Ein Münchner Verteidiger fügt seinem Bielefelder Gegenspieler durch einen heftigen Armeinsatz eine Kopfverletzung zu. Doch nicht der Schiedsrichter stellt ihn dafür vom Platz, sondern sein eigener Trainer. Unterdessen wird ein Kölner in Mönchengladbach für sein "hohes Bein" richtigerweise nicht behelligt.
Weitgehend einig waren sich die beiden Cheftrainer in der Bewertung des Luftzweikampfs zwischen
Sowohl der Bielefelder Übungsleiter
Nagelsmann hatte Nianzou sogar zur Pause vom Feld genommen und das als "kleine erzieherische Maßnahme" bezeichnet. "Man muss lernen, da ein bisschen vorsichtiger reinzugehen", sagte er. Kunze war nach dem Treffer an Kopf und Hals minutenlang auf dem Platz behandelt und dann ausgewechselt worden.
Nianzous Arm als "Werkzeug" oder als "Waffe"?
Dass beide Trainer in ihrem Urteil über eine Entscheidung des Unparteiischen so nahe beieinander liegen, ist ungewöhnlich. Trotzdem lohnt es sich zu analysieren, warum der Referee anders entschieden und der VAR von einem Eingriff abgesehen hat. Ohne Zweifel wollte Nianzou im Duell mit Kunze den Ball mit dem Kopf erreichen. Zu diesem Zweck sprang er mit angewinkelten Armen auf die Kugel und seinen aus der Gegenrichtung kommenden Gegenspieler zu.
Er verfehlte jedoch den Ball, dafür traf er Kunze mit dem Unterarm und einem Teil des Ellenbogens seitlich am Hals und am Kopf. Der günstig positionierte Schiedsrichter Jöllenbeck zeigte Nianzou ohne jedes Zögern die Gelbe Karte. Die Unparteiischen orientieren sich bei der Bewertung von Armeinsätzen in Luftzweikämpfen seit vielen Jahren daran, ob der Arm eher als "Werkzeug" oder eher als "Waffe" benutzt wird. Ersteres ist beispielsweise bei einem Stoßen der Fall, Letzteres etwa bei einer Schlagbewegung.
Eine Rolle spielt dabei auch, ob die Ellenbogenspitze eingesetzt wird – was die Verletzungsgefahr erheblich erhöhen kann – oder der Unterarm, ob das Gesicht des Gegners getroffen wird oder der Hals und nicht zuletzt auch, wie hoch die Intensität eines Treffers ist. Der Übergang zwischen "Werkzeug" und "Waffe" kann fließend sein, weshalb auch der Ermessensspielraum des Schiedsrichters gefragt ist.
Rot für Nianzou wäre die bessere Entscheidung gewesen
Wenn man bei Nianzous Einsatz das sogenannte Trefferbild zugrunde legt – ein Stoß im Sprung mit dem Unterarm gegen den Hals und nicht etwa ein Schlag beim Ausholen mit dem Ellenbogen gegen den Kopf –, dann ergibt sich ein Ermessensspielraum, um die Verwarnung zumindest nicht als klaren und offensichtlichen Fehler zu bewerten.
Die hohe Intensität des Treffers hingegen und die Wucht des Einsatzes sind schwerwiegende Argumente für einen Feldverweis. Eine Rote Karte wäre die bessere Entscheidung gewesen. Nianzou hatte vermutlich vor, seinen Arm als "Werkzeug" einzusetzen – aber im Ergebnis hat er mehr als "Waffe" gewirkt.
Und dies übrigens unabhängig davon, dass Kunze ausgewechselt werden musste. Der Unparteiische kann und soll bei der Bestimmung des Strafmaßes nicht erst abwarten, ob sich eine Verletzungsfolge ergibt, sondern die Verletzungsgefahr anhand des Körpereinsatzes einschätzen.
Das heißt: Für eindeutig brutale Fouls gibt es auch dann eine Rote Karte, wenn das Opfer unversehrt bleibt und problemlos weiterspielen kann. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass eine Verletzungsfolge nicht immer zu einem Feldverweis führt, sofern der Körpereinsatz entlang der Kriterien wie Trefferbild und Intensität nicht dafür spricht.
Warum Kainz‘ "hohes Bein" regelkonform war
Manchmal liegt bei einer Verletzung als Folge eines Zweikampfs sogar nicht einmal ein Foulspiel vor. So wie in der Begegnung von Borussia Mönchengladbach gegen den 1. FC Köln (1:3) nach 34 Minuten im Vorfeld des dritten Treffers der Gäste. Da hatte Florian Kainz an der Seitenlinie im Zweikampf mit Matthias Ginter sein rechtes Bein durchgestreckt und auf Bauchhöhe gehoben. Mit den Stollen erreichte er den Ball, den er so zu seinem Mitspieler Mark Uth spielte.
Ginter streckte sein Bein ebenfalls zum Ball, doch er kam einen Moment zu spät und verfehlte ihn, stattdessen trat er von unten gegen das Bein von Kainz. Während der Kölner davon unbeeindruckt blieb und sein Team kurz darauf zum 0:3 traf, wälzte sich der Mönchengladbacher Abwehrspieler auf dem Rasen.
Schiedsrichter Deniz Aytekin gab den Treffer, schaute sich die Szene dann jedoch nach Rücksprache mit VAR Sören Storks noch einmal am Monitor an. Er brauchte allerdings nicht lange, um zu entscheiden: Der Einsatz von Kainz war und bleibt regelkonform. Diese Entscheidung war richtig, sie folgte der gewünschten Regelauslegung in solchen Situationen.
Aytekin erklärt und beruhigt so die Gemüter
Demnach soll in Duellen, bei denen der Ball für beide Spieler erreichbar ist, in aller Regel nicht auf gefährliches Spiel oder auf Foul erkannt werden, wenn ein Spieler mit "langem" oder "hohem Bein" in den Zweikampf geht, aber klar zum Ball orientiert ist und diesen auch eindeutig spielt, bevor es zu einem Körperkontakt mit dem Gegner kommt.
Das heißt: In Situationen, in denen vor allem auf den Amateurplätzen gerne gerufen wird, der Gegner habe doch verbotenerweise "den Schlappen drübergehalten", um an den Ball zu gelangen, sollen die Unparteiischen bei einem kontrollierten Spielen des Balles im Normalfall weiterspielen lassen. Das hat Deniz Aytekin richtigerweise getan, das On-Field-Review wäre eigentlich gar nicht erforderlich gewesen.
Nachdem er vom Monitor aufs Feld zurückgekehrt war, erläuterte der Referee sowohl dem Trainer der Gladbacher, Adi Hütter, als auch Matthias Ginter, warum er nicht auf Foulspiel entschieden und das Tor anerkannt hatte.
Zu solchen Erklärungen sind Schiedsrichter zwar nicht verpflichtet. Aber durch Transparenz können sie, wenn es die Situation zulässt, die Gemüter beruhigen. Eben das das gelang Aytekin, der dieses Lokalduell schon zum fünften Mal pfiff – und es erneut jederzeit fest im Griff hatte.
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