"Sag doch einfach, wir fahren." Am Heck des LT klebt der Slogan, der für ein ganzes Jahr und noch viel mehr eine tragfähige Basis der Entdeckungsfreude sein kann. Nein, eher muss! Denn Kerstin ist seit Anfang Juli dieses Jahres mit ihrem 1983er-Volkswagen unterwegs durch Europa. "Erst nach Norden, so ungefähr, nach Norwegen vielleicht. Dann nach Süden. Mal schauen." So ganz genau weiß sie es nicht. Und man hat schwer das Gefühl, dass sie es auch noch gar nicht wissen will. Denn Europa ist groß – wie ihr Mut. Und Nicki ist solide. Und sympathisch, ein sympathischer grüner Frosch eben. Wenige Tage vor der Abfahrt treffen wir uns mit den beiden in ihrer fränkischen Heimat.
Fahrzeugdaten VW LT
- Basis: VW LT 28 D, Typ 281, EZ: 16.09.1983, L x B x H: 5450 x 2040 x 2830 mm (inkl. Hochdach), Gewicht/zul. Gesamtgewicht: 2.265/2.800 kg, Farbe: escorialgrün LT 6A.
- Technik: 6-Zyl.-Diesel, 2.355 cm3, 75 PS bei 4.300/min, 142 Nm bei 3.000/min, Vmax: 120 km/h, zul. Anhängelast: 2.000/750 kg, Tank: 70 L, Zusatzluftfederung Linnepe, Heckträger: Eigenbau, max. Zuladung: 175 kg.
- Ausbau: Hecksitzgruppe umbaubar zum Bett (133 x 180 cm, Matratze: 10 cm + Topper 5 cm), Zweiflamm-Gaskocher, Spüle, Dusche, Warmwasserboiler (Truma, 10 L), Kühlschrank (Electrolux), Markise (Omnistor), Frischwassertank (ca. 40 L), Gasstandheizung (Trumatic S 2000), 1 Schiebe-, 3 Ausstellfenster, Bordelektrik mit Solaranlage, 2 x 100 Watt.
Vorbereitung auf die große Reise
Man merkt Kerstin an, dass kurz vor einer Reise immer viel und immer noch viel mehr zu tun ist. Zwischenmieter für die Wohnung wollen gefunden werden, noch einmal eine Party mit den Freunden gefeiert – da kommt eine halbe Hundertschaft zusammen –, und der grasgrüne Reiseklassiker hätte auch gerne noch ein paar Streicheleinheiten.
Trotzdem nimmt sich Kerstin Zeit für die Plauderei zu ihrem wilden Unterfangen: "Ich bin jetzt Ende fünfzig und war schon ganz schön viel unterwegs in der Welt, oft mit dem Rucksack", erzählt sie, der das Draußenschlafen ebenso wenig etwas ausmacht wie das Baden in freien Gewässern. "Wenn wir uns jetzt nicht zum Quatschen getroffen hätten, wär ich wahrscheinlich schon im Wasser", meint sie lächelnd und nickt kurz in Richtung des Teichs, an dem wir stehen. Dass in ihrem LT eine Dusche verbaut ist, das weiß sie. Aber so richtig wichtig scheint die Info nicht, in der Nasszelle lagern Klamotten und eine Ersatzbatterie. Libellen schwirren derweil durch die heiße Sommerluft, aus der Ferne hört man die Geräusche geschäftiger Landwirtschaft.
Neben uns parkt Kerstins LT, über dessen Geschichte sie leider nur sehr wenig zu berichten weiß. "Aber das macht doch nichts – das Camperleben spielt sich für mich im Jetzt ab. Wenn ich was zur Historie erfahre, dann freue ich mich. Aber wichtiger ist doch, dass der Frosch zuverlässig fährt, oder?" Klar, sie weiß, wovon sie spricht, einmal auf einer vierspurigen Einfallstraße liegen bleiben, um mit Getriebeschaden abgeschleppt werden zu müssen, das reicht ihr. "Da bin ich in Nürnberg gestrandet und hab sogar einen Stau verursacht", blickt sie zurück, die Schaltbox riss ein vierstelliges Loch in die Kasse. "Und trotzdem würde ich das Projekt sofort wieder angehen!"
