• Am 18. Juni 2021 wählen die Menschen im Iran einen neuen Präsidenten. Eine echte Wahl haben sie nicht, denn moderate Kandidaten wurden nicht zugelassen.
  • Als Favorit gilt Justizchef Raisi: ein Mann mit blutiger Vergangenheit.
  • Experte Cornelius Adebahr vermutet, dass die Beziehungen zwischen Teheran und Europa unter Raisi schwierig bleiben. Er sieht darin aber auch eine Chance.

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Im Mai 2017 gingen in Teheran Tausende Menschen auf die Straße: Sie feierten den Sieg des iranischen Präsidenten Hassan Rohani gegen den Konservativen Ebrahim Raisi. Am 18. Juni 2021 wird in Iran erneut gewählt. Doch die Zeiten haben sich geändert.

Der moderate Rohani darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Dieses Mal sieht alles nach einem Sieg von Justizchef Ebrahim Raisi aus. Was bedeuten die Präsidentschaftswahlen für den Iran und für seine Beziehungen zu Europa? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Welche Rolle spielt der Präsident im Iran?

"Der Präsident hat in erster Linie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik Gestaltungsspielraum", erklärt der Iran-Experte Cornelius Adebahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Gespräch mit unserer Redaktion. In wichtigen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik gibt dagegen der Nationale Sicherheitsrat den Ton an. "Der Präsident gehört diesem Gremium zwar an, kann aber nicht allein entscheiden, sondern muss einen Konsens herstellen", so Adebahr.

Hintergrund ist das besondere politische System des Iran: Seit der Islamischen Revolution 1979 wählt das Volk zwar alle vier Jahre einen Präsidenten und ein Parlament. Die eigentlichen Machthaber sind aber die Kreise um den obersten Revolutionsführer Ali Chamenei. Er kontrolliert das Justizsystem und gibt die politischen Richtlinien vor.

"Die entscheidende Frage bei dieser Präsidentschaftswahl ist, ob die Herrscher des Systems ihre Macht zementieren – und inwieweit die Bevölkerung dabei mitzieht", sagt Cornelius Adebahr.

Wer tritt bei der Wahl am 18. Juni an?

Fast 600 Personen wollten kandidieren. 98 Prozent davon hat der Wächterrat aber nicht zugelassen. Das Gremium aus zwölf konservativen Mitgliedern soll die ideologische Ausrichtung und Loyalität der Kandidaten überwachen und kann ihnen eine Teilnahme an der Wahl verbieten.

Nicht zugelassen wurden auch zwei aussichtsreiche Kandidaten, die als mehr oder weniger moderat gelten: der aktuelle Vizepräsident Eshagh Dschahangiri und der ehemalige Parlamentspräsident Ali Laridschani. Der Wahlsieg des gemäßigten Rohani 2013 war für die konservative Machtelite um Chamenei eine unangenehme Überraschung, die sie nun offenbar verhindern möchte.

"Das rigorose Aussieben ist ein Zeichen dafür, dass man das Ergebnis stark steuern will", sagt Cornelius Adebahr. "Man muss jetzt schon von einem konservativen Sieg ausgehen." Als klarer Favorit im kleinen Bewerberfeld gilt Ebrahim Raisi.

Wer ist Ebrahim Raisi?

Der 60-Jährige steht als "Justizchef" derzeit an der Spitze des iranischen Rechtssystems. Er gilt als Gefolgsmann von Revolutionsführer Chamenei und soll selbst an dessen Nachfolge interessiert sein.

"Politisch steht Raisi für eine Fortsetzung des Status Quo, also für eine strenge innenpolitische Gesetzgebung mit Internetzensur und der Verfolgung von politischen Gegnern", erklärt Iran-Experte Adebahr.

