- Es ist verzwickt: Eltern möchten gerne möglichst gut über ihr Kind Bescheid wissen.
- Sie stellen aber Fragen, bei denen die Antworten meist schon programmiert sind.
- Wer es richtig angeht, erfährt nicht nur mehr, sondern macht seinem Nachwuchs ein großes Geschenk.
Viele Eltern würden allzu gern mal Mäuschen spielen in der Schule. Um genauer zu wissen, was sich dort eigentlich abspielt. Fragen sie nämlich ihr Kind "Wie war es heute in der Schule?", kommt meistens dieselbe knappe Antwort: "gut", "blöd", "mittel", "na ja!". In mühsamer Puzzlearbeit versuchen manche Mamas und Papas, sich Informationen zu beschaffen, etwa über Eltern von Klassenkameraden. Die haben aber meist genau dasselbe Anliegen: "Ich wünschte, mein Kind würde mehr erzählen!"
Also liegt die Frage nahe: Können Eltern etwas tun, um mehr zu erfahren? Floskelhafte Fragen könnten zwar ein nettes Ritual zur Begrüßung sein, meint Julia Herian von der Caritas München Süd, die an Schulen Eltern in Erziehungsfragen berät. "Man darf nur nicht enttäuscht sein, wenn vom Kind dann wenig zurückkommt", fügt die Pädagogin und systemische Therapeutin an.
Auf Floskeln verzichten: Einen Versuch wert
Wer mehr als Floskel-Antworten hören möchte, sollte auch auf Floskel-Fragen verzichten. Mehr erfahre man meistens mit konkreten Fragen wie "Ist heute irgendwas besonders Lustiges passiert?", "Musste die Lehrerin heute mal schimpfen?", "Was hat dir heute ganz besonders Spaß gemacht?"
Herian nennt weitere Ideen: "Hallo! Schön, dass du da bist" "Ich freu mich, dich zu sehen", "Da bist du ja, ich habe dich vermisst!", "Ich freue mich schon auf das Essen mit dir!" "Das sind Kontaktaufnahmen, die erst mal ein Gefühl von Geborgenheit geben und aus denen sich dann oft Gespräche ergäben", sagt sie.
Eine weitere Möglichkeit gehe in die Richtung "Emotionscoaching": "Vor allem Kinder in der ersten und zweiten Klasse sind noch nicht immer in der Lage, sich selbst zu verstehen. Was in der Schule vorgefallen ist, mit ihrer Gefühlslage in Verbindung zu bringen, fällt schwer. Hier kann man sie unterstützen."
- Beispiel: Das Kind kommt nach Hause, der Gesichtsausdruck mürrisch. Statt "Was war denn jetzt schon wieder los?" sagen Eltern: "Hey, bist du traurig? Oder wütend? Wie geht‘s dir denn?"
"Ich versuche also erst mal, die Emotion, die ich beim Kind wahrnehme, zu erkennen, in Worte zu fassen und ihm zu spiegeln", erklärt Herian. "Man stellt eine Verbindung her zu dem, was passiert ist. Zum Beispiel: ,Du bist aber aufgedreht! Ist was Besonderes passiert?"
In welchen Situationen Kinder in Gesprächslaune sind
Noch wichtiger als die Fragen ist laut Herian der Zeitpunkt. "Hier kann man mal auf seinen Alltag schauen: Wann und wo haben wir überhaupt die Ruhe, miteinander zu sprechen? Schnell zwischen Mittagessen und Gitarrenunterricht entstehen keine guten Gespräche." Wie von allein ergäben sie sich dagegen bei gemeinsamen Aktivitäten: "Das ist oft das Abendessen, vor allem wenn Eltern mit gutem Beispiel vorangehen und von ihrem Tag erzählen. Kinder ahmen das fast automatisch nach", beobachtet die Pädagogin. Typische Situationen seien auch gemeinsames Kochen oder Backen, Spaziergänge, Roller- und Autofahrten. "Kinder kommen besser ins Reden, wenn gerade keine ,Face-to-face-Situation‘ herrscht, man sich also nicht gegenübersitzt und anschaut. Es ist ungezwungener, wenn nebenher noch andere Dinge passieren."
Viele Kinder wollen auch ihren Tag beim Zubettgehen noch einmal Revue passieren lassen. "Das tun schon Säuglinge, die abends schreien, um das Erlebte auf ihre Weise mitzuteilen", sagt Herian und fasst zusammen: "Alles, wo Entspannung herrscht, Nähe und Vertrautheit zu den Eltern und wo kein Zeitdruck ist: Das sind gute Situationen für Gespräche."
Wichtig: Frage ich für mich oder für das Kind?
Die Therapeutin hat aber noch einen grundlegenden Rat: "Wenn Eltern das Gefühl haben, sie stoßen mit ihren Fragen etwa nach Schulbelangen auf taube Ohren, sollten sich einmal selbst kritisch fragen: Geht es mir gerade darum, meinem Kind Raum zu geben, damit es erzählt, was es gerade bewegt? Oder ist es vor allem meine eigene Neugier, die ich stillen möchte? Möchte ich gerade vor allem informiert sein und wissen, ob ich als Mutter oder Vater aktiv werden muss?"
