Im Gazastreifen besteht weiterhin keine Aussicht auf eine Feuerpause. "Der Krieg wütet weiter", sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Montag. Er selbst steht in seinem Land jedoch unter Druck.

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Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat zum Unabhängigkeitstag seines Landes Entschlossenheit im Krieg gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen betont. "Der Krieg wütet weiter", sagte er in einer Videoansprache. Die Armee lieferte sich erneut vom Norden bis in den Süden heftige Kämpfe.

Israelische Truppen sind nach Augenzeugenberichten währenddessen tiefer in die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens vorgedrungen. Panzer bewegten sich demnach am Dienstag von Osten aus in weiter westlich gelegene Viertel. Die Armee äußerte sich zunächst nicht zu den Berichten.

450.000 Menschen auf der Flucht aus Rafah

Verbündete wie die USA hatten Israel insbesondere wegen der befürchteten Konsequenzen für die Zivilbevölkerung immer wieder vor einer großen Bodenoffensive in der Stadt gewarnt. Dort hatten bis vergangene Woche rund eine Million Menschen Schutz vor Kämpfen im übrigen Gazastreifen gesucht.

Fast 450.000 Menschen haben laut UN-Schätzungen binnen einer Woche Rafah wieder verlassen. "Leere Straßen in Rafah, während Familien weiter fliehen auf der Suche nach Sicherheit", schrieb das Palästinenserhilfswerk UNRWA auf der Plattform X.

Die israelische Armee war vor gut einer Woche von Osten auf die Stadt vorgerückt und kontrolliert seitdem auch den palästinensischen Teil des Rafah-Grenzübergangs nach Ägypten. Israel übt militärischen Druck auf die islamistische Hamas in Rafah aus, um die Freilassung von im Oktober verschleppten Geiseln zu erreichen. Israel will auch die verbliebenen Bataillone der Extremisten zerschlagen.

"Die Menschen sind ständig mit Erschöpfung, Hunger und Angst konfrontiert", hieß es in dem X-Post von UNRWA. "Es ist nirgendwo sicher. Eine sofortige Waffenruhe ist die einzige Hoffnung."

Rakete aus Gaza auf israelische Küstenstadt abgefeuert

Aus dem Gazastreifen ist indes erneut eine Rakete auf die israelische Küstenstadt Aschkelon abgefeuert worden. In der Stadt nördlich des Gazastreifens heulten die Warnsirenen. Die israelische Nachrichtenseite Ynet berichtete, das Geschoss sei von der Raketenabwehr abgefangen worden.

Es gab zunächst keine Berichte über Verletzte oder Sachschaden. Am Sonntag war eine Rakete in einem Wohnhaus in Aschkelon eingeschlagen. Dabei wurden drei Menschen verletzt.

Die islamistische Terrororganisation Hamas hat zuletzt wieder verstärkt israelische Ortschaften vom Gazastreifen aus angegriffen. Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor mehr als sieben Monaten sind nach israelischen Angaben mehr als 16.600 Geschosse aus dem Küstenstreifen auf Israel abgefeuert worden.

Familien der Geiseln: Hoffnung ist noch nicht verloren

Währenddessen erinnerten am Vorabend des Unabhängigkeitstages bei einer Kundgebung in Tel Aviv nach Angaben der Veranstalter rund 100.000 Menschen an das Schicksal der 132 Geiseln im Gazastreifen. Die Kundgebung stand unter dem Motto "Unsere Hoffnung ist noch nicht verloren". Dabei gab es auch Proteste gegen Netanjahu und seine Regierung.

Vor dem Hintergrund der festgefahrenen Verhandlungen über die Freilassung der in Gaza festgehaltenen Geiseln und eine Waffenruhe sagte ein Redner der Kundgebung am Abend: "Die Regierung, die sie mit höchster Wachsamkeit schützen sollte, hat kein Recht, über den Preis für ihre Rückkehr zu sprechen. (...) Es gibt keinen Preis für das Leben der Geiseln."

Bericht: Vermittler wollen Verhandlungen fortsetzen

Die arabischen Vermittler hoffen derweil, die Kluft zwischen den beiden Konfliktparteien zu verringern, wie das "Wall Street Journal" unter Berufung auf ägyptische Beamte berichtete. Sie erwarteten, dass sie diese Woche in Doha, der Hauptstadt von Katar, erneut zu Gesprächen zusammenkommen, wie es hieß.

Eine Verhandlungsrunde in der ägyptischen Hauptstadt Kairo war vor Kurzem ergebnislos verlaufen. Da Israel und die Hamas nicht direkt miteinander verhandeln, fungieren Ägypten, Katar und die USA als Vermittler.

