Polens Regierungspartei PiS wirbt mit Sozialleistungen und Ressentiments gegen die LGBT-Bewegung. Ein Wahlsieg der Nationalkonservativen am Sonntag ist sehr wahrscheinlich. Im Vorfeld warnen ehemalige Präsidenten allerdings vor einer autoritären Diktatur.
Am Sonntag wählt Polen ein neues Parlament. Es sind "keine normalen Wahlen", schreiben ehemalige polnische Staatspräsidenten in einem offenen Brief: "Am 13. Oktober wird sich entscheiden, ob Polen ein demokratischer Rechtsstaat sein oder sich weiter in Richtung einer autoritären Diktatur bewegen wird." Ein Appell, unterzeichnet unter anderem von Lech Walesa, Aleksander Kwasniewski und Bronislaw Komorowski.
Die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit PiS – auf deren Politik der Brief anspielt – bleibt stark, so viel ist sicher: Umfragen sehen sie mit 42 bis 48 Prozent der Stimmen weit vorn.
Auch Brüssel blickt gespannt Richtung Osten. Das Verhältnis zwischen Polen und der EU steht nicht zum Besten: unter anderem wegen Polens Haltung zur EU-Asylpolitik. Wegen seiner umstrittenen Justizreform hat die EU-Kommission Polen sogar verklagt. Die Regierungspartei hatte unter anderem versucht, unerwünschte Richter loszuwerden – und die Unabhängigkeit der Justiz stark eingeschränkt.
Sozialreformen: Kindergeld, 13. Rentenzahlung, Steuerentlastungen
Im Wahlkampf versucht die PiS nun aber vor allem mit sozialpolitischen Themen zu punkten, erklärt Pawel Tokarski, Polen-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), im Gespräch mit unserer Redaktion. Die polnische Wirtschaft ist kontinuierlich gewachsen und die Regierung hat zahlreiche Sozialprogramme aufgelegt.
Familien bekamen etwa erstmals Kindergeld, Senioren eine 13. Rentenzahlung. Die PiS verspricht den Wählern weitere Leistungen wie einen höheren Mindestlohn oder Steuerentlastungen. Selbst die Opposition will an sozialpolitischen Projekten der PiS festhalten – und weitere Reformen anstoßen.
Schwierige Themen allerdings versuchten die PiS-Vertreter zu vermeiden, sagt Tokarski: "etwa das katastrophale Gesundheitssystem". Krankenhäuser haben hohe Schulden oder stehen vor der Schließung, es fehlt an Ärzten und Pflegepersonal. In einigen Städten gebe es nur noch halb so viele Krankenwagen wie zuvor, so der Politikwissenschaftler. "Die Opposition hat es allerdings nicht geschafft, dieses Thema auf die Agenda zu setzen."
Homophobie und Patriotismus
Statt über das marode Gesundheitssystem diskutieren Politiker im Wahlkampf besonders emotional über Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle (LGBT). "PiS stellt die LGBT-Bewegung als eine Ideologie und als Bedrohung für die traditionelle Familie dar", sagt Tokarski. Ressentiments, die auch die Kirche aufgreift: Der stellvertretende Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, Marek Jedraszewski, hatte im August in Anspielung auf die Regenbogenflagge als Symbol der Bewegung sogar vor einer "Regenbogenpest" gewarnt.
Die PiS-Partei überzeugt viele ihrer Anhänger zudem mit Patriotismus und Nationalstolz. Geschichte ist wieder ein wichtiges Thema geworden. Weil die Ausstellung im neu gebauten Weltkriegsmuseum in Danzig beispielsweise nicht der Geschichtsauffassung der Regierung entsprach, tauschte sie den Gründungsdirektor gegen einen staatstreuen Historiker aus: Im Ausstellungskonzept sah die PiS Kriegsleid und Heldenmut der Polen nicht ausreichend berücksichtigt.
