- In Berlin wird am 12. Februar die Wahl zum Abgeordnetenhaus wiederholt.
- Franziska Giffey will für die SPD das Rote Rathaus verteidigen.
- Im Interview mit unserer Redaktion spricht die Regierende Bürgermeisterin über Folgen aus der Silvesternacht, das 29-Euro-Ticket – und ihren Stolz auf die Bundeshauptstadt.
Frau Giffey, wie haben Sie den Jahreswechsel in Berlin erlebt?
Franziska Giffey: Ich habe wie jedes Jahr Polizei und Feuerwehr besucht. Wir haben schon geahnt, dass es sehr heftig werden würde. Erstens gab es nach den Corona-Jahren einen Nachholbedarf und zweitens haben wir als Großstadt zu Silvester immer nochmal intensivere Vorkommnisse als anderswo. Die Nachrichten von den angegriffenen Polizisten und Rettungskräften haben mich schockiert. Dafür habe ich null Verständnis. Wenn Einsatzkräfte gezielt angegriffen und verletzt werden, hat das nichts mehr mit dem feierlichen Begrüßen des neuen Jahres zu tun. Das ist nur noch blinde Zerstörungswut, Respektlosigkeit und Brutalität.
Mehr als 50 Einsatzkräfte wurden in dieser Nacht verletzt. Was werden Sie als Regierende Bürgermeisterin jetzt unternehmen?
Der Landesbranddirektor und die Polizeipräsidentin werden am Dienstag in den Senat kommen, wir werden dann zusammen die Lage bewerten und auch ein Maßnahmenpaket vereinbaren. Fünf Punkte gehören dazu: erstens konsequente Strafverfolgung mit beschleunigten Verfahren. Zweitens Erhöhung von Personal und Ausstattung bei Polizei und Feuerwehr. Drittens der Einsatz für die Verschärfung des Waffen- und Sprengstoffrechts auf Bundesebene. Viertens zusätzliche Investitionen in die Sozial- und Jugendarbeit vor Ort. Fünftens ein Sonderprogramm für die Unterstützung und Verbesserung der Lebenssituation in Großwohnsiedlungen gemeinsam mit dem Quartiersmanagement. Aber wir brauchen auch bundesweite Regelungen. Unsere Innensenatorin Iris Spranger übernimmt jetzt den Vorsitz der Innenministerkonferenz. Dort wird sie das Thema auf die Tagesordnung setzen. Wir müssen die Diskussion bundesweit anschieben.
Warum verweisen Sie auf den Bund und verbieten nicht einfach selbst für das nächste Silvester in Berlin den Böllerverkauf?
Wir werden nur mit einer bundesweiten Regelung weiterkommen. Sonst werden wir immer das Problem haben, dass die Menschen ihre Böller eben in anderen Bundesländern kaufen. Berlin ist keine Insel.
Sie könnten aber die Böllerverbotszonen in der Stadt ausweiten.
Ein Böllerverbot ist nur sinnvoll, wenn man es auch durchsetzen kann – und das geht nur, wenn man den Verkauf einschränkt. Berlin ist eine Stadt mit fast vier Millionen Einwohnern. Wir hatten bei diesem Jahreswechsel drei Böllerverbotszonen, das bindet unheimlich viele Polizeikräfte. Eine Ausweitung hat auch personelle Grenzen.
Die Feuerwehr fordert, dass Fahrzeuge mit Kameras ausgestattet werden. Finden Sie das sinnvoll?
Klar. Alles, was wir selbst für den Schutz der Einsatzkräfte tun können, müssen wir tun. Dazu gehören Bodycams genauso wie die Dashcams für die Fahrzeuge.
Sie haben auch von Konsequenzen in der Strafverfolgung gesprochen. Wie wollen Sie da nachschärfen?
Gerade bei jungen Ersttätern muss die Strafe auf dem Fuße folgen. Wir brauchen schnellere Strafverfahren, auch bei kleineren Delikten. Der Täter muss den Zusammenhang zwischen seiner Tat und der Strafe direkt erleben. Wenn Minderjährige zu Sozialstunden verurteilt werden, müssen sie die zügig ableisten.
