Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hält an der Idee eines Immunitätsausweises für das Coronavirus fest. Dabei gibt es erhebliche Bedenken: aus medizinischer, juristischer und vor allem aus gesellschaftlicher Sicht.
Nach mächtigem Gegenwind war die Idee eines Immunitätsausweises für das Coronavirus Anfang Mai schnell aus dem Gesetzentwurf des Kabinetts verschwunden.
Doch wer dachte, das Thema habe sich damit erledigt, lag falsch: Bundesgesundheitsminister
Sicher ist die Sache mit der Immunität allerdings (noch) nicht. Tobias Kurth, Professor am Institut für Public Health der Charité – Universitätsmedizin Berlin, hält die Debatte deswegen allein schon aus wissenschaftlicher Sicht für viel zu früh: "Mit welchen Tests soll das gemessen werden? Wie valide sind sie? Und wie lange hält die Immunität an?"
Solche Ausweise könnten auch ein falsches Gefühl von Sicherheit vermitteln, fürchtet der Experte: Die Tests sind noch nicht 100-prozentig sicher. "Und was ist, wenn jemand ein gefälschtes Dokument dabei hat?" Für den Epidemiologen ist "nicht nachvollziehbar, dass mit einem Immunitätsausweis künftige Infektionswellen vermieden werden können".
Noch kritischer: die gesellschaftlichen Folgen
Doch noch schwerer als die medizinischen Zweifel wiegen die gesellschaftlichen. Was wären die Folgen eines solchen Dokuments? Würden die strengen Corona-Regeln für dessen Inhaber nicht mehr gelten? Versuchen Menschen, sich dann absichtlich anzustecken, um schnellstmöglich immun zu sein?
"Ich halte es für höchst problematisch, wenn bestimmte Gruppen im öffentlichen Leben bevorzugt werden, weil sie einen solchen Ausweis dabei haben", betont Professor Kurth. Gerade die in Teilen der Bevölkerung zuletzt aufgeheizte Stimmung gegen die Corona-Beschränkungen von Bund und Ländern stachele man mit dieser Debatte weiter an.
Mit Immunitätsausweisen würde eine Art "Zwei-Klassen-Gesellschaft" konstruiert: eine Einteilung in bereits Immune und noch immer Gefährdete – die einen mit enormen Einschränkungen, die anderen mit allen Freiheiten? "Das widerstrebt ganz deutlich unserem Verständnis von Gesellschaft."
Im RND-Interview betonte Spahn, dass andere Staaten planen, die Einreise von einem Immunitäts-Nachweis abhängig zu machen. "Die Lösung kann ja nicht sein, dass unsere Bürgerinnen und Bürger nicht mehr in Länder reisen können, die solche Regelungen planen", sagt der Gesundheitsminister.
Auch dieses Argument leuchtet Tobias Kurth nicht ein. "Wer in betroffene Länder reisen will, kann auf eigene Entscheidung hin einen Bluttest machen und sich ein Dokument als Nachweis ausstellen lassen." Das sei doch beispielsweise bei Gelbfieberimpfungen längst problemlos der Fall. In einigen tropischen Ländern sind Nachweise darüber Voraussetzung für die Einreise.
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Experte: "Hätte juristisch keinen Bestand"
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die rechtliche Frage: Ist so etwas überhaupt erlaubt? Eine deutliche Antwort gibt Volker Boehme-Neßler, der Öffentliches Recht an der Universität Oldenburg lehrt, in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit": "Die deutsche Verfassung ist durch und durch freiheitlich", betont er. "Alles ist grundsätzlich erlaubt. Es sei denn, es ist ausnahmsweise verboten."
Im Augenblick sei die Beschränkung der Freiheit der Normalfall. Freiheit als Ausnahme für Gesunde widerspreche dem Geist der Verfassung völlig. Er ist sich sicher: "Vor dem Bundesverfassungsgericht hätte das keinen Bestand."
Im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk räumte Spahn ein, dass es "nachvollziehbare Kritik" an der Idee gibt, die ihm zeige: "Wir brauchen als Gesellschaft mehr Zeit, dieses Thema zu debattieren." Deshalb habe er den Ethikrat um eine Stellungnahme gebeten. Es bleibt spannend, wie die unabhängige Sachverständigenvertretung die Lage einschätzen wird.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Tobias Kurth, Professor am Institut für Public Health an der Berliner Charité
- Spahn-Interview mit dem Redaktions-Netzwerk Deutschland
- Gastbeitrag in der Zeit: "Der Corona-Pass ist inhuman und verfassungswidrig"
Kommt Impfpflicht gegen Corona? Klare Ansage der Bundesregierung
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