Corona hat die Reiseplanung verändert
Die ersten "Camper-Ideen" hatte Kerstin bereits im Jahr 2015 während einer kurzzeitigen Arbeitslosigkeit. Doch letztlich sollte es noch fünf Jahre dauern, bis sie ihr Vorhaben vom eigenen Reisemobil in die Tat umzusetzen vermochte. "Ich war Ende März 2020 einfach so frustriert, dass ich gezielt nach einem passenden Bulli oder LT zu suchen begann", plaudert sie aus dem Nähkästchen. Nach einer Weile rückten zwei Fahrzeuge in den Fokus: "Der erste Wagen, den ich mir anschaute, der war leider ziemlich eklig und runtergerockt, das war nichts für mich. Dann aber traf ich auf diesen grünen LT …"
Sie hält kurz inne, blickt über die Schulter zum kantigen Hannoveraner: "Ist doch ein cooles Teil, oder?" Mitten in der ersten Hochphase der leidigen Pandemie, als der Hype um jegliche Art von Individualreisemobil zu brummen begann, fand die Besichtigung statt. "Direkt am 1. Mai schaute ich mir das Auto an – ich hab mich sofort verliebt." Ein guter Freund mit Oldie-Erfahrung war bei der Besichtigung dabei und hob ebenfalls den Daumen, "zwei Wochen später hab ich den LT umgemeldet". Details wie Gas- oder Hauptuntersuchung oder auch die Oldtimerzulassung hatte bereits der Vorbesitzer abgehakt, "ich konnte direkt in ein verlängertes Wochenende durchstarten", freut sie sich. "Wir hatten eine wunderbare Zeit, fanden tolle Plätze zum Übernachten. Da war mir klar, dass das einfach passt mit uns beiden."
Es gab eine erste Reise, es gab eine zweite, dann kam jene mit dem Getriebeschaden bei Nürnberg, "und trotzdem möchte ich meinen Nicki auf keinen Fall mehr hergeben", versichert die stolze Besitzerin. Den Spitznamen erhielt der LT übrigens von ihrer besten Freundin Moni. "Auf der Heimfahrt vom Kauf hab ich ihr ein Selfie geschickt. Die war total aus dem Häuschen und hat mich für meinen Mut bewundert", meint Kerstin lachend. Kurz darauf kam dann auch eine passende Plüschfigur hinzu, "Nicki, der grüne Frosch" war in Kerstins Leben angekommen.
Die große Reise rückt näher
Doch letztlich sollte es mit Nicki nicht nur ins Wochenende gehen: Bereits 2018 hatte Kerstin die Idee einer großen Reise im Hinterkopf, doch dann fand sich Anfang 2019 ein guter Job, "und den gibt man ja nicht so einfach mal auf, um ein Jahr lang wegfahren zu können", meint sie nachdenklich. Doch dann kam Corona, "und jetzt war klar, dass ich losfahren will, nein, muss".
Spätestens im Sommer 2023 sollte es endlich auf die Piste gehen; die Jobs, die sich mittlerweile im Homeoffice wie im mobilen Büro stemmen ließen, waren eine ideale Voraussetzung. Eine profunde Ausbildung in mehreren Bereichen ist eben stets hilfreich, wenn das Fernweh lockt. Immerhin ist sie ausgebildete Buchhalterin, gelernte Außenhandelskauffrau im Fachbereich Holz, "und staatlich geprüfte Küchenspezialistin bin ich auch noch, ich hab schon eine ganze Weile Einbauküchen geplant und verkauft, meine Güte!"
Details zum Einbau
Jene im LT indes fand sie schon vor, Design und Zuschnitt gefallen ihr, "das dunkle, robuste Holz gibt dem Wohnbereich den Charme einer gemütlichen Höhle", freut sie sich. "Und ich bin halt ein Kuschelmensch." Wer den Einbau vornahm, das weiß sie leider nicht, Aufkleber am Heck deuten einen Ausbau im Hause Fleischhauer an. Immerhin hat das von Jacob Fleischhauer anno 1924 in Köln-Raderberg gegründete Unternehmen eine große VW-Erfahrung, auch wenn die ersten Schritte mit dem Verkauf und der Reparatur von Ford-Modellen getan wurden.
