Eine in Deutschland geborene Schülerin wird nach 15 Jahren nach Nepal abgeschoben, ein vorbestrafter Afghane tötet ein Kind, nachdem er zuvor schon schwer kriminell geworden war. Zwei Extremfälle, eine kontroverse Debatte bei Sandra Maischberger. Ein CSU-Politiker forderte die volle Härte des Rechtsstaats – und ausgerechnet ein Polizeigewerkschafter stellte diesen in Frage.

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Wenn ein Polizist in einer öffentlichen Fernsehsendung Zweifel am deutschen Rechtsstaat schürt, muss schon etwas Schwerwiegendes geschehen sein.

Was machte Arnold Plickert, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, so fassungslos?

Es ist der Fall der Duisburger Schülerin Bivsi Rana. Die 15-Jährige wurde in Deutschland geboren, vor 20 Jahren hatten ihre aus Nepal geflüchteten Eltern Asyl beantragt, vor wenigen Wochen wurde sie aus dem Unterricht gezerrt und in einen Flieger gesetzt.

"Ich kann die Abschiebung überhaupt nicht nachvollziehen", rang Plickert um Fassung. "Wenn ein Rechtsstaat 20 Jahre braucht, um eine Entscheidung zu treffen, dann habe ich Zweifel an dem Rechtsstaat." Spätestens mit dieser Kritik war die Debatte bei Sandra Maischberger eröffnet.

"Der Einzelfall ist immer dramatisch"

Denn prompt folgte Widerspruch von Stephan Mayer, dem innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

"Die Abschiebung von Bivsi ist korrekt gelaufen, das muss man so sagen", sagte Mayer auch hinsichtlich der falschen Identität, die deren Vater bei der Einreise nach Deutschland angegeben hatte.

Zwar bemängelte auch Mayer das überhastete Herausholen aus dem Unterricht, aber er betonte zugleich: "Der Einzelfall ist immer dramatisch. Am Ende wird nicht jeder hier bleiben können."

Das sieht auch eine Mehrheit der Bundesbürger so. Politik und die Justizbehörden sollen für mehr und schnellere Abschiebungen sorgen, heißt es in Umfragen.

Etwa 222.000 ausreisepflichtige Menschen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, leben aktuell in Deutschland. 158.000 von ihnen werden nur geduldet, sie könnten theoretisch jederzeit abgeschoben werden. Faktisch passiert dies oft erst nach Jahren – oder Jahrzehnten.

Gymnasiastin muss gehen, Brandstifter darf bleiben

Der Talk bei Maischberger machte in eindringlicher Weise auf die Schicksale hinter solchen Zahlen aufmerksam. Kopfschütteln konnte da einerseits die Abschiebung der gut integrierten Jugendlichen auslösen, die in Deutschland gerne Zahnmedizin studieren wollte und nun in der Heimat ihrer Eltern wegen der Sprachbarriere vorerst nicht einmal die Schule besuchen kann.

Auch der Vater – in Deutschland als Sushi-Koch berufstätig – findet in Nepal keine Arbeit, schilderte Bivsi Rana live zugeschaltet.

Kopfschütteln konnte aber auch der Fall eines Afghanen auslösen, der kürzlich in einer bayerischen Flüchtlingsunterkunft einen kleinen Jungen tötete.

Seine abgesessene, sechsjährige Haftstrafe wegen Brandstiftung und die Einschätzung eines Gerichts, von ihm gehe weiter eine große Gefahr aus, war den Behörden in Arnschwang nicht bekannt.

Der Mann war ursprünglich ausreisepflichtig gewesen. Dann kehrte ein Gericht die Entscheidung um, weil er im Gefängnis zum Christentum konvertiert war. Damit drohe ihm in Afghanistan Verfolgung, hieß es in dem Urteil.

Der Bürgermeister der Gemeinde, Michael Multerer, war sichtlich bewegt, als er den Fall schilderte. Den Hauptvorwurf machte er dem Staat insgesamt, "weil er ihm die Möglichkeit gibt, das er hier noch frei herum läuft."

Populismusvorwurf gegen CSU-Politiker

Renate Künast, Bundestagsabgeordnete der Grünen, verteidigte die Entscheidung hingegen: "Wir dürfen Menschen nicht abschieben in Länder, in denen ihnen Tod und Folter droht."

Man hätte den Afghanen nach Verbüßung seiner Strafe nicht einfach so "wieder in den Knast packen" können, so Künast.

Sie hätte sich vielmehr eine soziale Betreuung nach der Haftentlassung gewünscht. CSU-Mann Mayer, der an Rückführungen nach Afghanistan nichts auszusetzen hat, warf sie " Abschiebepopulismus" vor.

Der schmetterte den Vorwurf ab – und betonte die notwendige "Durchsetzung des Rechtsstaats".

Dem folgte auch Polizeigewerkschafter Plickert, der im Interesse der deutschen Bevölkerung Straftäter trotz der desolaten Sicherheitslage auch nach Afghanistan abschieben lassen würde. "Es überwiegt das Argument, die eigene Bevölkerung zu schützen."

Durchaus beunruhigend war seine Aussage, wegen der Gefährlichkeit des Afghanen sei eigentlich eine Rund-um-die-Uhr-Observation geboten gewesen – aber für so etwas gebe es bei der Polizei gar keine Kapazitäten. Indirekt hieß das: Es bestehen Situationen, in denen der Staat seine Bürger nicht schützen kann.

Aktivistin: "Bleiberecht für alle"

Die Flüchtlingsaktivistin Nurjana Arslanova lebte selbst 12 Jahre in der Angst vor Abschiebung. Bei Maischberger vertrat sie die radikalste Position unter den Gästen, wie die Moderatorin betonte.

Die junge Frau aus Dagestan forderte ein "Bleiberecht für alle". Kriminelle Asylbewerber sollten nicht "doppelt bestraft" werden, indem sie auch noch abgeschoben werden. "Alle Menschen sollen dort leben können, wo sie wollen", sagte Arslanova.

Stephan Mayer konnte es nicht fassen. "Das wäre die Einladung für die ganze Welt, nach Deutschland zu kommen. Das geht einfach nicht." Dafür habe auch ein reiches Land wie Deutschland nicht die Kapazitäten.

Selbst Renate Künast, die meist für die Geflüchteten Partei ergriff, zitierte da einen Satz aus dem Wahlprogramm ihrer Partei: "Nicht jeder, der zu uns kommt, kann bleiben."

Schließlich machte sich die Grüne noch dafür stark, Programme zur freiwilligen Rückkehr zu stärken. Der Grund: Zuletzt waren mehr Menschen freiwillig in ihre Heimatländer zurückgekehrt als abgeschoben werden konnten.
"Hat der Staat einen Plan, wen er zurückschickt?", fragte die meist auf den Punkt nachhakende Maischberger abschließend in die Runde. Ein klares Ja kam angesichts der beiden dramatischen Einzelfälle niemandem über die Lippen.

Für die Schülerin Bivsi Rana könnte sich durch ein Schülervisum noch ein Hintertürchen für eine Rückkehr öffnen. Der afghanische Straftäter wird dagegen vorerst in Deutschland bleiben können: Abschiebungen in das zentralasiatische Land sind nach einem schweren Terrorangriff aktuell ausgesetzt.

Ist die Politik bei Abschiebungen nun zu lasch oder zu hart? Die Antwort muss wohl lauten: manchmal beides.

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