• Wirklich überraschend kam die Nachricht über die Razzien in der Reichsbürger-Szene für viele Redaktionen offenbar nicht.
  • Sie waren mit Hintergrundberichten und gut recherchierten Beiträgen vorbereitet oder pünktlich vor Ort.
  • Wussten die Medien vorab Bescheid und ist das problematisch? Zwei Experten geben Antworten.

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Sie waren schnell, sehr schnell: Die Razzia in der "Reichsbürger"-Szene wurde von zahlreichen Medien begleitet und unmittelbar nach der Sperrfrist um 7.30 Uhr waren die Schlagzeilen da: "Razzia wegen geplanten Staatsstreichs" titelte die "Tagesschau" früh morgens, vom "Spiegel" kam um Punkt 7.30 Uhr der ausführliche Bericht "Ermittler heben rechtsextreme Terrororganisation aus" und die Süddeutsche lieferte mit "Der Prinz, der Putsch und der Pöbel" ein Hintergrundstück.

Klar ist: Die ausführlichen Recherchen, Meinungsstücke und Hintergrundberichte haben die Journalistinnen und Journalisten kaum innerhalb weniger Minuten in die Tasten gehauen – sie wussten vorab Bescheid. Das twitterte unlängst auch die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke): "Diese Razzia war seit mindestens einer Woche ein offenes Geheimnis", schrieb sie.

Waren Beschuldigte vorgewarnt?

Wenn ein Ministerium oder eine Behörde dafür sorge, dass eine Woche im Vorfeld sogar Adressen bei der Presse bekannt seien, sei es "schwer vorstellbar, dass niemand der Durchsuchten Bescheid wusste", so die Politikerin. "Die Telegram-Nachricht eines Beschuldigten bestätigt dies", twitterte Renner weiter.

Tatsächlich beschäftigten sich der Innenausschuss und der Rechtsausschuss des Bundestags in dieser Woche auf Antrag der Unionsfraktion mit der Frage, ob Beschuldigte vorgewarnt waren. In diesem Fall hätten sie eventuell im Vorfeld der Razzia Waffen und andere Beweismittel wegschaffen können. In Deutschland wurden am 7. Dezember 23 Personen festgenommen und in Untersuchungshaft gebracht, laut Bundesanwaltschaft sind 27 weitere Menschen beschuldigt.

Mediendebatte ausgelöst

Eine Debatte über das Zusammenspiel von Medien und Behörden ist seitdem im vollen Gange. Medienexperte Rolf Schwartmann bestätigt: "Es war auffällig, dass die Aktion sehr präsent in den Medien war und man fragte sich direkt: Wie kommt die Presse so schnell dahin?" Wenn es Vorab-Information an Journalisten gegeben habe, sei das ziemlich problematisch, sagt Schwartmann.

Kommunikationswissenschaftler Stefan Jarolimek von der Deutschen Hochschule der Polizei sagt allerdings: "Dass Medien vorab Bescheid wissen, kommt häufiger vor." Es gebe konzertierte Aktionen, bei denen die Medien mit dabei seien. "Viele Razzien finden frühmorgens ohne mediale Begleitung statt, aber es gibt bestimmte Einsätze, vor allem im Rahmen kommunaler Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften, bei denen die Medien miteingebunden werden", berichtet er.

Rote Linie überschritten

Ein einheitliches Vorgehen oder eine bundesweite Regel, wann man Medien vorab informiere und wann nicht, gebe es nicht. "Das wird in den Bundesländern sehr unterschiedlich gehandhabt", sagt Jarolimek.

Rote Linien sieht er aber auch: "Problematisch ist natürlich, wenn die Spezialeinsatzkräfte kommen und die Journalisten schon mit Kameras und Lichtern vor den Häusern stehen", erklärt Jarolimek. Im jetzigen Fall hätten die Sicherheitsbehörden größere Bestände an Waffen vermutet, sodass eine Bedrohung für Leib und Leben der Einsatzkräfte habe entstehen können.

Schwartmann ist deshalb überzeugt: Polizei und Staat müssen sich grundsätzlich von den Medien fernhalten. "Die Medien haben die Rolle des sogenannten "watchdog of democracy" und eine wichtige Kontrollfunktion", sagt er. Die Presse könne ihre Aufgabe nur wahrnehmen, wenn sie außerhalb des Systems stehe.

