Nelson Mandela erhielt für seinen Kampf um Versöhnung 1993 den Friedensnobelpreis und wurde danach erster schwarzer Präsident Südafrikas. Doch gefeiert wird er dort nicht mehr.

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Nelson Rolihlahla Mandela ist zusammen mit Martin Luther King und Mohandas Karamchand Gandhi sicherlich der bekannteste Friedensaktivist des vergangenen Jahrhunderts.

Heute zum zehnten Todestag gedenkt nicht nur sein Heimatland Südafrika und der afrikanische Kontinent, sondern die ganze Welt Mandelas. Am 5. Dezember 2013 starb der Friedensnobelpreisträger 95-jährig in Johannesburg. Südafrika verhängte damals Staatstrauer, weltweit gab es große Anteilnahme.

Mandelas Geschichte

Madiba – am 18. Juli 1918 in Mvezo geboren – prägte wie kaum ein anderer Politiker und Aktivist Südafrika. Im Jahrzehnte andauernden Widerstand gegen die rassistische Apartheid in Südafrika wurde er bekannt. Wegen seines Kampfes gegen die rassistische und menschenverachtende Diktatur der Weißen in seinem Land musste Mandela von 1963 bis 1990 27 Jahre als politischer Gefangener in Haft verbringen.

Der Mythos Mandela war geboren. Er war der herausragende Vertreter im Freiheitskampf gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit. Dank Mandela schaffte das zerstrittene und tief gespaltene Südafrika Anfang der 1990er Jahre den versöhnlichen Übergang von der Apartheid zu einer Demokratie. Leider dauerte der friedliche Übergang nicht lange an. Und sein politisches Erbe sollte nicht nur posthum schnell Risse bekommen. Überhaupt sah sich Mandela selbst nie als Held, ihm war seine Popularität gar etwas peinlich, liest man in einem 2019 erschienen Beitrag der Frankfurter Rundschau zum Erbe Mandelas.

Denn das Südafrika, das sich der große Mandela wünschte, entwickelte sich nach anfänglichen Erfolgen schnell in die entgegengesetzte Richtung. "Ziemlich katastrophal. Arbeitslosigkeit und Mordrate gehören zu den höchsten der Welt, das Bildungssystem ist marode, die Korruption hat sich tief in den Staat hineingefressen, nicht einmal eine regelmäßige Stromversorgung gibt es mehr im Land, viele Gutausgebildete wandern aus", konstatiert Stephan Bierling, Professor für internationale Politik an der Universität Regensburg und Autor einer Biografie über Nelson Mandela gegenüber unserer Redaktion.

Mandelas Partei, der African National Congress (ANC), habe das riesige Land nach Mandelas Amtszeit ruiniert. Einziger Lichtblick laut Bierling ist nur die von der Opposition regierte Westkap-Provinz. "Dort funktioniert es einigermaßen."

Südafrika kein Stabilitätsanker in Afrika

Südafrika ist schon lange nicht mehr der Stabilitätsanker in Afrika, manche sagen sogar, es sei es nie gewesen. Nigeria, Ägypten und teilweise auch Algerien oder Ghana haben wirtschaftlich das Land überholt. Die Fußball-Weltmeisterschaft im Jahre 2010, die erste auf dem afrikanischen Kontinent, hat dem Land nicht nachhaltig geholfen. "Einzig weltweite Aufmerksamkeit hat sie gebracht, auch weil Mandela als schwerkranker Greis dort noch einmal persönlich aufgetreten ist", erklärt Bierling.

Der Regensburger Politikwissenschaftler wirft dem seit 1994 ununterbrochen regierenden ANC vor, diesen Schwung während und nach der WM vergeudet zu haben. "Im folgenden Jahrzehnt haben die herrschenden Eliten um Präsident Jacob Zuma das Land ausgeplündert, bis nichts mehr da war." Der heute 81 Jahre alte Zuma war von 2009 bis 2018 Präsident und galt als erzkorrupt.