Noch weiter rechts: die Konföderation
Die Haltung von PiS geht manchen im streng katholischen Polen aber noch nicht weit genug: Das Bündnis Konföderation vereint Europa-Skeptiker, Libertäre und Rechtsextreme. Janusz Korwin-Mikke, einer der Anführer, sorgte 2017 als EU-Abgeordneter für Empörung.
In einer Plenardebatte sagte er: "Natürlich müssen Frauen weniger als Männer verdienen. Weil sie schwächer, kleiner und weniger intelligent sind." Die ultrarechte Konföderation schürt Hass gegen die LGBT-Community – und will deren Kundgebungen Polizeischutz verwehren oder ihre Symbole verbieten.
Kann die Konföderation der PiS gefährlich werden? "Sie spielt in der polnischen Politik keine große Rolle, sie wird es wahrscheinlich nicht ins Parlament schaffen", sagt SWP-Experte Tokarski. Der PiS sei es gelungen, die Konkurrenz vom rechten Rand kleinzuhalten: "In den Staatsmedien kommt das Bündnis so gut wie nicht vor." Die PiS hat großen Einfluss auf Medien im Land – und sorgt dafür, dass die Konföderation selbst in Umfragen oftmals gar nicht erst auftaucht.
Anhänger in Kleinstädten und auf dem Land
Gerade in Kleinstädten und auf dem Land, wo ein Großteil der polnischen Bevölkerung lebt, finden traditionelle Werte wie Familie und Religion oder die Angriffe auf die LGBT-Bewegung Zustimmung. Fast ein Drittel der jungen Männer zwischen 18 und 30 sprachen sich der überregionalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza zufolge in einer Umfrage vor der Europawahl im Mai sogar für die ultrarechte Konföderation aus.
Die Journalisten fragten daraufhin noch einmal genauer nach: Homophobie sei vor allem auf verfestigte traditionelle Geschlechterbilder und niedrige Bildung zurückzuführen, heißt es in dem Beitrag. Die Hälfte der nun befragten jungen Männer gibt demnach sogar an, dass "undemokratische Regierungen manchmal wünschenswerter sind als demokratische". "Viele von ihnen suchen einfache Lösungen für komplexe Probleme", glaubt Tokarski.
Bündnisse in der Opposition
In Polen stehen nicht nur Parteien zur Wahl, sondern dort sind Wahlkoalitionen möglich: Die oppositionelle liberal-konservative Bürgerplattform PO, die vor der PiS das Land regierte, führt etwa die Bürgerkoalition an. Dazu zählen die liberale Partei Moderne, die polnischen Grünen und die Initiative Polen. Zudem gibt es neben der Konföderation das Bündnis Die Linke sowie Die Polnische Koalition unter Führung der Bauernpartei.
2015 hatte PiS bei den Parlamentswahlen mit rund 37,6 Prozent der Stimmen und 235 Mandaten die absolute Mehrheit der 460 Sitze im polnischen Unterhaus geholt. Auch im Senat erhielt die Partei von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die absolute Mehrheit.
Ob es dafür auch diesmal reichen wird, ist trotz der hohen Umfrageergebnisse noch nicht sicher. Entscheidend wird sein, wie viele der Oppositionsgruppen es über die Fünf-Prozent-Hürde für Parteien und die Acht-Prozent-Hürde für Wahlkoalitionen schaffen.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Politikwissenschaftler Dr. Paweł Tokarski, Stiftung Wissenschaft und Politik
- Offener Brief ehemaliger polnischer Präsidenten in Wyborcza
- Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung
- Deutsche Presse-Agentur: Parlamentswahl in Polen: Kann die PiS ihren Erfolg wiederholen?
- ZDF heute: Wahlkampf gegen die "Regenbogenpest" in Polen
- Deutschlandfunk: Ultrarechtes Wahlbündnis in Polen: Beliebt bei jungen Wählern
- MDR aktuell: Warum die Polen die PiS lieben
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