Hansi Flick ist wütend, dass die Nationalelf ein Jahr vor der Heim-EM in der Krise steckt. Im Kicker-Interview holt der Bundestrainer zum Rundumschlag aus. Aber wenn er Erfolg will, muss er sich ändern.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Welchen Bundestrainer hätten wir denn gerne? Einen, der Kritik als "Dreistigkeit" empfindet und als "Unverschämtheit" brandmarkt? Oder einen, der Niederlagen persönlich nimmt, weil sie ihn "ankotzen"? Vielleicht braucht Deutschland auch einen Bundestrainer, der Gefühle zeigt und seine "große Liebe" verehrt.

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Dann wäre Hansi Flick genau der richtige Bundestrainer. Ein Jahr vor der Europameisterschaft im eigenen Land ist nichts mehr von jenem Vereinstrainer zu sehen, der Bayern München souverän zu sechs Titeln führte, Gewinn der Champions League inklusive. Flick zeigt zu viele Gesichter.

Ein Bundestrainer mit vielen Gesichtern

Im Kicker-Interview präsentierte Flick gestern seine Macherseite: Die EM-Vorbereitung beginne jetzt und nehme keine Rücksicht auf große Namen. Noch vor einer Woche hatte er die Forderung des Vereinsmanagers Oliver Ruhnert (Union Berlin) nach mehr Leistungsprinzip barsch zurückgewiesen. Ja, was denn nun?

So entsteht das Bild eines Bundestrainers, der unbedingt Erfolg will, aber ahnt, dass seine Glaubwürdigkeit unter der bisherigen Bilanz leidet. Von 24 Länderspielen hat er nur die Hälfte gewonnen. Sieben Unentschieden und fünf Niederlagen, dazu die verkorkste WM 2022, belasten ihn sehr.

Dabei gilt in der Trainerbranche ein eisernes Gesetz, das Jörg Berger so formuliert hat: "Als Trainer darfst du deinen Kopf verlieren, aber niemals dein Gesicht." Ein Bundestrainer darf nicht zurückschlagen, wenn sich aus guter Tradition im ganzen Land 80 Millionen Bundestrainer zu Wort melden und alles besser wissen.

Zuversicht statt Kampfparolen

Ein Bundestrainer muss duldsam sein, lächelnd hinnehmen, was der Kanon an Missklängen produziert. Hansi Flick ist ja in einer komfortablen Position: Er alleine entscheidet, wer das Erlebnis eines Heim-Turniers erfahren darf. Nur Rudi Völler, sein Sportchef beim DFB, muss einverstanden sein.

Kampfparolen haben immer den Beiklang von Durchhalteparolen, und wer durchhalten muss, steckt in einer Not. Man riecht seinen Angstschweiß. Aber niemand vertraut einem Bundestrainer, der Angst hat. Zuversicht zeigen, das heißt auch: nicken und entscheiden. Hansi Flick kann mehr, als er gerade zeigt.

Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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