Die Vorwürfe sind erschütternd: Laut einer Studie der Vereinten Nationen (UN) missbraucht, foltert und tötet der Islamische Staat (IS) Kinder. Ob als menschliche Schutzschilde oder als Sex-Sklaven für reiche Kunden - für die Terrormiliz sind Kinder nicht mehr als ein Mittel zum Zweck. Wie gewissenlos der IS mit den Heranwachsenden umgeht, zeigen auch Recherchen von Unicef, Amnesty International und des deutschen Journalisten Bruno Schirra.

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Die jüngste Einschätzung der Vereinten Nationen zur (Nicht-)Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention alarmiert. Kinder werden demnach im Irak systematisch von bewaffneten Gruppen missbraucht und ausgebeutet - vor allem von der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS). Die unabhängigen Experten des UN-Komitees zum Schutz der Kinderrechte berichten von schlimmsten Gräueltaten: Der IS missbrauche Minderjährige als menschliche Schutzschilde, um Luftangriffe auf seine Einrichtungen zu verhindern.

Weiter heißt es, dass zahlreiche Kinder sexuell missbraucht, gefoltert und getötet werden. Es ist eine Einschätzung, die sich mit Erzählungen von vor Ort deckt. Selten war es aber schwieriger, deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Der Journalist Bruno Schirra war im vergangenen Jahr mehrfach zu Recherchezwecken in Mossul und Umgebung.

"Wir reden von Vergewaltigung, Mord und Pädophilie"

Jener Stadt, die von IS kontrolliert wird. Er veröffentlichte jüngst ein Buch über den Terror des IS. Was er darin schildert, klingt dramatisch. "Wir reden von Vergewaltigung, Mord und Pädophilie", erzählt er im Gespräch mit diesem Portal. Schirra arbeitete unter anderem mit dem Magazin "Cicero" zusammen. Im Irak machte er sich mit einem kurdischen Fahrer auf in von der islamischen Terrormiliz IS kontrollierte Gebiete. Was er dort sah, übertraf seine schlimmsten Erwartungen.

Auf einer Art Markt sollen etwa entführte Mädchen und Buben feilgeboten werden. "Sie müssen sich das vorstellen wie einen Sklavenmarkt" sagt Schirra. "Ich kann bestätigen, dass Familien von Zwangsprostitution berichtet haben", sagt Rudi Tarneden. Auch der Sprecher von Unicef Deutschland war im Nordirak. Im Oktober sprach er dort in Flüchtlingslagern mit Angehörigen entführter Mädchen - und mit "völlig traumatisierten" Kindern.

Mitglieder eines Expertenteams von Unicef erzählten ihm von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die sie mithilfe von Fragebögen dokumentierten. "Ich habe mit vielen Jesiden gesprochen, einer extrem verfolgten Minderheit. Viele haben berichtet, dass ihre Töchter entführt wurden. Manche hatten noch Handykontakt zu diesen", erzählt Tarneden. "Sie wurden vom IS angerufen, ihre Kinder haben am Handy geweint und von schlimmen Dingen erzählt. Auch das ist eine Form von Terror." Die Mädchen sollen seiner Kenntnis nach zwischen zehn und 17 Jahre alt sein. Auch Journalist Schirra hat vor Ort mit Betroffenen, Angehörigen und Augenzeugen gesprochen.

Geistig behinderte Jungen als Selbstmordattentäter

Sie erzählten ihm davon, wie angeblich Mädchen und Buben an mutmaßlich Pädophile verkauft werden; wie junge Frauen vergewaltigt werden; wie angeblich geistig behinderte Jungen als Selbstmordattentäter ahnungslos in den Tod geschickt werden. Was sich nur schwer überprüfen lässt, beklagen auch Menschenrechtsorganisationen. Amnesty International etwa schrieb jüngst in einem Bericht von Sexsklavinnen. Jungen Frauen und Mädchen, die wohl von IS-Führern missbraucht oder verkauft werden. "Wir reden von mehreren Tausend junger Frauen, von jesidischen, schiitischen, aber auch christlichen Frauen", erzählt Schirra und nennt grauenvolle Details. "Der Preis richtet sich nach Alter und - wie immer man das definieren mag - Schönheit. Und danach, ob sie noch Jungfrauen sind."

Warum aber tut der IS so etwas? Frauen haben aus Sicht der Terrormiliz keinen Wert als Menschen, erklärt er, wenn sie den Islam nicht so interpretieren, wie es der IS tut. Wie der Journalist und Amnesty International übereinstimmend berichten, sind viele der von IS als Frauen bezeichneten Mädchen noch im Kindesalter, mitunter erst zehn, zwölf oder 13 Jahre alt. Randa, 16, diente Amnesty International als mutmaßliche Zeugin. "Wir, etwa 150 Mädchen und fünf Frauen, waren in einem Gebäude untergebracht, das sie Hauptquartier nannten. Ein Mann nahm mich mit. Ich sollte seine Frau werden, weigerte mich aber. Er schlug mir die Nase blutig", wird sie zitiert. "Später konnte ich flüchten. Ich kam zu einem Arzt. Ich war zum Glück weder schwanger noch hatte ich eine Geschlechtskrankheit davongetragen."

Schirra kennt solche Erzählungen. Er erhebt schwere Vorwürfe. Die "Kundschaft" des IS komme aus den reichen Golfstaaten, erklärt er, "aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain und Katar". Er sprach mit "Maklern", die schamlos von ihren Geschäften berichteten. Kurdische Aktivisten, die angeblich versuchten Frauen freizukaufen, dienten ihm ebenfalls als Quellen. "Eine Verifizierung des Berichteten ist sehr schwierig. Man kann nicht allen Menschen trauen", erklärt Tarneden.

"In dieser Intensität ist mir ein solches Ausmaß an Gewalt noch nie begegnet. So berichten die Menschen, wie zum Beispiel direkt ein Angehöriger getötet wird, um klar zu machen, wie ernst IS es meint", schildert er. "Unter anderem wurde dokumentiert, dass zahlreiche Kinder hingerichtet wurden, um Terror auszuüben. Bis vergangenen Oktober sind rund 50 solcher Hinrichtungen belegt."

Der für investigative Recherchen bekannte Journalist Bruno Schirra, Jahrgang 1958, reiste im Frühjahr und Sommer 2014 nach Syrien und in den Irak. Er sprach mit Opfern und Tätern. Jüngst erschien sein Buch "ISIS – der globale Dschihad" (Econ Verlag, 18 Euro). Darin beschreibt er unter anderem Gräueltaten, die die Terrormiliz IS tagtäglich anrichtet.
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