Als gegen 22:20 Uhr in Bielefeld abgepfiffen wurde, kochten die BVB-WhatsApp-Gruppen auf meinem Handy über. Was sich bereits monatelang angedeutet hatte, war nun endgültig besiegelt: Der FC Schalke steigt in die 2. Bundesliga ab.

Christopher Giogios
Eine Kolumne
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Eine leidenschaftliche Feindschaft ruft auf manchen Ebenen ganz ähnliche Gefühle hervor wie die Liebe zu einem Fußballverein. Obwohl die Chance auf den Klassenerhalt seit Wochen nur noch rechnerischer Natur war, durften die Schalker Fans ebenso wie schadenfrohe Dortmunder das surreale Szenario am Dienstagabend wohl ähnlich ungläubig erleben: Es passiert wirklich, Schalke steigt tatsächlich ab.

Gespaltene BVB-Fans: zwischen Mitleid und Schadenfreude

Die Dortmunder Fans waren schon seit Monaten zweigeteilt. Da gibt es die, die trotz aller Rivalität einem Traditionsverein hinterhertrauern, dessen Zukunft nun völlig unklar ist. Die Romantiker, die auf die Solidarität der Ruhrpottvereine untereinander pochen. Aber natürlich gibt es auch – wenig überraschend – BVB-Fans, die den Niedergang des Erzrivalen ähnlich enthusiastisch feiern wie einen Dortmunder Pokalsieg.

So gingen wenige Minuten nach der entscheidenden 0:1-Niederlage in Bielefeld an mehreren Orten in Gelsenkirchen Feuerwerkskörper in die Luft.

Was war passiert? Dortmunder Ultras sollen sich wohl tatsächlich in das gegnerische Terrain aufgemacht haben, um im Moment der Niederlage Böller und Raketen zu zünden und die Schalker in ihrer eigenen Stadt zu demütigen. Beim BVB-Fanzine "schwatzgelb.de" verkauft man seit Dienstagabend gar ein Absteiger-Shirt zum symbolischen Preis von 19,04 Euro.

Der Fußball braucht Traditionsvereine, aber auch die emotionale Rivalität

Fußball, das haben gerade die letzten Tage und der Wirbel um die Super League gezeigt, ist ein Spiel der Fans, ein Spiel der Emotionen. Natürlich sieht man als Fußballfan lieber einen Traditionsverein wie den FC Schalke mit einer lautstarken und reisefreudigen Anhängerschaft in der Bundesliga, als gegen die Leipziger Filiale von Red Bull oder die TSG Hoffenheim zu spielen. Aber was bleibt von der so oft beschworenen Emotionalität übrig, wenn man sich nicht auch leidenschaftlich über den Abstieg des Rivalen freuen kann?

Schön und gut: natürlich wird es vorerst keine Derbys mehr in der Bundesliga geben. Zwar ist der BVB dem S04 sportlich enteilt, was sich deutlich in den vergangenen Revierderbys bemerkbar machte (3:0 und 4:0). Aber offen gesagt ist dieses Spiel und die Angst vor der Schmach einer Derbyniederlage so stressig, dass ich auf diese Begegnungen fürs Erste gut und gerne verzichten kann.

Wenn ich daran zurückdenke, wie Gerald Asamoah vor dem Derby 2007 bei "Reviersport" großspurig verkündete, er werde barfuß über die A40 nach Gelsenkirchen zurücklaufen, wenn Schalke in Dortmund Meister wird (am Ende verhinderte der BVB durch ein 2:0 die blau-weiße Meisterschaftsparty), dann stellt sich doch ein gewisses Maß an Genugtuung ein, den Ur-Schalker (heute in Funktion des Teammanagers) nach dem Abstieg um eine Erklärung ringen zu sehen.

Als der BVB 2005 vor dem finanziellen Kollaps stand, hat man aus Gelsenkirchen auch kein Mitleid bekommen. Warum auch? Die Feindschaft zwischen Schwarz-Gelb und Blau-Weiß existiert schließlich nicht, um sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen. Ich kann jedenfalls auf Schalker Krokodilstränen gut und gerne verzichten.

Das mag alles banal klingen, aber was wären solche emotional aufgeladenen Rivalitäten ansonsten überhaupt noch wert? Manchmal ist man eben auf der Gewinner-, manchmal auf der Verliererseite. Und so, wie sich für BVB-Fans Gerald Asamoah und andere Schmähungen ins Gedächtnis eingebrannt haben, so werden auch die Schalker die Dortmunder Häme am 20. April 2021 niemals vergessen und beim nächsten Derbysieg umso mehr Genugtuung verspüren. Genau das ist es, was das Revierderby so besonders macht.

Viel Spaß in der 2. Liga, FC Schalke 04.

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