Mit einem Sieg hatten viele gerechnet - aber so deutlich? Die radikale Syriza erreicht fast die absolute Mehrheit bei den Parlamentswahlen in Griechenland. Kann Alexis Tsipras seinen groß angekündigten Schuldenschnitt umsetzen?

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Gegen Mittag betritt Alexis Tsipras das Wahllokal im Athener Stadtteil Kypseli. Dutzende Journalisten umringen den Chef des Linksbündnisses Syriza, wie in einem langen Korridor bahnt er sich den Weg durch die Menschen zur Urne. Tsipras strahlt, als könnte er es kaum erwarten, Griechenland endlich den lang ersehnten Wandel zu verpassen. Dann streckt er beide Arme vom Körper, zeigt die Handflächen und dreht sich im Kreis.

Zu sagen, er könnte nichts dafür, dass alle so begeistert von ihm sind, wäre eine riesige Untertreibung. Denn Tsipras' Wahlkampf war wie kein zweiter darauf ausgelegt, die Massen zu begeistern. Seine Forderungen - radikal. Seine Auftritte - umjubelt. Auch im Wahllokal bekräftigt er noch einmal: "Heute entscheidet das griechische Volk, ob die harte Sparpolitik fortgesetzt wird oder ob das Land einen Neuanfang startet, damit die Menschen in Würde leben können." Das ist der Kern von Tsipras' Botschaft: den Schuldenschnitt wagen, sich nicht mehr länger von den Gläubigern der Troika die Sparauflagen diktieren zu lassen.

Am Abend gibt der Erfolg dem Sozialisten schließlich recht. Der "Wutfänger", wie ihn manche Helenen nennen, er hat einen Nerv getroffen. Das griechische Volk spricht seiner Syriza am Sonntag klar das Vertrauen aus: rund 36 Prozent - das sind 149 der 300 Sitze im Parlament. Die zweitplatzierte und zuvor regierende Nea Dimokratia (ND) kommt nur auf 28 Prozent und 76 Sitze.

Tsipras hat am Montagvormittag die rechtspopulistische Partei der Unabhängigen Griechen (AE) getroffen. Man hat sich auf eine Koalitionsregierung geeinigt, teilt der Chef der Unabhängigen Griechen, Panos Kammenos, nach einem Gespräch mit Syriza-Chef Alexis Tsipras in Athen mit. "Von diesem Moment an gibt es eine Regierung."

Können sich Troika und Syriza näher kommen?

Die wichtigste Frage aber lautet: Was fordert Tsipras in den Verhandlungen mit den Geldgebern? Nach der Wahl versicherte er erneut, die Zeit der "desaströsen Sparpolitik" beenden zu wollen. Aber: "Es wird keinen katastrophalen Streit geben." Bei der Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) stießen Rufe nach einem Schuldenschnitt bisher auf taube Ohren. Deren Vertreter pochen auf die vereinbarten Reformen. Weil sich beide Seiten verbal bisher kaum näher kamen, befürchten manche Beobachter im schlimmsten Fall den "Grexit", Griechenlands Austritt aus der Währungsunion.

Doch das kann niemand wollen. Einerseits die Griechen nicht, deren aktuelles Hilfsprogramm nur noch bis Ende Februar läuft. Zwar könnte das Land wohl eine Zeit lang ohne fremde Gelder auskommen, denn der Haushalt weist inzwischen wieder einen Überschuss auf (die Ausgaben für Zinsen nicht mitgerechnet). Doch langfristig droht ohne Finanziers die Pleite: Die Staatsschulen belaufen sich auf rund 322 Milliarden Euro, das sind etwa 178 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP).

Auch hatte Tsipras im Wahlkampf höhere Mindestlöhne, Renten und ein Konjunkturprogramm mit rund elf Milliarden Euro versprochen, das er jetzt irgendwie finanzieren muss. Dem Partei-Chef ist zudem nicht entgangen, dass sich rund drei Viertel der Bevölkerung gegen einen Austritt aussprechen - Tsipras hat den Grexit deshalb selbst wiederholt ausgeschlossen.

Genauso wenig Interesse kann die Troika daran haben. Griechenland hat bisher rund 240 Milliarden Euro erhalten, fast 60 Milliarden davon aus Deutschland - Geld, das im Ernstfall teilweise verloren wäre. Finanziell wäre das unschön, aber wohl zu verkraften, glauben Ökonomen. Anders sieht jedoch das politische Signal aus: "Es würde zu einem riesigen Chaos an den Märkten kommen, alle würden sich fragen, wer als nächstes aus der Währungsunion gedrängt wird", sagte Willem Buiter, Chefökonom der US-Bank Citigroup im "Handelsblatt".

Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

Vor diesem Hintergrund gilt es als wahrscheinlich, dass Troika-Vertreter und Regierung den Dialog suchen. "Entscheidungen als Regierung zu treffen ist etwas anderes, als nur vor dem Wahlvolk zu stehen", sagt Kai-Uwe Schnapp von der Universität Hamburg. Der Politikwissenschaft-Professor hält es für möglich, dass Tsipras vor allem bei der Bekämpfung von Korruption und Steuerhinterziehung glaubhafte Reformen anstoßen kann - die auch bei der Troika Anklang finden.

Eine Möglichkeit zum Kompromiss wäre etwa, Griechenland abermals einen Teil seiner Schulden zu erlassen. Doch schon allein die Gedankenspiele dazu sehen viele EU-Staaten kritisch. "Wir werden hart bleiben und ein lautes Nein zu einem Schuldenerlass sagen", hatte der finnische Regierungschef Alexander Stubb erst vor gut einer Woche betont. Und gleich nach der Wahl, richteten mehrere deutsche Politiker entsprechende Warnungen gen Athen.

Tsipras kann nicht alleine entscheiden

Wie die Gespräche verlaufen, hängt jedoch nicht allein von den materiellen Zwängen ab. Denn Tsipras muss sich auch nach seinem Koalitionspartner richten. Das Bündnis mit den Unabhängigen Griechen ist es keine Liebesheirat. Zwar sind sich beide darin einig, das Spardiktat abzulehnen. Doch in anderen Fragen wie der Einwanderungspolitik vertreten sie unterschiedliche Ansichten. Um nicht plötzlich den Bruch zu riskieren, kann Tsipras also die Positionen des Partners nicht einfach ignorieren. Auch der linksextreme Flügel seiner eigenen Partei könnte ihn unter Druck setzen.

Am 5. Februar muss sich das Parlament konstituieren.

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