Recep Tayyip Erdogan ist längst der einzige, der in der Türkei das Sagen hat. Nicht umsonst nennen ihn viele Beobachter unumwunden einen Diktator. Dennoch hat der türkische Präsident für Ende Juni weit vorgezogene Neuwahlen angesetzt. Warum hat er es so eilig?

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"Wie oft sollen wir das noch wiederholen? Wir sagen nein, wir sagen nein, wir sagen nein!" Mit dieser Vehemenz hat der türkische Regierungssprecher Bekir Bozdag noch vor ein paar Wochen dementiert, dass die AKP-Regierung plant, die Parlamentswahl in der Türkei vorzuziehen. Und nun: Statt wie geplant im November 2019 werden die Wähler am 24. Juni dieses Jahres an die Urne gebeten. So hat es Präsident Recep Tayyip Erdogan Anfang der Woche angekündigt.

Mit vorgezogenen Wahlen hatten viele gerechnet. Dass es so schnell gehen wird, überraschte dann doch. Gerade einmal zwei Monate bleiben bis zur Abstimmung - Eile mit System.

Erdogan setzt die ohnehin schwache türkische Opposition damit massiv unter Druck. Die neben der AKP im Parlament vertretenen Parteien haben noch nicht einmal ihre Spitzenkandidaten gekürt, geschweige denn mit dem Wahlkampf begonnen. Lediglich von der ehemaligen MHP-Abgeordneten Meral Aksener ist bekannt, dass sie mit ihrer neu gegründeten Iyi Parti (zu deutsch: Gute Partei) Erdogan herausfordern will. Doch selbst sie wird es schwer haben, in der Kürze der Zeit ihre Wähler zu mobilisieren.

Der Wirtschaft steht eine Krise ins Haus

Dass es Erdogan gar so eilig hat, schreiben Beobachter außerdem der sich ankündigenden Rezession zu. Professor Christoph K. Neumann vom Lehrstuhl für Türkische Studien der Ludwig-Maximilians-Universität in München sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Erhebliche Kursverluste der Lira machen Importe teurer. Und die Türkei ist ein Land mit Importüberschuss. Außerdem gibt es die Befürchtung, dass es in dem Sektor, der die türkische Wirtschaft derzeit am stärksten stützt - der Bauwirtschaft -, eine Blase gibt. Wenn diese platzt, gibt es eine echte Wirtschaftskrise."

Über Jahre habe die Regierung den Bauboom befeuert, etwa durch Staatsaufträge und Zwangssanierungen wegen Erdbebengefahr. Nun muss sie befürchten, dass sich diese Form der Wirtschaftsförderung rächt. Eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage kostet meist Stimmen. Mit der vorgezogenen Wahl will Erdogan also der Krise zuvorkommen.

Recep Tayyip Erdogan hat keinen Grund zu warten

Die maßgebliche Antwort auf die Frage, warum Erdogan auf Neuwahlen drängt, liegt aber wohl in der Gegenfrage: Warum sollte er damit warten?

Noch hat die Türkei mit Binali Yildirim einen Ministerpräsidenten. Erst mit den Neuwahlen wird vollzogen, was seit dem Verfassungsreferendum im vergangenen Jahr beschlossene Sache ist. Die Rolle des Staatschefs und die des Regierungschefs werden im Amt des Präsidenten zusammengeführt. Sprich: in Erdogan.

Zudem, sagt Neumann, "gibt die Wahl Erdogan die Möglichkeit, seine Mannschaft endgültig so aufzustellen, wie er will. Er bestimmt, wer auf die Listen der AKP kommt."

Um seine Zustimmungswerte macht sich Erdogan offenbar noch Gedanken. Des Sieges an sich kann er sich aber gewiss sein.

"Ich glaube nicht, dass Erdogan noch jemals eine Wahl in der Türkei verliert", sagt Neumann. Zu umfassend ist seine Macht, zu umfassend sind die Vorkehrungen, die er getroffen hat.

Die Kontrolle der Exekutive, Legislative und Judikative liegen quasi komplett in seiner Hand. Die größte Mediengruppe der Türkei geht in den kommenden Wochen an den regierungsnahen Konzern Demirören. Es gibt dann kaum noch Zeitungen und Sender, die nicht unter dem Einfluss der Regierung stehen.

Wahlrecht zugunsten der AKP verändert

Außerdem wurde das Wahlrecht zugunsten der AKP verändert. Parteien können jetzt untereinander Wahlbündnisse eingehen. Die AKP tritt gemeinsam mit der Nationalistischen Aktionspartei an. Wie Neumann erklärt, würde es diese rechtsnationale Kraft allein wohl nicht ins Parlament schaffen. Die Stimmen ihrer Anhänger wären verloren. Dank der Neuregelung aber stärken sie voraussichtlich die AKP.

Auch der Wahlmanipulation ist aus Neumanns Sicht Tür und Tor geöffnet. Früher mussten Stimmzettel in der Türkei einen Stempel tragen, um gültig zu sein. Beim Referendum wurden erstmals ungestempelte Stimmzettel für gültig erklärt.

"Man kann vermuten, dass es diese Stimmzettel waren, die Erdogan zum Sieg verholfen haben", sagt Neumann. Zwischenzeitlich ist der vormals obligatorische Stempel Geschichte. "Damit ist es für gewisse Kreise noch viel leichter, Stimmen, wie sie sie brauchen, in den Kreislauf einzuspeisen."

Recep Tayyip Erdogan kann bei dieser Wahl also nur gewinnen. Aus seiner Sicht gilt: Je früher, desto besser.

Professor Christoph K. Neumann steht dem Institut für den Nahen und Mittleren Osten der Ludwig-Maximilians-Universität in München vor. Er forscht und lehrt am Lehrstuhl für Türkische Studien zur Geschichte und Kultur der Türkei und des Osmanischen Reiches.


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