Beim ZDF-Sommerinterview mit Bettina Schausten übt die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock Selbstkritik, räumt aber gleichzeitig mit Vorurteilen gegenüber ihrer Partei auf. Eine gute Gelegenheit also, einmal darüber zu reden, wie man Politik vermittelt, die kurzfristig wehtut, aber langfristig hilft. Leider blieb diese Gelegenheit ungenutzt.

Christian Vock
Eine Kritik

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Merkel, Steinmeier, Lindner, Riexinger - beim fünften Sommerinterview spricht Bettina Schausten diesmal mit der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock.

Darüber hat Bettina Schausten mit Annalena Baerbock gesprochen

Die Grünen und der Osten

Es ist Baerbocks eigene Vita, die Schausten den Einstieg in das Interview liefert. Viele Menschen würden von Baerbock denken, dass sie aus dem Osten kommt, weil ihr Wahlkreis in Potsdam ist. Geboren wurde Baerbock aber in Hannover. Für Schausten die Vorlage für einige Ost-West-Fragen. Ob diese Kategorien überhaupt noch eine Bedeutung hätten und ob sie als Wessi wahrgenommen werde, wollte Schausten zum Auftakt wissen.

Für Baerbock liege das Verbindende zu den Menschen im ländlichen Raum in Brandenburg eher in ihrer eigenen dörflichen Herkunft: "Manche haben noch nie eine Grünen-Politikerin getroffen oder überhaupt eine Politikerin", erzählt Baerbock über ihre Begegnungen. Für Schausten der Impuls nach den Gründen zu fragen, warum die Grünen im Osten nicht so erfolgreich sind und ob das an der Wahrnehmung der Partei liege.

Mit Baerbocks Antwort verlagert sich der Schwerpunkt dann vom Osten zu der Frage, wie Politik im Allgemeinen und grüne Politik im Speziellen überhaupt vermittelt wird.

Politikvermittlung

Es ist Baerbock selbst, die das Vorurteil der "Verbotspartei" ins Spiel bringt: "Verbote heißt ja, Regeln zu setzen. Wir sind eine Gesellschaft, die klare Regeln hat. Allerdings, und da muss man sich auch selbstkritisch hinterfragen: Wie kommt das an?"

Gerade bei der Diskussion um den Veggieday sei etwas schiefgelaufen, erklärt Baerbock: "Offensichtlich haben wir da was falsch gemacht. Wir wollen ja nicht den Menschen ändern, wir wollen die Art der Landwirtschaftsform ändern."

Grünes Selbstverständnis

Nach dieser Selbstkritik wird das Selbstverständnis der Grünen unter die Lupe genommen und Schausten macht das anhand einer ganzen Reihe von aktuellen Fragen. Die Grünen hätten zum Beispiel oft genug die Verrohung der Sprache bei der CSU kritisiert, selbst habe Baerbock aber für die Transitzentren den Begriff der "Internierungslager" verwendet. "Warum machen Sie das Spiel mit?", will Schausten deshalb wissen.

Das sei immer eine Gratwanderung, erklärt Baerbock und rechtfertigt dann die Verwendung des Begriffs "Internierungslager": "Den habe ich am Anfang auch nicht benutzt, aber als dann von der CSU der Begriff 'Transitzentren' benutzt wurde, für Einrichtungen, wo klar war: Mauer drum rum, keiner kommt rein. Da werden Leute dauerhaft festgehalten – das sind keine Transitzentren. Transit heißt Durchreise. Dagegen habe ich bewusst das Wort Internierung gestellt, weil Internierung bedeutet, dass der Staat Leute und Gruppen an einem Ort festhält und sie können nicht raus."

Zum Selbstverständnis einer Partei gehört auch die Frage, mit wem man im Fall der Fälle koalieren könnte. Zu der neuen linken Sammelbewegung von Sahra Wagenknecht sagt Baerbock: "Ich verstehe die Bewegung von Frau Wagenknecht nicht so, denn eine Bewegung entsteht von unten und nicht von oben. Mit ist bisher nicht klar, was sie eigentlich will."

Auf die nahende Wahl in Bayern und auf eine mögliche Koalition mit der CSU angesprochen, antwortete Baerbock: "Das diskutieren wir intensiv, aber an den Inhalten für eine ökologische, gerechte und weltoffene Politik. Angesichts dessen, was in den letzten Wochen passiert ist, haben wir klar gesagt: Wer mit uns über diese drei Themen ernsthaft reden will, mit dem reden wir. Wer über eine Rückkehr ins Nationale reden will und antieuropäische Töne anschlägt, wie jetzt bei der CSU: Darüber werden wir keine Gespräche führen."

So schlug sich Bettina Schausten

Für Schausten war das Interview, so machte es den Eindruck, eher ein Routineeingriff. Schausten fragte das, was ohnehin gerade an Fragen en vogue oder dauerrelevant ist: Sprachverrohung, Horst Seehofer, Asylstreit, Rechtsruck, Koalitionen und bei den Grünen die immer gleiche Frage nach der Besserwisser- und Verbotspartei.

So schlug sich Annalena Baerbock

Ein gutes Pferd springt nicht höher als es muss, sagt man. Dementsprechend gelassen konnte Annalena Baerbock bleiben, denn auf wirklich harte Fragen musste Baerbock gar nicht erst antworten, auf bohrende Nachfragen auch nicht.

Nur ein Mal, bei der Frage nach der eigenen Sprachverrohung, hakte Schausten etwas hartnäckiger nach und zog dann, ohne eine Diskussion abzuwarten, ihr eigenes Fazit: "Sie drehen an der Schraube in dieser Situation auf jeden Fall mit." Thema erledigt.

Fazit des Sommerinterviews

Nun ist es ja eigentlich eine Luxussituation, dass man in den Sommerinterviews Politiker außerhalb des täglichen Politikbetriebs mit seinen schnellen Antworten, Schlagworten und dem ständigen Rechtfertigungsdruck befragen kann. Hier bietet sich der Raum, einmal nach dem großen Ganzen zu fragen.

Nur war das diesmal leider nicht der Fall. Natürlich kann man das Interview so führen, wie Bettina Schausten es gemacht hat. Aber dann bekommt man immer nur Häppchen-Antworten auf Häppchen-Fragen, Grundsätzliches bleibt auf der Strecke.

Wenn man zum Beispiel über die Grünen-Klischees spricht und Baerbock hier Selbstkritik übt, dann wäre es doch spannend gewesen, wie man dieses Dilemma auflöst. Wie man Politik, auch und gerade die, die wehtut, Verzicht fordert und Irrationalität auslöst, aber auf lange Sicht notwendig ist, wie man diese Politik besser vermittelt. Bei all den Problemen, die drängen, eine immer wichtigere Frage.

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