• Einige Kohlekraftwerke sind im Rahmen des "Kohleausstiegs" schon heruntergefahren.
  • Die Beschaffung von zusätzlicher Steinkohle ist schwierig.
  • Personal für hochzufahrende Kraftwerke muss erst gefunden werden.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen des Autors bzw. des zu Wort kommenden Experten einfließen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Die Gasimporte nach Deutschland werden wohl auch zukünftig nicht verlässlich stattfinden. Dies wurde in den letzten Tagen deutlich, als vonseiten Russlands eine erneute Drosselung der Gasmengen bekannt gegeben wurde. Um diese Lücke in der Energieerzeugung zu schließen, soll nun verstärkt auf Kohlekraftwerke gesetzt werden.

Um zu verstehen, wie groß die Stromlücke werden kann, genügt ein Blick auf die Verteilung der Energieträger, aus denen in Deutschland Strom gewonnen wird. Zahlen vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zeigen, dass aktuell 29,4 Prozent des Gesamtstroms in Kohlekraftwerken erzeugt wird. Atomkraftwerke liefern nur 5,6 Prozent des Stroms in Deutschland. Aus Windenergie werden 23,6 Prozent des Stroms erzeugt. Problematisch hingegen ist der Anteil des Stroms, der aus Gas gewonnen wird. Dieser Anteil lag im ersten Quartal 2022 immerhin bei 14,6 Prozent. Wenn erhebliche Teile dieser Mengen wegfallen, müssen sie durch andere Energieträger ersetzt werden.

Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung erschwert die Reaktivierung

Der Koalitionsvertrag der Ampel in Berlin sieht vor, dass der "Kohleausstieg" bereits idealerweise 2030 abgeschlossen sein soll. Nach Angaben des WWF waren 2016 noch 106 Großkraftwerke in Betrieb, die aus Braun- und Steinkohle in Deutschland Strom produzierten. Doch schrittweise sind immer mehr dieser Kraftwerke heruntergefahren worden.

Neben den vollständig abgeschalteten Kraftwerken gibt es solche, die in einer Notreserve gehalten werden. Nun sollen einige dieser Kohlekraftwerke, die noch nicht vollends abgeschaltet sind, wieder reaktiviert werden. Steinkohlekraftwerke, die notfalls noch reaktiviert werden könnten, sind derzeit in der sogenannten "Netzreserve". Die Braunkohlekraftwerke, auf die das zutrifft, befinden ich in "Sicherheitsbereitschaft". Betreiber können diese Kraftwerke nicht ganz abschalten, auch wenn sie außerhalb von Extremsituationen nicht rentabel sind. Die Bundesnetzagentur hat diese als "systemrelevant" eingestuft.

Nur bei solchen Kraftwerken wird aktuell darüber nachgedacht, sie wieder zu reaktivieren, sagt Manfred Fischedick, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie an der Universität Wuppertal. Bei bereits vollständig abgeschalteten Kraftwerken wären viel umfangreichere Maßnahmen nötig. Teilweise wäre eine Reaktivierung auch gar nicht mehr machbar, wenn etwa Aggregate schon zurückgebaut worden seien, erklärt der Experte unserer Redaktion.

Hauptproblem für eine Reaktivierung sei die Beschaffung von genügend Kohle, die dann zur Stromerzeugung verwendet werden könnte, meint Fischedick. Die Braunkohlekraftwerke stehen zwar direkt in den Gebieten, aus denen ihr Brennstoff abgebaut wird. Bei Steinkohlekraftwerken sieht dies jedoch anders aus. Jedes Kraftwerk benötige neben der richtigen Menge auch die entsprechende Qualität und Beschaffenheit der Steinkohle, die für ihr jeweiliges Kraftwerk passend sei. Ein weiteres Problem liege im Transport der Kohlemengen. Denn durch die aktuelle Trockenheit wird die Logistik auf den Flüssen erschwert, sagt der Wirtschaftswissenschaftler.

Viel Personal ist nach Herunterfahren der Kraftwerke abgewandert

Auch gäbe es Personalengpässe bei der Bahn, die eine effiziente Versorgung der Kraftwerke mit Brennstoffen erschweren würden. Hier wären Kraftwerke, die an Küsten liegen, einfacher zu versorgen als solche im Binnengebiet. Doch der Wuppertaler Experte macht Hoffnung, dass sich insbesondere im Winter die Lage, was den Transport auf dem Wasserweg angeht, entspannen könnte.

Wie schwierig das Wiederhochfahren sein kann, zeigt das Kraftwerk Jänschwalde. Dort sind die Blöcke E und F nicht so einfach wieder reaktivierbar. Dafür fehlt schlichtweg das Personal, wie der Betreiber LEAG mitgeteilt hat. Es fehlen an dieser Stelle 200 Personen. Der Betreiber versucht nun, ehemalige Mitarbeiter wiederzugewinnen, die das Kraftwerk verlassen mussten, als dieses 2018 in die "Sicherheitsreserve" überführt wurde. Daneben besteht jedoch das Problem, dass über das Jahr 2023 hinaus vorerst nicht mehr genügend Brennmaterial vorhanden ist, um den Weiterbetrieb zu sichern, meldet tagesschau.de.

Hinzu kommt, dass die Kraftwerksblöcke, die reaktiviert werden sollen, auch die aktuell geltenden Umweltstandards erfüllen müssen. Doch für diese seien die Kraftwerke gar nicht gebaut worden. Daher fordern die Betreiber Ausnahmeregelungen. Denn mit den jetzigen festgesetzten Emissionsgrenzen dürften die Kraftwerksblöcke nicht betrieben werden, teilt der Betreiber LEAG mit.

Wie viel Kohle wird benötigt? Die Lage ist "hoch dynamisch"

Die aktuelle Lage sei "hoch dynamisch und mit vielen Unsicherheiten verbunden", warnt Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut. Dies stelle auch die Betreiber von Kraftwerken vor Probleme. Denn diese könnten gegenüber Lieferanten kaum langfristige Verträge abschließen, da sie nicht wüssten, zu welchem Zeitpunkt wie viel Kohle benötigt werden wird. Es sei für die Betreiber nicht abschätzbar, wie lange die unsichere Lage mit den russischen Gaslieferungen anhalte.

Ein längerfristiger Einsatz der Kohlekraftwerke sei unter Klimaschutzgesichtspunkten jedoch ohnehin "kontraproduktiv", befindet Fischedick. Daher sollten unbedingt die erneuerbaren Energien weiter ausgebaut werden. Hier habe die Regierung mit einer Beschleunigung des Planungsrechts schon entsprechende Ankündigungen gemacht. Mindestens so entscheidend zur Überbrückung einer möglichen Gaslücke sei aber, so der Experte für Energiewirtschaft, bei Einsparungen von Strom im Privatbereich etwas zu tun. Dort sei aber noch erheblicher Nachholbedarf gegeben.

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Über den Experten: Manfred Fischedick ist Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften (Schumpeter School of Business and Economics) an der Bergischen Universität Wuppertal

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Manfred Fischedick
  • Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft: Quellen der Stromerzeugung in Deutschland
  • WWF: Kohlekraftwerke in Deutschland
  • tagesschau.de: Der schwierige Weg zurück ans Netz
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