Mit einem Schuss Populismus hat Sebastian Kurz die ÖVP zur stärksten Partei gemacht. Nach seinem Abgang kehren die Bürgerlichen nun wieder zu ihren Wurzeln zurück. Das sei nur folgerichtig, meint der Politologe Peter Hajek.

Eine Analyse
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Kommt er wieder? Die vagen Gerüchte reichten immerhin für eine Schlagzeile im Revolverblatt "Österreich". Chefredakteur Wolfgang Fellner griff vor ein paar Wochen persönlich in die Tasten, um angesichts schlechter Umfragewerte über ein mögliches Comeback von Sebastian Kurz an die Spitze der Bundesregierung und der konservativen ÖVP zu spekulieren.

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Ausgerechnet Fellner. Jener Zeitungsmacher, dessen Blatt von Vertrauten des abgetretenen Kanzlers mit staatlichen Inseraten in Millionenhöhe bedacht wurde – und der sich dafür mutmaßlich mit Jubel-Berichterstattung bedankte. Die Inseratenaffäre der ÖVP beschäftigt Gerichte, sie war der Hauptgrund für den Abgang von Kurz im Herbst.

Kurz schließt Rückkehr aus

Dass Fellner den Altkanzler nun offenbar wieder herbeischreiben wollte, sorgte bei den meisten politischen Beobachterinnen und Beobachtern nur für ein müdes Gähnen. Kurz selbst schloss unlängst eine Rückkehr in die Politik kategorisch aus – und zwar "für immer". Die Ansage dürfte den meisten Verantwortlichen in seiner ÖVP durchaus nicht ungelegen kommen.

Die österreichischen Bürgerlichen haben sich zwar bisher nicht eindeutig von Kurz distanziert. Aber sie lassen Taten sprechen: Am Montag nahm Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger, eine der engsten Vertrauten von Kurz, den Hut. Auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck erklärte ihren Rücktritt.

"Experiment Kurz" endet

Beim Parteitag der ÖVP am Samstag soll Kurz eine letzte Rede an seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter halten. Zugleich werden die Konservativen bei der Gelegenheit aber das "Experiment Kurz" beenden. Vor gut fünf Jahren hatte er die Volkspartei übernommen und in "Neue Volkspartei" umgetauft. Der Zusatz "neu" soll nun verschwinden, die ÖVP wieder die alte werden. Und Bundeskanzler Karl Nehammer wird offiziell als Parteichef bestätigt – auch wenn er im Gegensatz zu Kurz wohl für keine Stürme der Begeisterung sorgen wird. "Nehammer hat nun die Chance, sich zu emanzipieren und ein neues Gravitationszentrum aufzubauen", sagt Peter Hajek, Politikwissenschaftler und Chef des Meinungsforschungsinstituts "Unique research".

Als Innenminister unter Kanzler Kurz galt Nehammer als Hardliner, der öffentlichkeitswirksam eine Flüchtlingsfamilie mit kleinen Kindern abschieben ließ. In seiner neuen Rolle gibt er sich hingegen betont verbindlich und moderat, populistische Töne meidet er. So konnte er die angeschlagene Koalition mit den Grünen retten. Lange sah es so aus, als wären Neuwahlen unvermeidlich. Davon ist jetzt keine Rede mehr.

Die Regierung hält, auch wenn die ÖVP in Umfragen mit rund 25 Prozent mehr als zwölf Prozentpunkte hinter dem Ergebnis der Nationalratswahl 2019 liegt. Damit ist die ÖVP wieder auf dem Stand von 2017 – als Kurz den glücklosen Vizekanzler Reinhold Mitterlehner von der Parteispitze verdrängte, um die Partei in der Folge zwei Mal zur stärksten Kraft im Parlament zu machen.

Weg für Ermittlungen frei: Parlament hebt Immunität von Sebastian Kurz auf

Das Parlament in Österreich hat den Weg für weitere Korruptionsermittlungen gegen den ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz freigemacht. Der Nationalrat hob einstimmig die Immunität des Politikers auf. © ProSiebenSat.1

Die heutige Situation der Partei sei aber nicht mit jener vor 2017 vergleichbar, meint Hajek. Zum einen stellt die Partei nun mit Karl Nehammer den Kanzler. Und zum anderen habe sich das Umfeld geändert: "Als Kurz die ÖVP übernahm, regierte eine recht dröge große Koalition, die FPÖ war in Umfragen stärkste Kraft."

Kurz habe gesehen, dass man Wählerinnen und Wählern der Rechtspopulisten ein Angebot machen müsse. "Darunter waren viele Leute, die nur darauf warteten, dass eine der gemäßigten Parteien sie abholt. Das hat Kurz richtig erkannt und durchgezogen", sagt Hajek.

Kurz rückte die ÖVP nach rechts

Er rückte die ÖVP deutlich nach rechts und schreckte auch vor populistischen Ansagen in der Flüchtlings- und Migrationspolitik nicht zurück. Die Konservativen näherten sich inhaltlich der FPÖ an, artikulierten aber freundlicher. Gegnerinnen und Gegner warfen Kurz Populismus vor. Tatsächlich machte diese Strategie den jungen ÖVP-Chef aber zum populärsten Politiker des Landes.

Dass sich die ÖVP nun wieder auf ihre alten Wurzeln besinnt, sei laut Hajek zum jetzigen Zeitpunkt nur logisch. Denn von der FPÖ gehe derzeit keine Gefahr aus: Die Rechtspopulisten haben sich seit dem Ibiza-Skandal nicht erholt, mit dem krawalligen Parteichef Herbert Kickl kann sie in Umfragen kaum die 20-Prozent-Marke überspringen.

Und das, glaubt Hajek, liege nicht nur an der Performance der Rechtspopulisten. "Die FPÖ war immer stark, wenn es dem Land und seinen Menschen gut ging", sagt er. "Aber wir haben seit zwei Jahren eine Pandemie, vor unserer Haustüre gibt es einen Krieg und die Wirtschaft liegt in den Seilen." In unsicheren Zeiten würden sich die Menschen hinter den altbewährten Parteien versammeln. Davon profitiert die oppositionelle SPÖ, die seit Monaten in Umfragen führt. Und der Absturz der ÖVP fällt nicht so stark aus, wie von vielen befürchtet.

Immer mehr ÖVP-Skandale werden aufgedeckt

Denn die Inseratenaffäre vom Herbst war nur die Spitze des Eisberges. Seither kommen beinahe im Wochentakt neue ÖVP-Skandale ans Licht. Derzeit wird die Partei im kleinen Vorarlberg – einer traditionellen ÖVP-Hochburg – von einer weiteren Inseratenaffäre gebeutelt, sogar gegen Landeshauptmann Markus Wallner wird wegen verbotener Vorteilsnahme ermittelt, sein Sessel wackelt.

Und immer noch wertet die Staatsanwaltschaft tausende Chatnachrichten aus dem ÖVP-Umfeld aus, die unter anderem nahelegen, dass es Steuernachlässe für Parteispender gab. Das Erbe der Ära Kurz dürfte die ÖVP noch lange beschäftigen. Am Samstag wird die Partei zumindest einen Schlussstrich ziehen.

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