Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sind in Deutschland linksextreme und islamistische Gruppen zusammengerückt. Was sie verbindet: der Hass auf den jüdischen Staat. Am Donnerstag stellte die Amadeu Antonio Stiftung ihr aktuelles "Lagebild Antisemitismus" in Berlin vor.

Mehr aktuelle News

Zu einem linken Selbstverständnis gehört die Verurteilung menschenfeindlicher Ideologien üblicherweise dazu. Hass auf Juden oder Mord an Zivilisten? Wer sich für progressiv hält, sollte das eigentlich ablehnen. Im Kontext des Nahostkonflikts gilt das aber häufig nicht mehr: Linksextreme werden auf einmal zu Unterstützern von antisemitischen Terrorgruppen. Zu diesem Ergebnis kommt ein neuer Bericht der Amadeu Antonio Stiftung (AAS).

Am Dienstag stellte die NGO ihr "Lagebild Antisemitismus" mit dem Untertitel "Antisemitische Allianzen nach dem 7. Oktober" in Berlin vor. Neben der AAS-Vorsitzenden Tahera Ameer waren bei der Pressekonferenz auch der Antisemitismusbeauftragte des Bundes, Felix Klein, sowie Ariel Elbert, Vorstandsmitglied des jüdisch-queeren Vereins "Keshet Deutschland", anwesend.

Identitätsstiftend: Hass auf den jüdischen Staat

Die zentrale These des Berichts: Linksextreme und anti-imperialistische Gruppen werden zunehmend zu einem "Steigbügelhalter für Islamismus", wie es in der Pressemitteilung der AAS heißt.

Das verbindende Element von vielen Linken und Islamisten ist ihre Feindschaft gegenüber Israel. Über ideologische Differenzen hinweg sei dieser Hass auf den einzigen jüdischen Staat auf der Welt identitätsstiftend, schreibt die AAS in ihrem Bericht. Die Folge: "Gruppierungen aus beiden Lagern stehen Seite an Seite, ihre Demosprüche fließen ineinander." Leidtragende seien die Jüdinnen und Juden in Deutschland.

Katalysator dieser Allianz war der 7. Oktober 2023. An diesem Tag überfiel die islamistische Terrororganisation Hamas vom Gazastreifen aus Israel. 1.200 Menschen, die meisten Zivilisten, wurden brutal getötet, etwa 250 als Geiseln nach Gaza verschleppt. Seit acht Monaten herrscht nun Krieg in der Region, in dem nach verschiedenen Schätzungen um die 30.000 Palästinenser ums Leben gekommen sind. Israel sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, Zivilisten nicht ausreichend zu schützen und Kriegsverbrechen in Gaza zu begehen. Außenpolitisch ist das Land immer stärker isoliert.

Linke stehen an der Seite von Islamisten

Weltweit finden seitdem israelfeindliche Proteste statt, auch in Deutschland. Auf eine dieser Demonstrationen geht der AAS-Bericht genauer ein: Am 15. Oktober versammelten sich etwa 1.000 Personen auf dem Potsdamer Platz in Berlin. "Hamas, du Bewegung des Volkes!" und "Lasst die Zionisten nicht laufen" sollen Teilnehmer auf Arabisch gerufen haben. Andere Slogans seien auf Deutsch skandiert worden, wie etwa "Intifada bis zum Sieg!", eine positive Bezugnahme auf als "Intifada" bezeichnete Terrorwellen gegen Israel.

Laut AAS kamen auf dieser Demonstration ganz unterschiedliche Gruppen zusammen: "Neben Islamist*innen, die die Hamas anfeuern, stehen linke Trotzkist*innen und alternative Expats." Seitdem komme es immer wieder zu ähnlichen Szenen in Deutschland. Im Bericht heißt es: "Die Demonstration zeigt exemplarisch: Islamistische Parolen gegen Israel werden von immer mehr linken antizionistischen Aktivist*innen zumindest in Kauf genommen, wenn nicht aktiv gefeiert."

In dem umfangreichen Bericht werden zahlreiche Beispiele dieser Art dokumentiert und analysiert. Das beunruhigende Fazit: "Wir sehen Antisemitismus auf der Straße, im Internet, an Universitäten, am Stammtisch und im Feuilleton."

Lage für Jüdinnen und Juden dramatisch

AAS-Vorsitzende Ameer zeigte sich bei der Vorstellung des Berichts schockiert über diese Entwicklung: "Jüdinnen und Juden verstecken ihre Identität aus Sorge um ihre Sicherheit", sagte sie. "Das muss uns alle alarmieren." Gleichzeitig warnte Ameer vor rechtsextremen Akteuren, die das Thema für Hetze gegen Muslime missbrauchten. Dafür stünden sie und ihre Stiftung nicht zur Verfügung. Denn: Judenhass gäbe es in allen gesellschaftlichen Milieus. Im Bericht heißt es: "Antisemitismus ist ein urdeutsches Problem."

Ariel Elbert von "Keshet Deutschland" berichtete aus der Perspektive der Betroffenen: "Die Lage für Jüdinnen und Juden ist seit dem 7.10. dramatisch." Nach außen erkennbare Symbole wie den Davidstern trage man meist nicht mehr und immer wieder müssten Veranstaltungen mit Bezug zum Judentum aus Sicherheitsgründen abgesagt werden. "Jüdinnen und Juden fühlen sich alleingelassen", sagte Elbert. Dabei sei der Angriff auf die jüdische Gemeinschaft "auch ein Angriff auf unsere Demokratie".

Felix Klein: "Tsunami antisemitischer Straftaten"

Das sieht auch Felix Klein so: "Antisemitismus ist und bleibt unvereinbar mit unserer Demokratie". Der Antisemitismusbeauftragte des Bundes spricht von einem "Tsunami antisemitischer Straftaten" in der Folge des 7. Oktobers. Die Repression gegen diese Taten sei in Deutschland insgesamt aber erfolgreich gewesen, so Klein. Dennoch sieht er Verbesserungsbedarf und fordert "eine Ergänzung im Gesetzbuch, damit der Aufruf zur Vernichtung anderer Staaten unter Strafe gestellt wird". Viele Parolen auf israelfeindlichen Demonstrationen würden damit illegal werden.

Abschließend appelliert Klein an die ganze Gesellschaft: Alle müssten sich aktiver gegen Antisemitismus einsetzen.

Ein Aufruf, der wohl nicht überall gehört werden dürfte. Denn eines zeigt der AAS-Bericht deutlich: Allzu oft fehlt es an Empathie mit Juden und Israelis, die im Fadenkreuz islamistischer Terroristen sind. Ganz besonders trifft das auf Teile der Linken zu.

Verwendete Quellen

  • Pressemitteilung der Amadeu Antonio Stiftung
  • Bericht der Amadeu Antonio Stiftung: "Lagebild #13: Antisemitische Allianzen seit dem 7. Oktober"
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.