Ermittlungserfolg gefährdet

"Wenn Informationen durchgestochen werden, gefährdet das den Erfolg der Ermittlungen", warnt der Experte. Auch die Sicherheit der Beamten sei gefährdet, wenn sich etwa Menschen bei den Durchsuchungen mit Waffen vorbereitet hätten. "Man gibt sein Verfahren damit aus der Hand und versieht es mit einer großen Schwachstelle", sagt Schwartmann.

Pressemeldungen, die mit Sperrfristen herausgegeben werden, sind aus seiner Sicht gesondert zu betrachten. "Dabei geht es nur darum, dass eine Information erst ab einem bestimmten Zeitpunkt öffentlich gemacht werden darf. Die Schreiben sind eigens für die Presse gemacht. Im jetzigen Fall ging es um die Durchführung von Ermittlungen in Strafverfahren mit Staatsschutz, die direkt von den Medien begleitet wurden", erklärt er.

Mutmaßungen über Motive

Welche Motive die Generalbundesanwaltschaft oder die Sicherheitsbehörden gehabt haben könnten, die Presse vorab zu informieren, darüber können die Experten nur mutmaßen. Jarolimek sagt: "Wenn den Medien vorab Bescheid gegeben wird, will die Polizei auf ihre Arbeit hinweisen. Das hat auch mit Transparenz zu tun." In manchen Bereichen, etwa bei der Clan-Kriminalität, gehöre es zur Strategie, darauf hinzuweisen, dass man etwas tut.

Schwartmann erinnert an den Fall des letzten Endes freigesprochenen Jörg Kachelmann, dem schwere Vergewaltigung vorgeworfen wurde. "Hier hat die Staatsanwaltschaft auch Ermittlungsergebnisse herausgegeben", sagt Schwartmann. Es sei ein Spiel mit den Medien, um den Ermittlungserfolg zu zeigen und die gute Arbeit der Behörden zu unterstreichen.

Letztendlich sei es wichtig, dass Journalisten gut informiert sind, sie müssten aus ihrem Berufs-Ethos heraus so viel wissen wie möglich. Weil der Staat sich aber von Journalisten freihalten müsse, entstehe ein Spannungsfeld.

Experte: "Das ist keine Mauschelei"

"Medien, Staat und Politik brauchen sich aber gegenseitig, denn die Politik stellt beispielsweise ihre Positionen über die Medien dar", erklärt Jarolimek. Social Media und das Internet hätten die Verhältnisse verändert, aber der Journalismus sei immer noch der wichtigste Leistungsträger für die öffentliche Meinungsbildung.

"Reporter haben Kontakte in die Behörden und führen regelmäßig Hintergrundgespräche. Die Medien brauchen die Polizei, Blaulicht-Geschichten sind ziemlich beliebt", sagt Jarolimek. Mediale Berichterstattung könne auch Ermittlungen nach sich ziehen, die Polizei brauche die Medien beispielsweise bei Handlungsanweisungen in Katastrophen oder bei Fahndungen.

"Das ist aber keine Mauschelei oder geheime Absprache", stellt Jarolimek klar. Eine rote Linie wäre aus seiner Sicht überschritten gewesen, wenn es bei den Razzien der vergangenen Wochen nur eine Kungelei mit einzelnen Medienvertretern gegeben hätte, also etwa nur ein großes Medienunternehmen eingebunden worden wäre. Insgesamt handele es sich um einen Graubereich, in dem die Rollen immer wieder neu austariert werden müssten.

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Experte sieht größere Entwicklung

Schwartmann ordnet ebenfalls in den größeren Zusammenhang ein: "Aus internen Konferenzen werden inzwischen regelmäßig Informationen durchgestochen. Bei den Corona-Runden war das ein großes Ärgernis: Irgendjemand hat immer interne Infos mit dem Handy rausgeschickt."

Man könne heute so schnell mit den Medien agieren und kommunizieren, dass sich das ganze Verhältnis verändert habe. "Die Behörden twittern teilweise auch selbst und nutzen soziale Netzwerke, vielleicht entsteht eine Art Wettlauf", vermutet er. Das Rede- und das Darstellungsbedürfnis hätten enorm zugenommen. "Vielleicht spielt das als Grundrauschen bei dem Thema eine Rolle", sagt Schwartmann.

Über die Experten:
Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Technischen Hochschule Köln und Inhaber der Professur für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht. Er ist zugleich Privatdozent an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e.V.
Prof. Dr. Stefan Jarolimek leitet das Fachgebiet Kommunikation, Medien und Öffentlichkeitsarbeit an der Deutschen Hochschule der Polizei.
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