1932 kam ein Vertrag mit der Auto-Union zu Stande, 1948 erhielt das Unternehmen die Generalvertretung für Volkswagen und Porsche in den Regierungsbezirken Köln und Aachen, heute sind rund 1.200 Menschen in der Unternehmensgruppe Fleischhauer beschäftigt. Nur fanden sich bislang leider keinerlei Unterlagen oder Dokumente zum LT im Firmenarchiv. "Eigentlich schade, denn der Ausbau ist durchdacht und praktisch", versichert Kerstin, während sie ihr Fahrrad am Heckträger in die Höhe kurbelt, "ohne mein Rad starte ich auf keine Reise!" Und wieder schmunzelt sie ihre Lachfältchen herbei.
Dann aber wird sie nachdenklich, der Druck der Vorbereitungszeit wird spürbar, sie berichtet von der Skepsis aus dem sozialen Umfeld: "Verrennst du dich nicht? Das war so eine der wichtigsten Fragen – und man wird nachdenklich", bestätigt Kerstin ernst.
"Und dann fragte ich mich natürlich schon: Bin ich wirklich diejenige, die das hier durchzieht, so ganz alleine? Das sind zwiespältige Gefühle, oft auch sorgenvolle, mitunter düstere. Aber spätestens dann, wenn ich im Bus sitze, verfliegt das alles, dann bin ich in einer anderen Welt. Dann ist der Druck weg, dann spüre ich die Freiheit." Sie schüttelt leicht den Kopf, ein wenig staunend über sich selbst, verabschiedet sich, steigt ein: "Weißt du, eigentlich bin ich ein sehr strukturierter Mensch. Aber das ist nur die eine Kerstin. Es gibt da noch eine andere." Sie grinst mich an, schelmisch, vorfreudig – und ich bin sicher, dass mich da gerade "die andere" Kerstin angrinst!
Epilog
Direkt nach unserem Treffen startet Kerstin Lohmann Richtung Norden, Bilder norwegischer Fjorde zeugen von ihrer Reise. Ganz offensichtlich fühlt sie sich wohl, und auch Nicki geht’s gut, wir halten Kontakt. Nur exakte Reisepläne hat sie auch jetzt noch nicht, "das findet sich", versicherte sie mir im Sommer bei der Abfahrt. Passend fiel mir auf dem Rückweg vom Gespräch eine Episode ein, die ich mal über "Woodstock" gelesen hatte, die aber genau auf Kerstin passt.
Denn im August 1969 trat als letzter Künstler Jimi Hendrix auf, am Montagvormittag verließ er kurz nach 11.00 Uhr, der Zeitplan war grandios aus den Fugen geraten, die Bühne. Er liefert hierbei mit "Hey Joe" den passenden Abschluss eines epochalen Ereignisses, denn im Song finden sich die Zeilen "Where you gonna run to now, where you gonna go?" In diesem Sinne: Gute Reise, liebe Kerstin!
Fahrzeughistorie VW LT
Raum auf Rädern!
Seine Weltpremiere durfte der LT im April 1975 in Berlin begehen, oberhalb des noch sehr rundlich gezeichneten VW Bulli platzierten die Hannoveraner einen echten "Lasten-Transporter". Das Angebot spreizte sich vom LT 28 bis zum LT 55, als Zuladung vermerkt waren 1.250 bis 3.500 Kilo, eine Vielzahl an Ausführungen stellte den LT breit auf.
Motor? Vorne!
Schon früh hatte man sich für die platzsparende Frontlenker-Bauweise mit Frontmotor entschieden. Anfangs gab es den aus dem Audi 100 entlehnten Vierzylinder-Benziner mit 75 PS aus zwei Litern Hubraum und den 2,7 Liter großen Perkins-Diesel mit 65 PS. Volkswagen ersetzte den 1979 durch den ersten eigenen Sechszylinder-Diesel mit 2,4 Litern, 1983 kam sogar ein Turbo.
Fernweh-Gene
Aufgrund seiner Qualität und Zuverlässigkeit gepaart mit der großen Nutzfläche bei kompakten Abmessungen wurde der LT rasch zu einer beliebten Basis für Reisemobile, bis heute sieht man so manches Exemplar auf der Straße. So wunderte es 1988 auch niemanden, dass VW neben dem kompakten California im Gewand des T3-Bulli auch ein Reisemobil auf dem Fundament des LT präsentierte: Mit dem Florida bot Volkswagen ein vollwertiges Reisemobil für vier Personen. Nach 21 Jahren und über 470.000 produzierten LT war 1996 dann die Zeit reif für einen Nachfolger – doch das ist eine andere Geschichte. © Promobil
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