Mit einer Erkältung zum Arzt? Das ist lästig – lässt sich aber nicht vermeiden, wenn man eine Krankschreibung braucht. Abhilfe verspricht ein neuer Dienst, der die Bescheinigung per WhatsApp ausstellt. An dem Modell gibt es aber auch Kritik.
Die Nase läuft, der Hals kratzt und man friert selbst im dicken Wollpulli: Sie haben sich eine Erkältung eingefangen. Einen Arzt brauchen Sie für die Behandlung in den meisten Fällen aber eigentlich nicht.
Viele Menschen gehen aber trotzdem zum Arzt, auch wenn sie wissen, dass sie den Infekt eigentlich nur einige Tage lang zu Hause auskurieren müssten - weil sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) brauchen. Diese ist vorgeschrieben, damit man auch dann seinen Arbeitslohn bekommt, wenn man krank ist und ausfällt.
Das ist durch das Entgeltfortzahlungsgesetz festgelegt: Dieses sieht vor, dass Arbeitgeber eine Bescheinigung vorlegen müssen, wenn sie länger als drei Kalendertage wegen Krankheit arbeitsunfähig sind. Viele Unternehmen fordern die sogenannte Krankschreibung sogar schon ab dem ersten Krankheitstag.
Krankschreibung per Whatsapp: Neun Euro für den Dienst
Dieser Vorgang kostet nicht nur den Arzt Zeit, die er womöglich besser für andere Patienten nutzen könnte. Auch man selbst sitzt im Wartezimmer, obwohl man sich zu Hause besser auskurieren könnte – und steckt unter Umständen noch andere Patienten an.
Abhilfe verspricht jetzt die Dr. Ansay AU-Schein GmbH aus Hamburg: Sie stellt per Ferndiagnose eine AU für erkältete Patienten aus. Diese müssen dazu ihre Versichertenkarte fotografieren und ihre Symptome schildern. Passen diese zu einer Erkältung, wird man krankgeschrieben.
Die Bescheinigung gibt es zunächst per WhatsApp und außerdem per Post. Der Dienst kostet für gesetzlich Versicherte neun Euro. Wer nicht gesetzlich versichert ist, zahlt 16,08 Euro. Eine Anfrage kann man rund um die Uhr stellen.
Krankschreibung gilt für maximal drei Tage
Für den Dienst gelten allerdings einige Einschränkungen:
- Arbeitnehmer können ihn nur mit den eindeutigen Symptomen einer Erkältung in Anspruch nehmen, andere Erkrankungen sind bislang ausgeschlossen.
- Betroffene werden maximal für drei Tage krankgeschrieben und dies auch nicht rückwirkend.
- Es ist nicht möglich, eine Folgebescheinigung zu bekommen, falls man länger ausfallen sollte.
- Man kann den Dienst maximal zweimal im Jahr in Anspruch nehmen. Dadurch würden "Fälle von möglichem Missbrauch verringert", heißt es auf der Internetseite des Unternehmens.
Das klingt erst einmal praktisch – kann aber auch einige Nachteile haben: Die Daten laufen über WhatsApp und damit über einen Server in den USA. Anders als beim Arzt müssen Patienten eine Gebühr für die AU-Bescheinigung zahlen.
Arbeitgeber müssen die Bescheinigungen akzeptieren – auch wenn sie per WhatsApp per Ferndiagnose ausgestellt worden sind. So sagte ein Sprecher der Bundesvereinigung der Arbeitgeber auf Anfrage unserer Redaktion: "Bei Krankschreibungen gilt grundsätzlich, dass sich Arbeitgeber auf die Beurteilung des bescheinigenden Arztes verlassen müssen."
Nach geltendem Recht müssten Arbeitgeber auch Bescheinigungen akzeptieren, die bei einer telemedizinischen Untersuchung ausgestellt worden seien.
Ärztekammer sieht den Dienst kritisch
Offen sind allerdings noch einige Fragen. Die Ärztekammer Hamburg beispielsweise sieht den Dienst deshalb kritisch. Dies betrifft zum einen den Aspekt, dass der behandelnde Arzt einen Patienten weder sieht noch mit ihm spricht.
