• Das Ende der Corona-Quarantäne im Südwesten Deutschlands erhitzt derzeit die Gemüter.
  • Nun zeigt eine Studie, dass viele Menschen ohnehin krank zur Arbeit gehen.
  • Welche psychologischen Gründe dahinter stecken können und warum man damit nicht nur sich, sondern auch dem Unternehmen schadet.

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In Bayern und Baden-Württemberg müssen sich Corona-Infizierte seit 16. November nicht zwingend in Isolation begeben. Stattdessen sollten sich Infizierte an neue verpflichtende Schutzmaßnahmen halten, etwa eine Maskenpflicht sowie Betretungs- und Tätigkeitsverbote etwa in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen.

Künftig ist es also im Südwesten Deutschlands erlaubt, auch mit positivem Corona-Test Arbeit zu gehen. Diese umstrittene Gesetzesänderung hat eine entscheidende Einschränkung, denn auch weiter gilt, dass Menschen mit Corona-Symptomen zuhause bleiben sollten. Ein eigentlich einfacher Grundsatz, auch für andere Erkrankungen: Wer sich krank fühlt, erscheint nicht bei der Arbeit.

Die Realität ist oft eine andere: Viele Menschen gehen aus einem falsch verstandenen Pflichtgefühl krank zur Arbeit. Eine Studie der Krankenkasse Pronova BKK hat etwa kürzlich ergeben, dass nur 28 Prozent der Deutschen konsequent zu Hause bleiben, wenn sie krank sind. Gut jeder zehnte Corona-Infizierte erscheint auch bei positiven Tests im Büro oder im Betrieb.

Krank zur Arbeit zu gehen, wird auch als Präsentismus bezeichnet. Was treibt Menschen zu diesem Verhalten, statt sich zu Hause in Ruhe auszukurieren? Laut Erfolgstrainer Damian Richter stecken zwei Urängste hinter diesem Phänomen, mit denen jeder Mensch mehr oder weniger stark konfrontiert wird.

Dabei handelt es sich zum einen um die Angst, nicht geliebt zu werden, und zum anderen um die Angst, nicht gut genug zu sein. "Diese beiden Urängste lassen uns Dinge tun, die wir nicht wollen, um Menschen zu gefallen, die wir selbst meistens eigentlich gar nicht mögen“, sagt Richter.

Niedriger Selbstwert und starkes Pflichtgefühl

Die Grundlage für dieses Verhalten entwickelt sich meist schon in der Kindheit und Jugend. "Wir lernen, anderen zu gefallen“, sagt Richter. "Ganz egal, ob das der Grundschullehrer, Kindergärtner oder Uni-Professor, die Oma, der Opa oder die eigenen Eltern sind: Als junger Mensch sollen wir Erwartungshaltungen und Idealen entsprechen, werden bewertet und benotet.“ Wer diesen Ansprüchen nicht entspreche, ernte Ärger, Missgunst und allerlei Probleme.

Besonders anfällig für Präsentismus sind dem Experten zufolge Menschen, die ihren Selbstwert aus ihrer Arbeit und ihrer Leistungsfähigkeit schöpfen. Arbeiten sie nicht, fühlen sie sich schnell wertlos. Wer sich dagegen trotz Krankheit auf den Weg ins Büro macht, fühlt sich zunächst einmal besser, weil er weiter Leistung erbringt – auch wenn dieses Verhalten die Krankheit oft nur noch schlimmer macht.

Gründe für Präsentismus können darüber hinaus auch ein stark ausgeprägtes Pflichtgefühl und eine hohe Arbeitslast sein. Wer weiß, dass niemand sonst die Arbeit erledigt, wird eher einmal krank zur Arbeit gehen als jemand, bei dem das Team die Aufgaben neu verteilt. Auch Angst vor einer Kündigung kann eine Rolle spielen. Wer neu in einem Unternehmen ist, läuft ebenfalls eher einmal Gefahr, sich selbst und seine Leistungsfähigkeit beweisen zu wollen.

Man schadet sich selbst und anderen

Wer sich krank ins Büro schleppt, schadet zunächst einmal sich selbst: Kuriert man eine Krankheit nicht aus, zieht sie sich in die Länge oder verschlimmert sich gar. Außerdem ist man nicht so leistungsfähig wie sonst. "Viele Krankheitssymptome mindern die Konzentrationsfähigkeit und dadurch auch die Produktivität“, sagt der Experte. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass einem Fehler passieren.

Aber auch anderen kann man mit diesem Verhalten schaden, indem man sie ansteckt – im schlimmsten Fall sogar dem gesamten Unternehmen, wenn man dadurch eine Krankheitswelle in der Abteilung auslöst. Unterlaufen einem Fehler, weil man krank zur Arbeit gegangen ist und sich nicht richtig konzentrieren konnte, tut man der Firma ebenfalls keinen Gefallen.

Unternehmen ist mit in der Verantwortung

Richter sieht beim Thema Präsentismus nicht nur jeden Einzelnen in der Verantwortung, sondern das gesamte Unternehmen und insbesondere die Führungskräfte. Sie müssten vermitteln, "dass der Wert eines Mitarbeitenden nicht durch das bloße Erscheinen an sich definiert wird, sondern durch die Leistung, die er bringt.“ Deutlich muss dabei werden, dass sich diese Leistung nur erbringen lässt, wenn man gesund bei der Arbeit erscheint.

Auch Impuls-Vorträge zum Thema Selbstwert, Selbstliebe und Selbstvertrauen könnten hilfreich sein, sagt Richter. "Ein Vertrauens-Mitarbeiter, der als Ansprechperson installiert wird, kann ebenfalls eine gute Möglichkeit sein, um ins Gespräch zu kommen.“ Wer sich nicht traut, sich mit seinem Anliegen an Vorgesetzte zu wenden, kann hier seine Sorgen loswerden und über mögliche Lösungen sprechen. Wichtig dafür ist, dass die Vertrauensperson der Schweigepflicht unterliegt.

Darüber hinaus sollten Vorgesetzte mit gutem Beispiel vorangehen: Wenn sie selbst zu Hause bleiben und sich auskurieren, statt krank ins Büro zu gehen, machen Mitarbeitende dies dann auch eher.

Bei Fieber immer zuhause bleiben

Wichtig ist es darüber hinaus auch, für sich selbst eine sinnvolle Grenze zu ziehen. Letztlich ist das eigene Empfinden entscheidend: Während sich manche Menschen bei einer Erkältung und einer Körpertemperatur von 37,5 Grad Celsius noch fit fühlen, sind andere matt und schlapp. Ab einer Körpertemperatur von 38 Grad Celsius, also bei Fieber, sollte die Arbeit in jedem Fall tabu sein: Der Körper benötigt dann Ruhe, um die Erkrankung zu bekämpfen und sich zu erholen.

Mit ansteckenden Krankheiten wie Durchfall gehört ebenfalls niemand ins Büro. Wer sich fit fühlt, kann aus dem Homeoffice noch ein paar Arbeiten erledigen, oft ist aber auch hier Ruhe die bessere Wahl.

Und wer mit einem milden Erkältungsinfekt ins Büro oder in den Betrieb geht, sollte darauf achten, andere nach Möglichkeit nicht anzustecken: Dabei hilft es, die Hände gründlich zu waschen, in die Armbeuge zu niesen und benutzte Taschentücher schnell zu entsorgen.

Verwendete Quellen:

  • BKK Pronova: Studie: Drei Viertel der Berufstätigen gehen krank zur Arbeit
  • Damian Richter, Erfolgstrainer und Life Coach, www.damian-richter.com
  • Material der dpa
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