• Im Sudan hat sich das Militär an die Macht geputscht.
  • Die Bevölkerung trotzt den Entwicklungen, Tausende demonstrieren - die traurige Bilanz: Es gibt Tote und zahlreiche Verletzte.
  • "Es herrscht eine äußert entzündliche Mischung im Land", erzählt uns Christine-Felice Röhrs, die für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Khartum ist.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Angelika Mayr sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Befürchtungen sind eingetreten: Im Sudan sind bei Massenprotesten mehrere Menschen getötet worden. Hunderttausende waren am Wochenende nach dem Militär-Putsch für die Demokratie-Bewegung und gegen die neuen Machthaber auf die Straßen gegangen.

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Nach Angaben des nationalen Ärztekomitees sind am Samstag in der Stadt Omdurman mindestens drei Zivilisten erschossen worden. In der Hauptstadt Khartum trat das Militär laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) mit einem Großaufgebot den Demonstranten entgegen. Das Militär erklärte abends im Staatsfernsehen, es habe nur Tränengas und keine scharfe Munition gegen die Demonstranten eingesetzt.

Tage zuvor waren bei Protesten allerdings bereits mindestens acht Menschen getötet und 170 verletzt worden, zitiert die "Zeit" Ärzte vor Ort. António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, schrieb auf Twitter, die Berichte über die Gewalt bei den Demonstrationen seien alarmierend. An die Armeeführung gerichtet sagte Guterres, es sei "an der Zeit, zu den legitimen konstitutionellen Arrangements zurückzukehren".

Christine-Felice Röhrs arbeitet für die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) direkt in Khartum, die Stiftung setzt sich im Sudan für Freiheit und soziale Gerechtigkeit ein. "Es herrscht eine äußerst entzündliche Mischung im Land", schildert Röhrs unserer Redaktion ihre Eindrücke. Natürlich wisse das Militär, dass eine harsche Reaktion auf die Demonstrierenden jegliche Verhandlungsbasis mit der Internationalen Gemeinschaft untergräbt. "Und es will auch nicht zu den Verhältnissen der früheren Regierung unter Umar al-Baschir zurück, denn damals war der Sudan abgeschnitten. Es gab keine politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft."

Die Bevölkerung stürzt den Machthaber

Nach ähnlichen, monatelangen Massenprotesten hatte es die Bevölkerung im April 2019 tatsächlich geschafft, den langjährigen Machthaber Umar al-Baschir abzusetzen. Dieser hatte das Land 30 Jahre lang regiert. "Als ich 2019 aus der Ferne die Revolution im Sudan mitverfolgt habe, war mir klar: Dort will ich helfen. Nach Jahrzehnten unter einem autoritären Regime erhebt sich das Volk und entscheidet sich für einen Weg hin zur Demokratie! Das war beeindruckend", erinnert sich Röhrs.

Nach der Absetzung einigten sich das Militär mit General Abdel Fattah al-Burhan und die zivile Opposition auf eine Übergangsregierung, in der er mit Regierungschef Abdullah Hamduk an der Spitze gestanden hatte. 2024 hätten freie Wahlen stattfinden sollen.

Es kam anders als geplant: Nach dem Putsch vor einer Woche hat das Militär nun die alleinige Macht über die 44 Millionen Einwohner. Die Übergangsregierung war aufgelöst und der Ausnahmezustand ausgerufen worden. In einer Mitteilung auf der offiziellen Facebook-Seite des Informationsministeriums wurde berichtet, Ministerpräsident Hamduk sei von Angehörigen des Militärs an einen unbekannten Ort verschleppt worden. General al-Burhan möchte bald einen neuen Regierungschef ernennen.

"Der Putsch ist eine große Enttäuschung", beschreibt Röhrs ihre Eindrücke im Land. "Ich habe mit sudanesischen Freunden und Partnern der Friedrich-Ebert-Stiftung gesprochen, die sind zum Teil wütend, geschockt, frustriert und manche haben sogar geweint. Alle fragen sich, wofür sie die vergangenen zwei Jahre gearbeitet haben."