Franziska Giffey: "Berlin ist nach wie vor Anziehungspunkt Nummer eins"
Am 12. Februar wird die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus wiederholt, weil es bei der Wahl 2021 zu einer Vielzahl von schweren Pannen und Fehlern gekommen ist. Wie sehr schmerzt es Sie, dass Berlin mit diesem Vorgang zu einer Lachnummer geworden ist?
Natürlich schmerzt mich das. Die Wahl 2021 war vor meiner Amtszeit – auch für mich ist diese Wiederholung ein Bruch in meiner politischen Arbeit. Mich schmerzt aber besonders der Imageverlust für die Stadt, auch weil er ungerechtfertigt ist. Denn Berlin hat sich in vielen Bereichen in den letzten Jahren sehr gut entwickelt.
Bundesweit macht Berlin häufig mit Pannen und Problemen von sich reden. Worauf können die Menschen in der Hauptstadt denn stolz sein?
Hinter uns liegen zwei schwere Jahre der Pandemie. Berlin hat danach einen sehr guten Neustart hingelegt. Im Jahr 2022 hatten wir ein Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent und lagen damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Tourismus, Gastronomie, Kultur- und Kongressbranche haben sich sehr gut erholt. Neue Unternehmen und Arbeitsplätze sind entstanden, viele kreative Köpfe kommen hier her. Berlin ist nach wie vor Anziehungspunkt Nummer eins in Deutschland. Das ist das Werk von ganz vielen Menschen.
Als Problem der Berliner Verwaltung wird immer wieder die Zusammenarbeit zwischen der Landesregierung und den zwölf Bezirken genannt. Müssten Sie die Bezirke nicht eigentlich abschaffen?
Nein. Jeder Bezirk hat rund 300.000 Einwohner und wäre damit eine eigene Großstadt. Bestimmte Aufgaben gehören auf diese lokale Ebene: Die Straßen- und Grünpflege, die Unterhaltung von Schulen und Kindergärten, die Organisation der Bürgerämter – all das können die Bezirke regeln. Was wir aber brauchen, ist erstens eine klare Aufgabenverteilung zwischen Senat und Bezirken und zweitens eine Gesamtsteuerung und einheitliche Standards für alle Bezirke. Deshalb werden wir zum Beispiel die Einbürgerung zentralisieren und dafür eine Landesbehörde schaffen. Drittens brauchen wir starke Bezirke, mit einer guten Personalausstattung, damit die Menschen auch schnell einen Termin im Bürgeramt bekommen.
Warum klappt das bisher nicht?
Wir haben einerseits 25 Prozent "Nichtkommer": Die buchen einen Termin, kommen dann aber nicht. Wir brauchen aber vor allem mehr Personal. Ein Beispiel ist das Wohngeld: Durch die Ausweitung des Wohngelds wird sich die Zahl der Empfänger in Berlin von 25.000 auf 70.000 fast verdreifachen. Deswegen statten wir die Wohngeldämter in allen Bezirken mit jeweils zehn bis zwölf zusätzlichen Stellen aus. Allerdings macht auch uns der Fachkräftemangel zu schaffen. Geld allein reicht eben noch nicht, damit eine Stelle auch besetzt wird.
A propos Geld: Berlin bietet derzeit ein 29-Euro-Ticket an – als Nachfolger des Neun-Euro-Tickets aus dem Sommer und als Übergangslösung bis zur Einführung eines bundesweiten 49-Euro-Tickets. Passiert das auf Kosten der Steuerzahlenden aus den anderen Bundesländern?
Natürlich haben wir noch eine hohe Verschuldung und erhalten Geld aus dem Länderfinanzausgleich. Dennoch gilt: Aus einer Krise spart man sich nicht heraus, sondern man investiert. Die Entscheidung für das Ticket haben wir im August getroffen, als wir unsere Einnahmen für 2022 einschätzen konnten. Wir haben Mehreinnahmen durch die Inflation, aber auch durch unser starkes Wirtschaftswachstum. Das sind Überschüsse, die wir hier in Berlin erwirtschaftet haben.