Angesichts des harten Vorgehens des israelischen Militärs im Gazastreifen erwägt Ägypten einem Medienbericht zufolge aber die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland Israel einzuschränken. Das "Wall Street Journal" berichtete unter Berufung auf ägyptische Regierungsbeamte, dass eine der Folgen der Abzug des ägyptischen Botschafters aus Tel Aviv sein könnte.

Zum jetzigen Zeitpunkt gebe es aber keine Pläne, die Beziehungen komplett abzubrechen, hieß es weiter. Offizielle Angaben aus Kairo gab es zunächst nicht.

Derweil weitete die israelische Armee ihre Angriffe im Gazastreifen wieder auf Gebiete aus, in denen das Militär schon zuvor im Einsatz gewesen war. So lieferte sie sich an verschiedenen Orten im Norden, im Zentrum und im Süden des abgeriegelten Küstengebiets erneut heftige Gefechte, darunter auch in der an Ägypten grenzenden Stadt Rafah.

UN: Fast 360.000 Menschen bereits aus Rafah geflohen

Seit dem Vorrücken der Armee in Rafah sind nach UN-Angaben fast 450.000 Menschen aus der mit Binnenflüchtlingen überfüllten Stadt geflohen. Israel übt militärischen Druck auf die Hamas in Rafah aus, um die Freilassung der Geiseln zu erreichen und vier Bataillone der Islamistenorganisation zu zerschlagen.

"Leere Straßen in Rafah, während Familien weiter fliehen auf der Suche nach Sicherheit", schrieb das Palästinenserhilfswerk UNRWA auf der Plattform X.

"Die Menschen sind ständig mit Erschöpfung, Hunger und Angst konfrontiert", hieß es in dem X-Post von UNRWA. "Es ist nirgendwo sicher. Eine sofortige Waffenruhe ist die einzige Hoffnung."

US-Regierung: Israel begeht keinen Völkermord

"Wir glauben nicht, dass das, was in Gaza geschieht, ein Genozid ist", sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, in Washington. "Wir haben diese Behauptung stets entschieden zurückgewiesen." Sullivan sagte, die USA hätten ihren Standpunkt zu dieser Frage auch vor dem Internationalen Gerichtshof schriftlich und detailliert dargelegt. Er betonte zugleich: "Wir glauben, dass Israel mehr tun kann und muss, um den Schutz und das Wohlergehen unschuldiger Zivilisten zu gewährleisten."

Israels Generalstabschef Herzi Halevi soll zuvor Medienberichten zufolge beklagt haben, dass die Armee mangels einer politischen Strategie für die Zeit nach dem Krieg immer wieder auch an Orten in Gaza kämpfen müsse, aus denen sie sich bereits zurückgezogen hatte.

Israel sei auf dem besten Weg, einen Aufstand mit vielen bewaffneten Hamas-Kämpfern zu erben, sagte US-Außenminister Blinken im US-Fernsehen. Es drohe ein Vakuum, das von Chaos, Anarchie und wahrscheinlich von der Hamas wieder aufgefüllt werde.

Netanjahu: Israel im Kampf um seine Existenz

Netanjahu bezeichnete den Krieg bei der zentralen Zeremonie zum Soldatengedenktag als Kampf um die Existenz seines Landes. Am Abend sagte er anlässlich des Unabhängigkeitstages seines Landes in seiner Videoansprache: "Obwohl es sich nicht um einen regulären Unabhängigkeitstag handelt, ist dies für uns eine besondere Gelegenheit, uns der Bedeutung unserer Unabhängigkeit bewusst zu werden".

Unabhängigkeit, "uns aus eigener Kraft zu verteidigen", sagte er. Der Ausgang des Kriegs wird nach Einschätzung seines Verteidigungsministers Joav Galant das Leben der Israelis in den kommenden Jahrzehnten bestimmen. "Dies ist ein Krieg ohne Alternative", sagte Galant.

"Dies ist ein Krieg, der weitergehen wird, bis wir unsere Geiseln zurückbringen, die Herrschaft der Hamas und ihre militärischen Fähigkeiten zerschlagen und dem Staat Israel sein Gedeihen und Schaffen und seinen Bürgern das Lächeln auf ihren Gesichtern zurückgeben", sagte der Verteidigungsminister.

Bei der Kundgebung in Tel Aviv am Vorabend des Unabhängigkeitstages warf ein Redner der Regierung Versagen vor, den Terrorangriff am 7. Oktober nicht verhindert zu haben. "Wir sind von einer geeinten Gemeinschaft zu einer zerbrochenen und trauernden geworden", sagte eine im Zuge eines Austauschs gegen palästinensische Häftlinge freigekommene Geisel laut der Organisatoren der Kundgebung. (dpa/fab)

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