ausprägung der Krankheit von einem 46-Jährigen gewesen.

Das Boxer-Syndrom

Bekannt ist die CTE-Krankheit schon seit den 1920er Jahren, damals allerdings unter dem Namen Boxer-Syndrom. CTE bekommen vorwiegend Sportler, die extrem viele Stöße und Schläge gegen den Kopf abbekommen, wie eben Boxer oder American-Footballer.

Durch die zahlreichen Gehirnerschütterungen zehrt sich das Gewebe der Großhirnhälften und anderer wichtiger Bereiche des Gehirns ab. Zusätzlich lagern sich Proteine ab, die Gehirnzellen absterben lassen.

Die Folgen davon sind zunächst Kopfschmerzen und Aufmerksamkeitsstörungen. Anschließend können Depressionen, und starke Gefühlsausbrüche auftreten.

Bei fortgeschrittenem Stadium kommt es zu kognitiven Beeinträchtigungen, die dann bis zur starken Demenz führen können. In seiner letzten Stufe ähnelt die CTE Krankheit der Parkinson-Krankheit.

Auffällig ist, dass viele Ex-NFL Spieler während oder nach ihrer aktiven Karriere zusätzlich durch Gewalt und extreme Aggressivität in die Schlagzeilen kamen. Bei nahezu allen untersuchten durch Gewalt auffällig gewordenen Sportlern konnte man post mortem die Krankheit nachweisen.

Eine lange Geschichte der Gewalt

Das Problem mit dem CTE im American Football existiert nicht erst seit gestern. Der erste prominente Fall ist die Geschichte des Michael "Iron Mike" Webster.

Er ist 1997 in die Pro Football Hall of Fame aufgenommen worden. Von 1974 bis 1990 spielt der der Center für die Pittsburgh Steelers und die Kansas City Chiefs.

Nach seiner Karriere will er einer geregelten Arbeit nachgehen, doch Sprachstörungen und andauerndes Kopf- und Handzittern verhindern das.

Zeitweise lebt der ehemalige Star in einem Auto, bevor er bei seinem jüngsten Sohn einzieht. Er verklagt die NFL auf Pensionszahlungen, denn er vermutet, dass der Sport ihn krank gemacht hat.

Er stirbt 2002 im Alter von 50 Jahren an einem Herzinfarkt. Nach seinem Tod wird ihm CTE diagnostiziert. 2005 wird über diesen Fall der erste wissenschaftliche Bericht veröffentlicht.

Seitdem reißen die Berichte über tragische Tode bei NFL-Profis oder Gewaltverbrechen von den Sportlern nicht mehr ab.

Hernandez ist bei weitem nicht der aktuellste. Der kanadische Ex-Football Star Anthony McClanahan soll seiner Frau die Kehle aufgeschlitzt haben.

Jetzt wird er dafür angeklagt. Er selbst macht Kopfverletzungen für diese Gewaltausbrüche verantwortlich. Das Problem an der Sache: CTE lässt sich bisher nur nach dem Tod feststellen.

Bei 96 Prozent aller untersuchten Football-Spieler lautete die Diagnose allerdings "CTE-positiv".

Der Mega-Konzern NFL

Die NFL ist die umsatzstärkste Liga der Welt. Rund 800 Millionen Menschen schauen allein den Superbowl. Insgesamt lag der Umsatz der vergangenen Saison bei umgerechnet 6,7 Milliarden Euro.

American Football gilt als Symbol der amerikanischen Lebensart. Wer Profi-Spieler werden will trainiert von kleinauf. Hernandez fing mit sechs Jahren an. Seit diesem Alter ist er mit Schlägen oder Stößen gegen den Kopf konfrontiert.

Um es in die NFL zu schaffen, durchlaufen die allermeisten Spieler die College-League, eine Art Ausbildungsliga.

Drei Tote in nur einem Monat

Schon in dieser "Uni-Liga" kommen bis zu 70.000 Menschen zu den Spielen. Dementsprechend groß ist der Druck und dadurch auch das Trainings- und Spielpensum.

Außerdem birgt die College-League schon erhebliches Verletzungspotential. Alleine im September 2015 sind drei Spieler an den Folgen einer Sportverletzung während eines Spiels gestorben.

Wer es dann in die NFL schafft, wird mit einer Liga konfrontiert, in der es noch eine Stufe härter zu geht und Vollkörperkontakte noch wesentlich häufiger passieren.

NFL gibt Verbindung zu

Eine direkte Verbindung zwischen der Ausbildung, der aktiven Footballer-Karriere und der CTE-Krankheit wäre ein PR-Desaster für die NFL.

Erst 2016 gab der Vizepräsident für Gesundheit und Sicherheit Jeffrey Miller einen Zusammenhang zwischen Football und CTE zu. Vorher lehnte die NFL das kategorisch ab.

Im Juli 2017 akzeptiert die NFL sogar die Ergebnisse der Studie der Boston University die bei 110 von 111 ehemaligen Footballern Anzeichen von CTE fanden.

Sie verspricht 100 Millionen US-Dollar in die Forschung zu investieren und verweist auf mehr also 50 Regeländerungen zum Schutz der Spieler seit 2002.

Direkte Treffer gegen den Kopf eines Gegenspielers sind nicht mehr erlaubt. Auch müssen alle Spieler, die während einer Begegnung Symptome einer Gehirnerschütterung zeigen, von einem unabhängigen Arzt am Spielfeldrand untersucht werden.

Viele dürfen danach nicht mehr zurück aufs Feld und müssen über Wochen mehrere Tests absolvieren, bevor sie wieder spielen dürfen.

Gebracht hat das bisher wenig, wie die jüngsten Ereignisse eindrucksvoll belegen.






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