- Die Schule in der Ukraine hat wieder begonnen, doch längst nicht alle Kinder können den Unterricht vor Ort besuchen.
- Während Schülerinnen und Schüler im Ausnahmezustand lernen, sind auch Lehrer gefordert.
- James Elder, Sprecher von Unicef, erzählt vom ersten Schultag im Kriegsgebiet.
"Stell dir vor, du bist fünf Jahre alt. Da ist diese Nervosität, diese Aufregung – dein erster Schultag", spricht James Elder in die Kamera. Sein Handy wackelt ein bisschen, dann sieht man die Trümmer im Hintergrund. "Zumindest könnte es so sein", sagt der Sprecher von UNICEF und betritt das zerbombte Gebäude.
"Hier könntest du deine Mutter verabschieden, hier die ganzen neuen Gesichter und künftigen Freunde kennenlernen", sagt er. Doch das Klassenzimmer ist als solches nicht mehr erkennbar. "Dieser Krieg muss aufhören", sagt Elder zum Ende des Videos.
Für ukrainische Kinder sah der erste Schultag anders aus als erwartet, denn ihr Land ist im Krieg. "Eigentlich sollten heute sechs Millionen Kinder ihre Rucksäcke schnappen und in die Schule gehen, um Freunde und Lehrer zu treffen. So war es nämlich vor dem Krieg", sagt Elder im Gespräch mit unserer Redaktion. Zum diesjährigen Schulstart in der Ukraine werde es aber nur ein Bruchteil davon sein.
Tausende Schulen wurden angegriffen
Millionen schulpflichtige Kinder haben das Land verlassen. Für die Kinder, die vor Ort sind, gibt es Restriktionen: "Es können nur so viele Kinder in die Schule kommen, wie es Plätze im Bunker gibt", erklärt Elder. 2400 Schulen sind teilweise zerstört, knapp 300 dem Erdboden gleichgemacht. Denn die russischen Bomben haben auch vor ziviler Infrastruktur keinen Halt gemacht.
"Die meisten Kinder können keinen Klassenraum betreten, wegen der Limitierungen. Schulen dürfen ohne entsprechenden Schutz vor Bomben nicht öffnen", sagt Elder. Weniger als 60 Prozent können pünktlich öffnen, schätzt er. Millionen von Kindern mussten ihre Heimatstadt verlassen und fliehen. Selbst wenn sie einen Platz im bombensicheren Bunker bekommen – die Schule liegt vermutlich in einer völlig fremden Gegend.
Online-Unterricht gefährdet die mentale Gesundheit
Die meisten Schülerinnen und Schüler würden deshalb online lernen, teilweise auch aus dem Ausland zugeschaltet. "Die Ukraine ist digital gut aufgestellt, aber wir wissen, dass Lernen in Isolierung Kindern schadet", erinnert Elder. Die Isolierung durch Covid werde von der Isolierung durch den Krieg abgelöst. "Die mentale Gesundheit der Kinder ist in Gefahr. Sie hatten schon keine Sommerferien, sondern einen Sommer, in dem es für viele von ihnen ums Überleben ging", sagt er.
Die Kinder würden deshalb darin bestärkt, sich mit Freunden zusammenzutun und beispielsweise in Stadtteilzentren gemeinsam zu lernen. "Es gibt ausreichend Lehrpersonal, aber auch für sie sind die Zeiten hart", sagt Elder.
Lehrer leiten im Notfall Erste Hilfe
Sie haben Trainings erhalten, wie man jene versorgt, die zum Beispiel bei Explosionen oder Kämpfen verletzt wurden und wie man sich verhält, wenn man an nicht explodierten Sprengkörpern vorbeikommt. Die Regierung hat sie mit Decken, Taschenlampen und Erste-Hilfe-Materialien ausgestattet. "Wenn es Angriffe nahe der Schule gibt, müssen auch die Lehrerinnen und Lehrer helfen", sagt Elder.
Die Lage sei instabil und es sei nicht absehbar, wie lange sie andauern werde. "Das spüren auch die Kinder", ist er sich sicher. Ihre soziale Entwicklung sei gefährdet. "Wir bieten psychologische Unterstützung an, wo wir nur können", sagt er. Mobile Teams seien auch in Gegenden unterwegs, die schwer erreichbar sind. "Schon im Jemen und in Syrien haben wir gelernt, wie wichtig Schule ist: Kinder brauchen unbedingt eine psychische Pause vom Krieg", meint Elder. Schule könne einen solchen Raum bieten.
"Es gibt allerdings zu wenig Laptops und Tablets. Wenn eine Familie drei Kinder hat, aber nur ein Tablet, hat sie ein Problem", zeigt er auf. Solange Wohngebiete noch immer angegriffen würden, könnten die Kinder nicht in alle Schulen gehen. "Das ist tragisch. Wir sollten Spielplätze bauen, stattdessen brauchen wir bombensichere Klassenzimmer."
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