Andere wiederum fanden den Putsch gut. "Manche der Nachbarstaaten sympathisieren damit", sagt Röhrs. "Aber es stellt sich die Frage: Wie stark ist dieser Einfluss und was können die dem Sudan bieten?" Der Sudan habe zum Beispiel zwischen 60 und 70 Milliarden Dollar Auslandsschulden, gerade erst hatte sich das Land für ein internationales Schulden-Erlass-Programm qualifiziert. "Allerdings haben der Internationale Währungsfonds und die Weltbank klargemacht, dass das von wirtschaftlichen und politischen Reformen abhängig ist. Und eine militärische Machtübernahme wird bestimmt nicht als Reform verstanden."

Wirtschaftliche Reformen auf internationalen Druck

Die Übergangsregierung hatte auf Druck der Internationalen Gemeinschaft umfangreiche wirtschaftliche Reformen in Angriff genommen, durch die aber auch das Militär ökonomische Verluste erlitten hätte. Nach Angaben der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sollten auch Menschenrechtsverstöße der Vergangenheit untersucht werden, in die al-Burhan und andere Generäle teilweise verwickelt gewesen sein könnten.

Von den Reformen hat die Bevölkerung aber nicht viel gespürt. "Deswegen haben manche dieser Übergangsregierung auch ihr Vertrauen entzogen", sagt Röhrs. Zum Beispiel wurden im Rahmen der Wirtschaftsreformen viele Subventionen gestrichen, die für die Entschlackung des Haushalts notwendig und wiederum eine der Voraussetzungen für das Entschuldungsprogramm waren. Aber das habe das Leben der Armen noch härter gemacht. "Vorher hatte man billiges Benzin. Wir haben aber zum Beispiel eine Partnerin, eine Assistenzprofessorin an der Uni von Khartum, die jetzt nur noch arbeitet, um sich den Weg zur Arbeit leisten zu können", erzählt Röhrs.

Die Republik steht am Scheideweg. Ob sich das Volk nochmals wie einst 2019 erheben und gegen die aktuellen Machthaber kämpfen wird, werden die nächsten Tage, Wochen und Monate zeigen."Es bleiben zwei Fragezeichen: Wie viel Druck kann die Straße ausüben um zu zeigen, dass es nicht das ist, was die Bevölkerung will?", sagt Röhrs. "Und das zweite: Bleibt es friedlich oder gibt es Blutvergießen? Viele sind deswegen besorgt. Aber das Militär weiß, dass es die Straße nicht in die Knie zwingen kann und die Straße weiß, dass es das Militär nicht in die Knie zwingen kann."

Wieviel Rückhalt das Militär im Land hat, ist schwer einzuordnen. "Es gibt natürlich einige Gruppen wie die Stämme im Osten, die hinter der Machtübernahme stehen. Aber gleichzeitig ist das Militär auch eine gespaltene Organisation selbst", erklärt Röhrs.

Und auch in der Bevölkerung ist die Stimmung bezüglich des Militärs nicht eindeutig. "Es gibt einige, die sagen: 'Jetzt erst recht die Demokratie!'", beschreibt Röhrs ihre Eindrücke aus Khartum. "Andere wollen eine tatkräftige Regierung haben und scheren sich nicht darum, wer das jetzt ist. Für uns mag das schwer verständlich sein." Aber der Sudan sei eines der ärmsten Länder der Welt, 60 Prozent der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu Strom, die Nahrungsunsicherheit sei hoch. Die Inflation lag heuer bei mehr als 400 Prozent. "Die Leute wollen einfach, dass es ihnen besser geht."

Für Röhrs ist der Ausgang des Konflikts deswegen völlig offen. "Aber die internationale Gemeinschaft sollte ihren Druck aufrechterhalten, um das Militär zu überzeugen, den eingeschlagenen Prozess zur Demokratie wie ursprünglich geplant fortzusetzen."

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Über die Expertin: Christine-Felice Röhrs arbeitet seit 2020 für die Friedrich-Ebert-Stiftung im Sudan. Die Stiftung setzt sich dort in Zusammenarbeit mit lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Parteien, Forschungseinrichtungen und Gewerkschaften für Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit ein.

Verwendete Quellen:

  • tzeit.de: Mehrere Tote bei Protesten gegen Militärputsch
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