Bei "dunja hayali" ging es am Mittwoch um den Drang nach Freiheit in der DDR. Es gab bewegende Geschichten – und harsche Vorwürfe gegen "Eisprinzessin" Katarina Witt.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Bartlau dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Seit dem Mauerfall ist viel passiert, aber nicht genug. Wer mit einem solchen Satz in einen Text einsteigt, weiß wohl nicht so recht, was er sagen will. Dunja Hayali stieg mit diesem Satz in ihre Sendung am Mittwochabend im ZDF ein – und wusste ganz offenbar auch nicht so recht, worüber sie genau sprechen wollte in den folgenden 45 Minuten.

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"Offene Baustellen" hatte sie ausgemacht in der Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Also hüpfte sie von einer zur nächsten, spektakuläre Flucht hier, Stasi-Knast dort, und mittendrin "die Witt", die von nichts wusste. Alles interessant, alles wichtig – und gleichzeitig irritierend oberflächlich.

Was war das Thema bei "dunja hayali"?

Am 9. November jährt sich zum 30. Mal der Fall der Berliner Mauer, Deutschland erinnert sich an die Tage, in denen die deutsch-deutsche Grenze fiel – und natürlich an die Zeit davor. TV-Moderatorin Dunja Hayali nahm das Jubiläum zum Anlass, um über "30 Jahre Mauerfall" und eine "Ballon-Flucht in die Freiheit" zu reden.

Mit diesen Gästen diskutierte Dunja Hayali

"Das schönste Gesicht des Sozialismus" wurde Katarina Witt genannt, die mittlerweile 53-Jährige gewann für die DDR zweimal Olympia-Gold im Eiskunstlauf.

Der DDR-Bürgerrechtler Roland Jahn leitet seit 2011 die Stasi-Unterlagenbehörde.

Die Dresdnerin Katja Kipping ist Co-Vorsitzende der Linkspartei. Beim Mauerfall war sie 11 Jahre alt, Ende der 90er trat sie in die SED-Nachfolgepartei PDS ein.

Filmemacher Michael "Bully" Herbig stellte seinen Film "Ballon" vor, der die Flucht des ebenfalls anwesenden Günter Wetzel erzählt. "Um nichts in der Welt" würde er das Wagnis noch einmal auf sich nehmen, gemeinsam mit seiner Frau, einem befreundeten Paar und den vier Kindern in einen selbstgebauten Heißluftballon zu steigen, sagte Wetzel. "Aber damals haben wir den Gedanken beiseite geschoben. Wir wollten halt raus."

Was war der Moment des Abends?

Merkwürdigerweise verzichtete Hayali darauf, Wetzel zu fragen, warum er und seine Familie das Risiko auf sich nahmen. Überhaupt wollte die Gastgeberin offenbar nichts wissen vom heutigen Rentner – ob er Hoffnungen gehabt habe auf den Westen, fragt Hayali noch.

Ja, sagt Wetzel. Aber welche? Es scheint Hayali nicht zu interessieren, und so bleibt Wetzel blass. Er ist der Mann mit dem Ballon, mehr bleibt nicht hängen.

Das genaue Gegenteil folgt gleich nach der Verabschiedung von Herbig und Wetzel: Ein Beitrag zeigt Hayali beim Besuch im Stasi-Knast Hohenschönhausen, in dem in den 40 Jahren der DDR rund 10.000 Menschen einsaßen. Einer davon war Andreas Mehlstäubl, dem die Flucht misslang. Er musste ein halbes Jahr lang die "weiße Folter" der Stasi ertragen, bis er aus dem Gefängnis entlassen wurde und in die BRD ausreisen durfte.

Doch der Schmerz war nicht vorbei: Als er Jahre später seine Stasi-Akte las, erfuhr er, wer ihn jahrelang als IM bespitzelt hatte – der eigene Vater. Mehlstäubls Geschichte transportiert Hayali in vielen Details, mit starken Bildern, die den Schrecken dieses Ortes vermitteln. Als es wieder zurückgeht ins Studio, ist es mucksmäuschenstill.

Das Rede-Duell des Abends

Als das Bild von ihr und Erich Honecker erscheint, rutscht Kati Witt unruhig auf der Couch umher. "Auch Katarina Witt hat das System gestärkt, als Botschafterin in Traininghosen", hat Roland Jahn da gerade gesagt, auch sich selbst hat er nicht ausgenommen in seinem Appell, die Verantwortung für das eigene Tun und Lassen in der DDR zu übernehmen.