So sagte Pressesprecherin Nicola Timpe im Gespräch mit unserer Redaktion: "Wie stellt die Ärztin oder der Arzt sicher, dass der Mensch, der das Foto einer Versichertenkarte über WhatsApp schickt, tatsächlich krank ist und der Patient ist, der auf der Versichertenkarte genannt ist?" Husten und Heiserkeit seien am Telefon zumindest zu hören. "Über einen Fragebogen bei WhatsApp ist das aber nicht möglich."
Außerdem stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, ob Krankschreibungen aus der Ferne eigentlich legal sind. Dazu gibt es unterschiedliche Ansichten: Auf der Seite AU-Schein.de heißt es dazu: "Sind Krankschreibungen nicht ausgeschlossen von der Erlaubnis der Telemedizin?" Das Unternehmen gibt auch gleich die Antwort: "Das ist ein auch unter Ärzten viel verbreiteter Irrglaube."
Allerdings hat sich der Deutsche Ärztetag erst im vergangenen Jahr dagegen ausgesprochen, dass unbekannte Patienten eine Fernkrankschreibung erhalten.
In Hamburg, wo das Unternehmen laut Impressum gemeldet ist, gilt darüber hinaus bislang ein Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung. Wer dort Mitglied in der Ärztekammer sei und per WhatsApp eine Erkrankung diagnostiziere, verstoße gegen die Berufsordnung, sagt Timpe. Ärzte müssen einen Patienten dort also mindestens einmal gesehen haben, bevor Telemedizin überhaupt möglich ist.
Wer haftet bei einer Fehldiagnose?
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wer eigentlich haftet, falls es doch einmal zu einer Fehldiagnose kommt. Geschäftsführer Dr. Can Ansay äußerte sich zu einer entsprechenden Anfrage unserer Redaktion bislang nicht. Nach Ansicht der Hamburger Ärztekammer steht der behandelnde Arzt in der Pflicht: "Der Arzt haftet, wenn er eine Fehldiagnose gestellt hat und der Patient hierdurch nachweislich geschädigt wurde."
Es sei bislang nicht möglich, den Dienst abschließend zu beurteilen, da das Geschäftsmodell noch nicht vollständig vorliege, sagt Timpe. Klar ist für sie aber: "Eine Krankschreibung per WhatsApp ist nicht die Lösung für das Problem, dass sich ein Patient, der lediglich einige Tage seine Erkältung auskurieren sollte, in die Praxis begeben muss."
Die Hamburger Ärztekammer geht aber davon aus, dass es in Zukunft häufiger Angebote von gewerblichen Anbietern geben wird, die eine Fernbehandlung nutzen. Timpe sagt: "Wir sind durchaus offen dafür, neue technische Möglichkeiten in der Patientenversorgung zu nutzen. Aber es muss einen politischen Diskurs zu der Frage geben, wo künftig die Grenzen liegen sollen."
Der Maßstab dabei sollte immer der Schutz der Patienten sein. "Gewerbliche Anbieter verfolgen aber in der Regel monetäre Interessen, die nicht immer mit dem Schutz des Patienten konform gehen."
Insgesamt sind bei der Krankschreibung per WhatsApp vor allem noch einige rechtliche Fragestellungen zu klären. Arbeitnehmer, die es pragmatisch sehen, können den Dienst zwar aktuell gefahrlos nutzen, da die Arbeitgeber die Krankschreibung anerkennen müssen.
Trotzdem sollte man sich überlegen, wie viele Daten zu seiner Gesundheit man per WhatsApp preisgeben möchte.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Nicola Timpe, Pressesprecherin der Hamburger Ärztekammer
- Bundesvereinigung der Arbeitgeber
- Internetseite www.au-schein.de
- Website des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz: Entgeltfortzahlungsgesetz
- Ärzteblatt: "Fernbehandlung: Weg frei für die Telemedizin"
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