Eine Liberalisierung des Landes ist unter einem Präsidenten Raisi jedenfalls nicht zu erwarten. Ende der 1980er Jahre soll er an der massenhaften Tötung von Oppositionellen beteiligt gewesen sein. "Das ist den Menschen in Iran sehr bewusst", sagt Adebahr.

Was würde ein konservativer Präsident für die Beziehungen mit Europa bedeuten?

Der scheidende Präsident Rohani stand für einen vorsichtigen Öffnungskurs, hat sich damit aber bei den geistlichen Machthabern nur selten durchgesetzt. Der Iran gilt als sehr schwieriger Partner.

Experte Cornelius Adebahr glaubt, dass sich daran unter einem Präsidenten Raisi nicht viel ändern würde – weder zum Guten noch zum Schlechten. "Es wird wahrscheinlich genauso schwierig weitergehen wie bisher. Schon nach dem Abschluss des Nuklearabkommens war es eine Illusion, zu glauben, dass Iran automatisch eine konstruktivere Rolle spielen wird."

Allerdings könnte ein Präsident Raisi auch einen Vorteil für Verhandlungspartner in Europa und den USA haben: Er ist Teil der Machtelite um Revolutionsführer Chamenei. "Wenn man mit Raisi eine Einigung findet, ist die Chance größer, dass sie auch innenpolitisch Bestand hat", sagt Adebahr.

Wie stehen die Chancen auf ein neues Atom-Abkommen mit dem Iran?

Im Juli 2015 schloss die iranische Regierung das Atom-Abkommen mit den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, der Europäischen Union, China und Russland. Der Iran verpflichtete sich darin, auf die Entwicklung von Atomwaffen zu verzichten. Die anderen Partner sagten im Gegenzug zu, Sanktionen zurückzunehmen. 2018 erklärte der damalige US-Präsident Donald Trump aber den Ausstieg aus dem Abkommen – damit verhärteten sich die Fronten zwischen Teheran und dem Westen.

Nach dem Wahlsieg von Joe Biden wurde in Wien erst kürzlich wieder über eine Wiederherstellung des Abkommens verhandelt. Cornelius Adebahr sieht durchaus Chancen, dass die Verhandlungen zum Erfolg führen – ganz unabhängig vom Ergebnis der Präsidentschaftswahl. Denn der Iran leidet massiv unter den wirtschaftlichen Folgen der Sanktionen. "Die Machthaber haben grundsätzlich ein Interesse daran, wieder in einen Deal einzusteigen."

Wie reagiert die Bevölkerung auf die Nicht-Zulassung der moderaten Kandidaten?

Für die Machthaber ist diese Nicht-Zulassung eine Gratwanderung. In den vergangenen Jahren ist es mehrmals zu massiven Protesten gegen die politische und wirtschaftliche Isolierung des Landes gekommen. Jetzt gilt es als wahrscheinlich, dass viele Iranerinnen und Iraner die Wahl boykottieren werden.

Eine hohe Wahlbeteiligung diente der geistlichen Führung aber immer wieder als Argument, dass die Bevölkerung hinter ihr steht. "Wenn die Wahlbeteiligung dieses Mal deutlich geringer ausfällt, schränkt das auch die Legitimität des Systems ein", sagt Cornelius Adebahr. "Für die Machthaber scheint das aber das geringere Übel zu sein."

Dieser Artikel wurde erstmals am 11. Juni 2021 publiziert.
Über den Experten: Der Politikwissenschaftler Dr. Cornelius Adebahr ist selbstständiger Politikberater und Analyst in Berlin. Er hat an verschiedenen Universitäten unterrichtet und ist "Associate Fellow" am Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er hat eine Zeit lang in Teheran gelebt und unter anderem das Buch "Inside Iran: Alte Nation, Neue Macht?" veröffentlicht.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Cornelius Adebahr, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
  • Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb.de): Machtkonstante Theokratie: Iran nach 1979
  • Deutsche Welle: Wächterrat im Iran schließt moderate Kandidaten aus
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