Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat die Erwartungen an eine Verbesserung der Pflege bei Sandra Maischberger gedämpft. Er werde in drei Jahren "nicht das Paradies schaffen", sagte der CDU-Politiker. Genervt reagierte er auf eine Frage zu seiner früheren Lobbyarbeit.

Eine Kritik

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Gleich in ihrer ersten Frage verteilte Sandra Maischberger eine kleine Spitze an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Ob Bundeskanzlerin Angela Merkel ihm mit dem Amt einen Gefallen tun wollte, fragte die Gastgeberin keck.

Merkel band einen ihrer größten Kritiker mit dem Ministeramt ein. Sie wies ihm mit der Verbesserung der Pflegebedingungen aber auch eine Herkules-Aufgabe zu, an der viele seiner Vorgängerinnen und Vorgänger gescheitert waren.

Spahn reagierte auf Maischbergers Einlassung ausweichend – und legte die Latte an die eigene Arbeit nicht zu hoch. "Ich werde in drei Jahren nicht das Paradies schaffen. Wenn die [Pflegekräfte, Anm. d. Red.] sagen: Es ist besser geworden. Dann wäre ich schon sehr zufrieden."

"Das Haus Pflege knirscht und ist marode"

Schon bei der Einschätzung, wie die Situation in der Pflege eigentlich zu bewerten ist, herrschte bei den Gästen keineswegs Einigkeit.

Jens Spahn meinte, in der großen Mehrheit der Einrichtungen werde "echt gute Arbeit gemacht". In vielen Bereich habe es in den vergangenen Jahren schon Verbesserungen gegeben. Aber Spahn stellte auch klar: "In zu vielen Einrichtungen ist es nicht so wie es sein müsste."

Für Altenpfleger Sandro Plett war dagegen klar, dass die Politik "keine Ahnung von dem hat, was wir machen." Schon in der Ausbildung würden die Nachwuchskräfte systematisch überfordert, was er vor allem dem schlechten Personalschlüssel anlastete.

Susanne Hallermann vom Verein "Wir pflegen e.V.", griff zu einem bildlichen Vergleich. "Das Haus Pflege knirscht und ist marode."
Armin Rieger, ein früher Heimbetreiber und Pflegekritiker, hält das ganze System für eine Fehlkonstruktion. Durch die Einsparung von Personal werde der Profit maximiert. "Mit schlechter Pflege wird viel Geld verdient, mit guter Pflege wenig", so das ernüchternde Fazit seiner beruflichen Tätigkeit.

Das wollte Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbandes Pflege, so nicht stehen lassen. Er sprach in Bezug auf Missstände wie der Vernachlässigung von Patienten von Einzelfällen. "Alle Heime sind sehr streng kontrolliert. Die Zustände sind besser geworden in den letzten 20 Jahren."

Aber, das konnte auch Greiner nicht leugnen, man könne "noch einiges" verbessern.

"Durch die Politik sanktionierter Betrug"

Zum Beispiel den Personalschlüssel. Jens Spahn will 8.000 neue Pflegekräfte in Lohn und Brot bekommen. Bei einem Verhältnis Pfleger zu Pflegebedürftiger von 1:5, wie es Sandro Plett für ideal hält, nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Eine Fachkraft muss sich in Bayern um 30 Menschen kümmern – ein Bestwert in Deutschland beim Personalschlüssel.

Spahn kündigte an, die Unterschiede in den Ländern abzuschaffen und den Beruf attraktiver zu machen, indem die Beschäftigten besser bezahlt werden.

Ein großer Streitpunkt war der sogenannte Pflege-Tüv des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). "Der MDK ist sinnlos. Fast jedes Seniorenheim bekommt die Note 1 oder 2", urteilte Pfleger Sandro Plett.

Noch deutlicher wurde Pflegekritiker Armin Rieger: "Der Pflege-Tüv ist ein durch die Politik sanktionierter Betrug." Kontrollen könnte man fast ganz abschaffen, weil nur Listen und Dokumente beurteilt würden, die tatsächlich Arbeit aber kaum.

Als Heimleiter hatte Rieger vor einer Kontrolle des MDK die Speisekarte abgenommen. Obwohl das Essen von einem Koch vor Ort ganz frisch zubereitet wurde, erhielt sein Heim bei der Prüfung die Note Fünf. Der Grund: Die Prüfer wollten die Speisekarte bewerten, das Essen probierten sie überhaupt nicht aus.

Verbesserungsbedarf sah auch Neu-Minister Spahn. Der Pflege-TÜV sei unbefriedigend und müsse überholt werden. "Ist der Tüv Geschichte?", wollte ihn Maischberger festnageln. "Wenn Sie die Kollegen von der SPD überzeugen, bin ich der Erste, der ihn abschafft", antwortet er ausweichend.

Pflegekritiker Rieger äußerte generelle Zweifel, ob Spahn wegen seiner früheren Tätigkeit für eine Lobbyfirma überhaupt willens sei, denjenigen zu schaden, "die vom System profitieren". Der Minister reagierte erbost – und widmete sich schnell wieder den Sachfragen.

"Ich habe den Boden des Systems geküsst"

Ein klein wenig Hoffnung bei diesem schwierigen Thema verbreitete Schlagersängerin Cindy Berger ("Cindy & Bert), die jahrelang ihre Mutter zuhause gepflegt hatte. "Für mich war das eine schöne Zeit, eine so enge Zeit mit meiner Mutter".

Berger wollte Menschen ermutigen, ihre Lieben selbst zu betreuen. "Man darf nicht alles auf die Krankheit reduzieren. Es gibt auch viele positive Dinge."

Das Problem: Menschen, die in den eigenen vier Wänden Angehörige betreuen, rutschen wegen maximal 900 Euro Entschädigung bei Pflegegrad 5 schnell in Armut. "Ich habe den Boden des Systems geküsst", sagte Susanne Hallermann, die ihre Oma lange zuhause gepflegt hatte und dafür ihren Job aufgab.

Ihr schonungsloses Urteil: Pflegende Angehörige befinden sich sozial und finanziell in der Armutsspirale. In den Augen von Jens Spahn sei bei der häuslichen Pflege in den letzten Jahren schon vieles verbessert worden.

Spahn will Eltern nicht selbst pflegen

Spahn selbst sagt übrigens, er könne sich nicht vorstellen, seine Eltern selbst zu pflegen. "Meine Eltern würden es auch nicht erwarten, dass ich meinen Beruf aufgebe, um sie zu pflegen", sagte er und ergänzte: "Ich würde so oft wie möglich versuchen, zuhause zu sein und mitzuhelfen."

Alle Familien würden das Thema weit wegschieben - "meistens, bis es zu spät ist". Er habe das Gespräch hierüber mit seinen Eltern selbst erst gesucht, nachdem er vor Jahren in einer Talkshow darauf angesprochen worden sei.

Als Minister will er sich nun daran messen lassen, für alle Pflegenden bis zum Ende der Legislaturperiode die Bedingungen zu verbessern. Man muss für diese Menschen – und vor allem für die Kranken – hoffen, dass es nicht bei Ankündigungen und Versprechungen bleiben wird.

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