Warum ist Ihnen das 29-Euro-Ticket so wichtig, dass Sie nicht bis zum bundesweiten 49-Euro-Ticket warten wollten?
Das Gebot der Stunde in der Krise ist, die Bevölkerung zu entlasten. Die wirksamste Maßnahme in Berlin war tatsächlich das Neun-Euro-Ticket im letzten Sommer. Es wurde über sechs Millionen Mal in Berlin verkauft, auch weil wir hier einen sehr gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr haben. Das ist auf dem Land zum Teil anders, aber in Berlin hilft das Ticket wirklich enorm. Es treibt einerseits die Mobilitätswende an, es schafft aber vor allem finanzielle Entlastung und damit mehr soziale Teilhabe – und das merken viele Menschen ganz konkret.
Enteignung von Wohnkonzernen? Giffey ist skeptisch
Ein Dauerbrenner in vielen deutschen Großstädten sind die Mietpreise. Die Angebotsmieten in Berlin haben sich seit 2012 verdoppelt. Die Politik hat bisher offenbar nicht die Mittel gefunden, um diesen Trend aufzuhalten.
Ich habe das Thema zur Chefinnensache gemacht. Wir haben mit der Senatskommission Wohnungsbau im letzten Jahr die bürokratischen Hürden für den Bau von über 18.000 neuen Wohnungen beseitigt. Und 2022 wurden trotz Krieg und Krise 16.500 Wohnungen fertiggestellt, in die 40.000 Berlinerinnen und Berliner einziehen konnten. Das ist ein Erfolg. Aber wir müssen auch sehen: Wir haben einen Krieg in Europa. Es gibt Lieferengpässe, maximale Preis- und Zinssteigerungen und Firmen halten sich mit Investitionen zurück.
Die Bundesbauministerin zweifelt deswegen an ihrem Ziel, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen in Deutschland zu bauen. Sie wollen trotzdem an Ihrem Berliner Ziel festhalten: 200.000 neue Wohnungen bis 2030. Das klingt vor dem Hintergrund, den Sie selbst schildern, ziemlich unrealistisch.
Natürlich könnten wir jetzt sagen: 15.000 Wohnungen pro Jahr schaffen wir. Wir könnten das Ziel einfach nach unten korrigieren, um es sicher zu erreichen. Der Bedarf liegt aber nun einmal bei 20.000 Wohnungen pro Jahr – und daran müssen wir uns orientieren, denn Berlin wird weiter wachsen.
Im September 2021 hat sich eine Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner dafür ausgesprochen, große Wohnungskonzerne zu enteignen. Das ist seitdem aber nicht passiert.
Wir haben eine Expertenkommission eingesetzt, die wahrscheinlich im kommenden Mai Empfehlungen geben wird. Sie soll klären, ob eine Enteignung mit der Verfassung vereinbar ist und welche rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen sie hätte. Mit dem Ergebnis des Volksentscheids gehen wir respektvoll um. Die Politik hat aber auch die Verantwortung, keine Maßnahmen einzuleiten, die vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Man muss gut abwägen, was so ein Schritt das Land Berlin kosten würde.
Sie selbst sind gegen eine Enteignung. Warum?
Auf das Land kämen riesige Entschädigungszahlungen und immense Kosten für die Verwaltung der Wohnungen zu, wahrscheinlich dazu noch eine Klagewelle. Gleichzeitig entsteht durch eine Enteignung aber keine einzige neue Wohnung. Wenn Sie jetzt auf Wohnungssuche sind, nützt Ihnen die Enteignung von 240.000 Wohnungen gar nichts – denn in den Wohnungen leben schon Menschen. Das Damoklesschwert der Enteignung hält außerdem schon jetzt Investoren davon ab, in Berlin Wohnungen zu bauen. Die gehen dann lieber nach Brandenburg, Hamburg oder Düsseldorf. Dabei brauchen wir sie hier in Berlin.
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