Die Investorenpläne der Bundesliga mobilisieren die deutschen Fußballfans. Der Streit ums liebe Geld eskaliert in den Stadien. Muss das sein?

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Pit Gottschalk dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Ein früherer Medienchef beim Deutschen Fußball-Bund hat seinerzeit die Tatsache gefeiert, dass in den Bundesliga-Stadien "Scheiß DFB!" gerufen wurde. Er sah in der öffentlichen Protestnote die Bestätigung, dass sein Verband immer noch die größere Marke war als die Bundesliga-Vertretung DFL selbst.

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Als Andreas Rettig im Herbst beim DFB die Verantwortung für die Nationalmannschaften übernahm, gab er in seinem ersten Interview (im OMR-Podcast bei Philipp Westermeyer) sein ganz persönliches Ziel für ein besseres Image aus: Die Zuschauer in den Stadien sollten irgendwann eben nicht mehr "Scheiß DFB!" rufen.

Vermutlich erreicht der neue DFB-Direktor Rettig sein Ziel früher als gedacht. Seit die Ultra-Fans begriffen haben, dass die Deutsche Fußball-Liga (DFL) die Geschicke der Bundesliga lenkt und nicht der DFB, richtet sich ihr Protest an den richtigen Adressaten. Sie schreien seit Wochen: "Scheiß DFL!"

Der DFL im Visier der Ultras

Die Investorenpläne der DFL machen den Anhang so wütend, dass sie wahlweise Schokotaler oder zuletzt Tennisbälle auf den Rasen werfen und die Spiele stören. Das Zweitliga-Topspiel Hertha BSC gegen den HSV (1:2) pausierte 32 Minuten lang, damit alles weggeräumt werden konnte, und stand kurz vor dem Abbruch.

Kurios ist das Verhalten der BVB-Ultras. Ihr eigener Geschäftsführer Aki Watzke, in Personalunion DFL-Aufsichtsratsvorsitzender, hat den Investorenplan bei den 36 Erst- und Zweitliga-Klubs gegen alle Widerstände durchgeboxt. Er bleibt bei den Protesten aber verschont. Die Ultras rufen sinnbefreit: "Scheiß DFL!"

Der kurze Abriss zeigt, wie verworren und verfahren die Situation zwischen DFL und Anhang inzwischen ist. Argumente zählen nicht mehr, sondern Ideologie. Protestkundgebung ersetzt Kompromissbereitschaft. Engstirnig nehmen die Ultra-Fans für sich in Anspruch, sie allein könnten den Fußball retten - ihren Fußball.

Sie nennen es "Werte" und legitimieren in einem diktatorischen Ton das Zünden von Pyrotechnik oder halt Proteste, die fast zum Spielabbruch führen. Sind das die Risiken und Nebenwirkungen, die eine Minderheit im Publikum der Mehrheit im Fußballstadion und vorm Fernsehgerät aufzwingen darf? Wie weit darf Protest gehen?

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht nicht darum, ob Fanprotest inklusive zugespitzter Meinungsäußerung seine Berechtigung hat - das hat er! Und auch nicht darum, ob die DFL-Pläne mit milliardenschweren Investoren kritikwürdig sind - das sind sie! Aber deswegen ein Bundesliga-Spiel eine halbe Stunde lahmlegen?

Eine Frage der Verhältnismäßigkeit

Die Selbstgerechtigkeit, mit der Ultra-Fans ihre Existenzberechtigung in der Kurve legitimieren, klingt nach Klimaklebern, die das Brandenburger Tor besprühen, und nach Landwirten, die den Frankfurter Flughafen versperren. Oder wie es Alex Steudel in seiner Kolumne formuliert: als ob man vor der Kreissparkasse Bad Oeynhausen gegen die US-Zinspolitik demonstriert.

Es geht um die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Die Ultras kommen dann schnell mit dem Totschlag-Argument, man müsse "den Zusammenhang sehen". Kritikern wird unterstellt, sie seien "nicht im Thema". Was für eine Anmaßung. Besonders wirr war der Hertha-Capo, der die Tennisbälle damit begründete, das sei nicht mehr der Fußball, den er kennengelernt habe.

Ihm kann man nur zurufen: Dann hast du vom Fußball noch nicht viel gesehen. Immer nur den Alleinbesitz der höheren Wahrheit für sich zu proklamieren, verbessert die Argumentation nicht. Der Austausch von Argumenten gehört ebenso zu unserem Miteinander wie das Akzeptieren, dass andere ebenfalls eine Meinung haben - und die Mehrheit bekamen.

Muss die DFL den Austausch suchen? Ja, gar keine Frage. Aber auch hier gilt Verhältnismäßigkeit. Die Ultra-Fans, die sich als die wahren Fußballfans verstehen, sind eine Minderheit. Und ein Gespräch führen, heißt nicht, dass man Recht bekommt oder alles bestimmen kann, aber sehr wohl, dass man Vertrauen aufbaut und Zuverlässigkeit ausstrahlt.

Verwendete Quellen

Über den Autor

  • Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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