Das große Problem des aktuellen Südafrikas sei der ANC. National wie international. Außenpolitisch bandelt der ANC gerne mit Russland an. Sein Vorsitzender, Matamela Cyril Ramaphosa, ist zugleich Präsident Südafrikas. Er arbeitet im Rahmen der BRICS-Staaten eng mit Putins Russland zusammen. In einem Bericht der "Augsburger Allgemeinen" stellt der Autor fest, dass die Nähe des ANC und dessen Regierung zu Russland zuletzt immer deutlicher wurde. Der ANC habe pro-russische Pressemitteilungen versandt, Vertreter der ANC-Jugendorganisation seien als Beobachter zu den völkerrechtswidrigen Scheinreferenden in der Ostukraine entsandt worden. Parteispenden durch russische Oligarchen seien geflossen.

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Innenpolitisch steht es um den ANC auch nicht gut. "Der ANC hat alle Wahlen auf nationaler Ebene seit 1994 gewonnen. Aber angesichts seines Versagens, das Leben der Menschen zu verbessern, wenden sich mehr und mehr Bürger von ihm ab", weiß Bierling zu berichten. Bei den nächsten Wahlen im Frühjahr 2024 könnte er abgestraft werden. "Dem ANC droht erstmals, die Mehrheit zu verlieren", erklärt Bierling. Denn die Oppositionsparteien hätten sich verabredet, in diesem Fall gemeinsam regieren zu wollen – obwohl sie weltanschaulich völlig unterschiedlich seien.

Friedensnobelpreis 1993

Zurück zu Nelson Mandela: Mandela erhielt für seinen Kampf um Versöhnung und Frieden 1993 den Friedensnobelpreis und wurde danach erster schwarzer Präsident Südafrikas. Von 1994 bis 1999 regierte er die "Regenbogennation". Zwar wird Mandela nach wie vor als Gründungsvater der neuen demokratischen Nation verehrt, der den Bürgerkrieg abwenden konnte. Dennoch ist er umstritten bei seinen Landsleuten. Der Kult um seine Person ist längst vorbei in Südafrika, das an sozialer Ungleichheit zu ersticken droht.

Es heißt in Südafrika, Nelson Mandela habe seine schwarzen Landsleute erst befreit, dann verraten. Auch mehr als 30 Jahre nach dem Ende der Apartheit leben noch viele Schwarze in großer Armut. Und in Ungleichheit. Für sie hat sich die Befreiung nicht ausgezahlt. Schließlich dominieren immer noch Weiße wichtige Wirtschaftszweige. Das bestätigt auch Stefan Bierling: "Radikale Schwarze sehen Mandela heute als Ursprung vieler Übel, weil seine Versöhnungspolitik die Weißen in ihren Augen zu billig hat wegkommen lassen. Der ANC schmückt sich nach wie vor mit seinem Namen, obwohl er fast alle seiner Prinzipien verraten hat. Allein die Weißen verehren ihn, weil er ihnen eine Zukunft in Südafrika ermöglichen wollte."

Kritik von Opposition

Insbesondere die junge Generation hat diese Umstände satt. Wortführer der jungen Wütenden ist Julius Malema. Malema war zuvor Chef der ANC-Jugendliga, nach seinem Rausschmiss aus der Regierungspartei gründete er seine eigene Partei, die "Economic Freedom Fighter" (EFF). Heute ist sie die drittstärke Oppositionspartei. Mandela habe die Revolution nie vollendet, kritisiert Malema immer wieder. So hätte Mandela sich dafür einsetzen müssen, dass die Rohstoffe und die Industrie weg von den weißen Kolonialisten und hin zur schwarzen Bevölkerung hätten gelangen müssen.

Die EFF-Kämpfer wollen, wenn sie kommendes Jahr an die Macht kämen, die Revolution vollenden – mit einer radikalen Landreform, der Verstaatlichung von Banken und Minen sowie der "Entkolonialisierung" der noch immer von weißen Wissenschaftlern beherrschten Universitäten. Kurzum: Im heutigen Südafrika wird Mandela für die Zeit vor seiner Haft und im Gefängnis gefeiert. Der für weiße Kolonisatoren wirtschaftlich opportune Kompromisse machende Mandela nach der Apartheit wird nicht geliebt.

Über den Gesprächspartner

  • Stephan Bierling ist Professor für internationale Politik an der Universität Regensburg. Er wurde ausgezeichnet als "Professur des Jahres 2013" in einem deutschlandweiten Wettbewerb der Zeitschrift UNICUM. Zuletzt erschienen: "America First. Donald Trump im Weißen Haus. Eine Bilanz" und "Nelson Mandela. Rebell, Häftling, Präsident"

Verwendete Quellen

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