Seit gestern läuft auf dem Kontinent die Wahl zum Europäischen Parlament. Die Deutschen sind am Sonntag dran. Doch wie fällen die Abgeordneten in Brüssel und Straßburg eigentlich Entscheidungen?
Kein Fraktionszwang, keine feste Regierungsmehrheit und Parteien aus 27 Ländern: Anders als im deutschen Bundestag sind die Mehrheiten im Europäischen Parlament nicht immer klar verteilt. Um ein EU-Gesetz zu beschließen, ist deshalb häufig eine ganze Reihe an Kompromissen notwendig.
Wie werden EU-Gesetze im Parlament ausgehandelt?
Noch bevor es in die Verhandlungen mit den Vertretern der 27 Mitgliedstaaten geht, legt das Europaparlament eine eigene Position fest, über die im Plenum abgestimmt werden muss. Diese Position wird im zuständigen Ausschuss ausgehandelt. Jede Fraktion benennt dafür einen federführenden Abgeordneten, der innerhalb seiner Fraktion für Kompromisse sorgen soll.
Das Abstimmungsergebnis im Ausschuss gilt in vielen Fällen als zuverlässiger Gradmesser für die endgültige Entscheidung des Parlaments. Häufig wird dabei über eine lange Liste an Änderungsanträgen einzeln abgestimmt, mit denen die eine oder andere Fraktion noch Zugeständnisse erreichen kann.
Wer stimmt mit wem?
Die große Mehrheit der EU-Gesetze wurde in der vergangenen Legislaturperiode - wie auch in den Jahren davor - von einer sogenannten großen Koalition aus der Europäischen Volkspartei (EVP) um CDU und CSU, Sozialdemokraten und Liberalen verabschiedet, teils unterstützt von den Grünen.
Das dürfte sich nach den Wahlen nicht grundsätzlich ändern, schreiben die Politikwissenschaftler Nathalie Brack und Awenig Marié in einer Studie für das Brüsseler Institut Jacques Delors. Sie stellen allerdings fest: In Fällen, in denen eine solche Mitte-Mehrheit nicht zustande kommt, neigt die EVP dazu, eher mit den Rechtsaußen-Fraktionen zu stimmen.
Wann gab es andere Mehrheiten?
Diese gab es etwa beim Verbrenner-Aus für Pkw 2035 und beim europäischen Lieferkettengesetz. In beiden Fällen setzte sich eine Mehrheit aus Sozialdemokraten, Grünen, Linken und Teilen der Liberalen durch.
In der Abstimmung über eine drastische Pestizidreduktion hingegen setzten sich EVP und die beiden Rechtsaußen-Fraktionen der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und Identität und Demokratie (ID) durch, die geplante Richtlinie wurde gekippt.
Die Mehrheiten variieren so stark, weil die Abgeordneten nicht immer nach Fraktionslinie abstimmen - manchmal überwiegen nationale Interessen. Besonders deutlich wurde das in der vergangenen Legislaturperiode unter anderem bei Gesetzen zur Förderung von Atomkraft.
Was passiert bei einem Rechtsruck?
Weite Teile des Rechtsaußen-Lagers, darunter auch die Abgeordneten der AfD, lehnen EU-Gesetze meist rundheraus ab. Gewinnen diese Fraktionen an Sitzen, wird es für die übrigen Parteien deshalb schwieriger, überhaupt Mehrheiten zu organisieren. Von einer eigenen Mehrheit sind die teils untereinander zerstrittenen Rechtsaußen-Parteien allerdings weit entfernt.
Sollte sich etwa die Partei der Brüder Italiens mit den französischen Rechtspopulisten des Rassemblement National (Nationale Sammlungsbewegung, RN) und weiteren Parteien zusammenschließen, könnten sie zweitstärkste Fraktion im Parlament werden und damit wichtige Posten abgreifen. Bislang sind allerdings alle Anläufe für ein solches Bündnis gescheitert. Wie viel Macht das Rechtsaußen-Lager im neuen Parlament tatsächlich bekommt, ist deshalb unklar. (afp/jos)
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