Für seine "Notbremse" gegen Ante Rebic sah Mathias Jörgensen im Spiel Kroatien – Dänemark lediglich die Gelbe Karte, obwohl er ein sicheres Tor verhinderte. Doch der Schiedsrichter lag damit richtig, weil der dänische Verteidiger den Ball nur knapp verfehlte. Trotzdem empfinden viele die Entscheidung als ungerecht. Wird die Regel nun geändert?

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In der Verlängerung des WM-Achtelfinalspiels zwischen Kroatien und Dänemark lief die 114. Minute, es stand 1:1, vieles deutete in dieser ausgeglichenen Partie auf ein Elfmeterschießen hin. Da hatte der für Real Madrid tätige kroatische Spielmacher Luka Modric einen seiner genialen Momente: Mit einem Zauberpass setzte er Ante Rebic in Szene.

Der Stürmer von DFB-Pokalsieger Eintracht Frankfurt lief allen Gegnern davon und legte den Ball schließlich auch am dänischen Schlussmann Kasper Schmeichel vorbei. Aus elf Metern und in zentraler Position brauchte er die Kugel nur noch ins leere Tor zu schieben. Doch dagegen hatte Mathias Jörgensen etwas.

Der dänische Innenverteidiger setzte von hinten zum Tackling an. Durch die geöffneten Beine von Rebic versuchte er, im letzten Moment den Ball wegzuspitzeln. Doch er verfehlte ihn knapp, dafür traf er Rebic am Fuß. Der ging daraufhin zu Boden, die Riesenchance war dahin. Schiedsrichter Néstor Pitana pfiff und entschied: Strafstoß für Kroatien.

Außerdem zeigte er Jörgensen die Gelbe Karte. Das verwunderte viele: Nur Gelb, obwohl hier ein nahezu sicheres Tor verhindert wurde? Kann es überhaupt eine klarere "Notbremse" geben? Müsste dafür nicht eigentlich ein Feldverweis fällig sein?

"Notbremse" ist nicht gleich "Notbremse"

Ein Blick ins Regelwerk gibt Aufschluss. Seit zwei Jahren heißt es dort: Wenn ein Spieler im eigenen Strafraum durch ein Foul eine offensichtliche Torchance oder gar ein Tor vereitelt und der Referee auf Elfmeter erkennt, gibt es lediglich eine Verwarnung, "wenn das Vergehen bei dem Versuch begangen wurde, den Ball zu spielen".

Weiter steht dort geschrieben: "In allen anderen Situationen (z.B. Halten, Ziehen, Stoßen, keine Möglichkeit, den Ball zu spielen etc.) ist der Spieler, der das Vergehen begeht, des Feldes zu verweisen." Das bedeutet: Es wird unterschieden, ob eine "Notbremse" im Strafraum im Kampf um den Ball geschieht oder ob der Angriff nur dem Gegner gilt.

Vor zwei Jahren war das noch anders: Bis zur Änderung im Sommer 2016 gab es für ausnahmslos jede Verhinderung eines Tores oder einer offensichtlichen Torchance mit unfairen Mitteln die Rote Karte. Ob der betreffende Spieler dabei den Ball spielen konnte oder wollte, spielte keine Rolle.

Vor zwei Jahren wurde die Regel geändert

Das stieß immer wieder auf Kritik. Viele empfanden es als zu hart, dass es bei "Notbremsen" stets zu einer Art Doppelbestrafung kommt, bestehend aus einem Elfmeter und einem Platzverweis. Zahlreiche Fußballverbände wünschten sich deshalb eine Regeländerung.

Diesem Wunsch folgten die zuständigen Regelhüter vom International Football Association Board (Ifab): Sie führten das Kriterium der Ballorientierung ein. Das gilt allerdings nur für "Notbremsen" im Strafraum.

Wird außerhalb des Sechzehnmeterraums ein Tor oder eine offensichtliche Torchance durch ein Vergehen verhindert, ist weiterhin die Rote Karte fällig. Auch dann, wenn der betreffende Spieler den Ball erreichen konnte und wollte. Schließlich gibt es in diesem Fall nur einen Freistoß und keinen Elfmeter.

Im Fußball gibt es kein "technisches Tor"

Die Frage ist nun: Hat Mathias Jörgensen versucht, den Ball zu spielen? Und gab es für ihn eine realistische Chance, das mit fairen Mitteln zu tun? Schiedsrichter Pitana hat beides bejaht – aus guten Gründen: Das Tackling galt erkennbar dem Ball, wie die Fernsehbilder zeigen. Die Kugel wurde nur um Haaresbreite verfehlt. Deshalb gab es richtigerweise nur die Gelbe Karte.

Das empfinden jetzt viele als ungerecht, zumal Modric den Strafstoß verschoss. Doch die Regeln machen nun einmal keinen Unterschied, ob im Strafraum ein Tor verhindert wird oder "nur" eine klare Torchance. Als vor zwei Jahren die erwähnte Regeländerung vorgenommen wurde, wollte auch niemand diese Unterscheidung einführen. Die Grenze wäre auch nicht immer leicht zu ziehen.

Im Eishockey sehen die Regeln vor, auf "technisches Tor" zu entscheiden, wenn ein sicheres Tor auf unfaire Weise vereitelt wird – etwa, wenn das Tor von einem Spieler der verteidigenden Mannschaft einfach verschoben wird. Im Fußball gibt es diese Möglichkeit nicht. Es bleibt nur der Elfmeter, um die Chance auf den Treffer wiederherzustellen – mit der Gefahr, dass sie vergeben wird. So wie durch Modric.

Eine erneute Änderung ist unwahrscheinlich

Muss die Regel also geändert werden, weil sie zu Ungerechtigkeiten führen kann? Darüber kann nur das Ifab entscheiden, und das ist in solchen Dingen üblicherweise konservativ. Dass es die Option eines "technischen Tores" einführt, kann man jedenfalls ausschließen. Entsprechende Überlegungen sind bislang zumindest nicht bekannt geworden.

Auch die Vorschrift, in jedem Fall die Rote Karte zu zeigen, wenn ein sicherer Treffer durch ein Foul verhindert wird, dürfte kaum noch einmal Eingang ins Regelwerk finden. Denn man möchte einen Spieler, der sich um den Ball bemüht und ihn nur knapp verfehlt, nicht mehr genauso hart bestrafen wie einen, der den Ball ersichtlich weder spielen kann noch spielen will.

Das ist im Sinne des Fairplay auch sinnvoll. Unabhängig davon sind dem Schiedsrichter ohnehin die Hände gebunden. Er muss die Regeln anwenden, wie sie es vorsehen. Das hat Néstor Pitana, der auch sonst eine exzellente Leistung bot, am Sonntagabend getan.

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