Was darf ein Bundespräsident sagen und was nicht? Joachim Gauck hat mit seinen Aussagen zur Linkspartei heftige Kritik geerntet. Der Thüringer Politikwissenschaftler Dr. Oliver Lembcke erklärt, warum ein Bundespräsident auch mal austeilen darf - und sogar muss.
Darf sich ein Bundespräsident in die Tagespolitik einmischen?
Oliver Lembcke: Rechtlich darf er das selbstverständlich, moralisch kann er sogar die Pflicht dazu haben. Ob es politisch klug ist und er es in diesem Sinne tun sollte, hängt von den konkreten Fragen ab. Die Stellung des Bundespräsidenten speist sich sehr stark daraus, dass er es schafft, über den Parteien stehend und vermittelnd allgemein Gutes und Wahres zu sagen. Er soll die Deutschen nach außen repräsentieren und nach innen integrieren.
Im Grundgesetz steht nicht, dass der Präsident überparteilich sein muss. Gibt es Gesetze, die das vorschreiben?
Nein. Das lässt sich auch nicht vorschreiben. Der Bundespräsident muss eine politische Figur sein, in gewisser Weise auch eine demokratische Figur, er wird ja schließlich mit Mehrheit gewählt. Aber er soll kein Parteiführer sein. Er soll jemand sein, der sich vom Parteienkampf lösen kann.
Das kann in einer pluralistischen Gesellschaft aber nicht bedeuten, dass er neutral ist. Wenn er immer nur sagt, was allgemeiner Konsens ist, würde er fast gar nichts mehr sagen. Das Grundgesetz ist nur in einer Hinsicht absolut klar: Der Bundespräsident darf nur in ganz wenigen Fällen hoheitliche Gewalt ausüben dürfen. Er hat per Grundgesetz kaum reale Gestaltungskompetenzen.
Der Bundespräsident besitzt seine Macht durch die Autorität, das richtige Wort zur richtigen Zeit zu sagen. Das Wort kann auch mal schmerzhaft sein und sich gegen jemanden richten. Kein Gesetz der Welt kann aber vorschreiben, was er inhaltlich sagen soll.
Gauck gehört – anders als seine Vorgänger – keiner Partei an. Gab es von ihnen ähnliche Äußerungen in der Vergangenheit?
Es hat vorher immer wieder Fälle gegeben, in denen sich Bundespräsidenten eingemischt und etwas gesagt haben, das bestimmten Parteien nicht gepasst hat. Denken Sie etwa an die Parteienschelte von Richard von Weizsäcker, die Helmut Kohl sehr stark aufgestoßen ist und zu einer weiteren Entfremdung zwischen ihm und Weizsäcker geführt hat.
Sobald der Bundespräsident anspricht, was in der Republik nicht gut läuft, betrifft das Parteien unterschiedlich. Es gibt sehr wenig Äußerungen über die Innenpolitik, über die Verfasstheit der Deutschen, bei denen man Menschen nicht auf die Füße tritt. Worte des Bundespräsidenten haben immer wieder auch zu heftiger Kritik geführt. Aber das zeigt nur, dass sie eine Wirkung haben.
In der Frage der Linkspartei und ihrer Regierungsbeteiligung in Thüringen kann man sagen, Gauck geht einen Schritt zu weit: Er mischt sich in einer konkreten Situation ein in der es um Regierungsbildung und somit um Machtverteilung geht. Die andere Lesart wäre, er bringt etwas zu Gehör, von einer Gruppe von Menschen, die nicht beteiligt sind an dieser Regierungsfrage: Was ist mit den ehemals politisch Verfolgten in der DDR?
Er gibt den Linken zu bedenken, ob sie die Regierungsfunktion übernehmen möchte in einem Land wie Thüringen. Ob sie bereit ist, ihre eigene Vergangenheit aufzuarbeiten.
Lässt sich bei einer Meinungsäußerung Amt und Person trennen?
Das lässt sich natürlich nicht, denn wenn der Bundespräsident sein Amt für eine Äußerung nutzt, wird das auch seinem Amt zugeschrieben.
Hat Gauck mit seiner Äußerung Recht?
Der Spitzenkandidat der Linken, Bodo Ramelow, ist Wessi, Katholik und in vielerlei Hinsicht ein Fremdkörper für seine Partei hier in Thüringen. Vielleicht ist er genau das, worauf die Linke gerade hinsteuert. Sie ist kein einheitlicher Block. Er steht für eine zukunftsoffene, sozialdemokratische Variante der Linken. Aber natürlich gibt es bedeutsame Gruppen, in Thüringen und in den anderen neuen Bundesländern, die ganz eindeutig das Modell des "real existierenden Sozialismus" bevorzugen, die ganz erhebliche Ressentiments gegenüber der Bundesrepublik und dem Grundgesetz haben.
Für Parteiführer wie Ramelow geht es darum, diese verschiedene Gruppen zusammenzuhalten und zugleich koalitionsfähiger zu werden. Diese Herausforderung sieht man auch daran, wie schwierig es für die Linke war, sich zum Thema Unrechtsstaat in der DDR zu äußern. An der Formulierung im Koalitionsvertrag - "in der Konsequenz ist die DDR ein Unrechtsstaat" - kann man die Schmerzen sehen, die das bereitet hat.
Das Unrecht in der DDR hat übrigens in erster Linie auch die Gauck-Behörde (Behörde für die Stasi-Unterlagen, deren Beauftragter Gauck von 1990-2000 war, Anm. d. Red.) dokumentiert. Auch vor diesem Hintergrund ist die Äußerung Gaucks natürlich zu verstehen. 25 Jahre nach dem Mauerfall – man kann es als hoffnungsfrohes Signal für eine weitergehende, substantielle Form der Wiedervereinigung sehen, dass die Linke jetzt wohl den Ministerpräsidenten stellt. Vielleicht ist es der Beginn, dass die Partei das Thema langsam aber sicher so zu integrieren versteht, das sie es nicht einfach nur verleugnen.
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