Sie kann die Neugier von Eltern verstehen: "Wir lieben unsere Kinder, sind stolz auf sie und wollen möglichst viel teilhaben: Was kam in der Probe dran, was war genau los?" Doch jeder kenne es von sich selbst: Wir haben nicht immer Lust, etwas zu erzählen. "Vor allem nicht, wenn wir spüren: Unserem Gesprächspartner geht es gerade nicht wirklich um mich. Auch Kinder müssen nicht immer erzählen. Niemand ist immer gesprächsbereit. Manchmal wollen wir erst ankommen, Erlebtes muss sich setzen, Dinge sind noch nicht ausgegoren."
Das gelte es zu respektieren: "Unsere Neugier müssen wir auch mal ein Stück weit zurücknehmen und die Privatsphäre des Kindes akzeptieren. Je mehr Sie in solchen Momenten dranbleiben, desto weniger werden Sie wohl erreichen."
- Tipp: Besser als "Ach Mann, nie erzählst du mir was" wäre laut Herian eine Reaktion wie: "Schade, mich hätte das sehr interessiert, ich bin ja so neugierig, du kennst mich ja! Aber ich akzeptiere, dass du gerade nicht darüber reden willst. Vielleicht ergibt es sich ja ein andermal."
Kindern unbedingt dann zuhören, wenn sie es brauchen
Manche Kinder sind besonders schweigsam, andere sprudeln los, sobald sie durch die Tür kommen. Es sei also auch eine Typfrage. Zu meinen aber, Eltern hätten kaum Einfluss darauf, wie viel ihre Kinder preisgeben, wäre ein Trugschluss. Die Basis dafür lege sich schon im Kleinkindalter, sagt Herian und zitiert einen Satz:
- "Wenn du ihnen bei den kleinen Leiden nicht zuhörst, werden sie dir die großen Leiden auch nicht erzählen."
Schon sehr früh könnten wir Vertrauen schaffen, indem wir Kindern signalisieren: "Ich höre dir bei allem zu, ich nehme mir dafür die Zeit – egal, was es ist", beschreibt Herian. Doch wie sieht das ganz konkret im Alltag aus?
- 1. Beispiel: Das Kind schafft es nicht, seine Jacke anzuziehen. Statt es in solchen Momenten ungeduldig abzuweisen mit Worten wie "Ach komm, du bist doch schon vier, das kannst du doch!" wendet man sich ihm besser zu: "Wie kann ich dir helfen?"
- 2. Beispiel: Das Kind, das sonst nicht sehr viel erzählt, kommt in die Küche und ist offensichtlich in Gesprächslaune. "JETZT müssen wir alles stehen und liegen lassen, uns ihm zuwenden und zuhören." Wer das übergehe und in solchen Momenten, den Geschirrspüler weiter ausräume ("Ich kann jetzt nicht"), gar nicht oder nur halbherzig zuhöre, habe eine Chance vertan. "Das Kind wünscht sich jetzt Ihre volle Aufmerksamkeit, auch den Blickkontakt und Ihre Reaktionen".
Es sind also die vielen einzelnen Situationen, auf die es ankommt: "Wenn wir unserem Kind in entscheidenden Momenten den Raum geben, wenn das die typischen Reaktionen sind, die sie von uns zu erwarten haben: Dann stehen die Chancen gut, dass sie auch mit wirklich wichtigen Dingen zu uns kommen."
Therapeutin Herian: "Das Größte, was wir tun können, um glückliche Kinder großzuziehen"
Warum solch eine Beziehung Gold wert ist: Sie stärkt das Kind. Herian sagt sogar: "Es ist eigentlich das Größte, was wir tun können, um glückliche Kinder großzuziehen: ihnen das Gefühl geben, dass ich da bin. Die Gewissheit: Du kannst immer zu mir kommen. Und wenn nicht, dann vertraue ich dir, dass alles in Ordnung ist."
Wichtige Informationen würden Eltern immer erhalten, beruhigt sie, schließlich gebe es ja auch noch die Lehrer. "Viele Eltern wollen schon sehr nah am Geschehen dran sein, beobachte ich. Beim Kind kann das aber das Gefühl wecken: ,Mama und Papa managen alles für mich!‘" Sie rät Eltern, sich etwas mehr zu entspannen: "Wenn es brennt, werde ich es erfahren, und sonst weiß ich halt mal etwas nicht. Dem Kind tut es gut!"
Es entwickle Selbstbewusstsein, weil es sich als selbstwirksam erlebt: "Es spürt: Ich kann selbst entscheiden und das auch sagen, wenn ich mal etwas nicht erzählen möchte. Wir wollen ja Kinder, die Dinge auch allein regeln können, die kompetent sind. Genau diese Autonomie fördern wir, wenn wir solche Entscheidungen respektieren."
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