"Hätten Sie sich entziehen können?", wollte Hayali von Witt wissen. Nicht, wenn sie ihre Karriere fortführen wollte, gibt die Ex-Eiskunstläuferin zu. "Das war sicher eine Form von Egoismus." Die allermeisten DDR-Bürger, hatte sie vorher gesagt, hätten sich einfach arrangiert mit dem System.

Dass "die Witt" sich selbst mit einschließt, darf man ihr als wohltuende Ehrlichkeit anrechnen. Ob sie aber wirklich "all das, was wir heute erfahren", nicht gewusst hat?

Roland Jahn nimmt es ihr nicht ab: "Den Weg, den Sie gegangen sind bei den Wettkämpfen von Ost nach West, den sind andere gegangen und erschossen worden, wussten Sie das nicht?" - "Äh nein, nicht in der Form, ganz ehrlich."

Wie hat sich Dunja Hayali geschlagen?

Erst eine irritierende Distanz zu ihren Gästen, dann fast unerträgliche Nähe in der Geschichte des Stasi-Häftlings Andreas Mehlstäubl – Dunja Hayali pendelt in dieser Sendung zwischen den Extremen. In die Runde mit Witt, Kipping und Jahn kann sie keinen rechten Schwung hineinbringen.

Beim Versuch, die Linken-Politikerin Kipping auf den Begriff "Unrechtsstaat" für die DDR festzunageln, dreht sich die Debatte immer wieder im Kreis. Man kann das Lavieren von Kipping ("Das ist ein Unterwerfungsritual.") für falsch halten, die Bezeichnung an sich bleibt aber sowohl politisch als auch juristisch umstritten, was Hayali aber auch nicht weiter erläutert.

Jahn bleibt der Hinweis vorbehalten, der "Unrechtsstaat" stehe doch im Duden, was er genau bedeutet, erfahren die Zuschauer aber nicht. Überhaupt erfährt man recht wenig in dieser Sendung, was schade ist: Wenn so viele Baustellen noch offen sind, warum hilft Hayali nicht dabei, ein wenig Baumaterial herbeizuschaffen?

Warum erklärt Sie zum Beispiel nicht, wie viele inoffizielle Stasi-Mitarbeiter es gab (1989 wohl rund 189.000), wie viele Menschen insgesmt für Stasi-Unrecht verurteilt wurden (251) und nach welchem Grundsatz die Strafverfolgung erfolgte (vereinfacht gesagt wurde nur bestraft, was nach DDR- und BRD-Recht strafbar war)?

Das Ergebnis des Abends

Es bleibt das Grundproblem aller Talkshows im deutschen Fernsehen: Wo wenig Fakten geliefert werden, wird viel gemeint. "dunja hayali" lebte an diesem Mittwoch hauptsächlich von den Erzählungen der prominenten Gäste.

Kati Witt versuchte am Beispiel ihrer Eltern zu zeigen, dass die Wendezeit viele Verlierer in der ehemaligen DDR produzierte: "Die standen vor den Scherben ihres Lebens. Man hat ihnen nichts zugetraut, sondern ihnen nur gesagt, wo es langgeht."

Katja Kipping erinnerte an die Menschen, die mit der Mauer nicht gleich den Sozialismus entsorgen wollten, die das bestehende System demokratisieren wollten, und schließlich scheiterten. Für sie selbst, sagte Kipping, sei es wichtig, die richtigen Konsequenzen aus den Fehlern der DDR zu ziehen: "Man sollte woanders keine Mauern aufbauen." Auch der Kampf gegen einen Überwachungsstaat ergibt sich für sie aus den Lehren der DDR-Zeit.

Letztlich, erklärte Ex-Bürgerrechtler Roland Jahn, helfe in der heutigen Zeit nur der Dialog zwischen Ostdeutschen untereinander sowie Ost- und Westdeutschen: "Ohne Schuldvorwürfe."

Diese Bereitschaft sieht Kipping immer mehr gegeben: "Die Überheblichkeit weicht dem Interesse." Auch, wenn man das Dunja Hayali an diesem Abend nicht zu jeder Sekunde angemerkt hat.

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