Die Bundesregierung hat ein Entlastungspaket für die Landwirtschaft auf den Weg gebracht. Damit reagiert sie auf die massiven Bauernproteste Anfang des Jahres. Während der Bauernverband mit Unmut und Kritik reagiert, hält ein Experte die Debatte in einem Punkt für unvollständig.
Ihr Protest war laut und er zeigte Wirkung: Anfang des Jahres waren Landwirte mit Traktoren in ganz Deutschland unterwegs, um sich gegen die geplanten Änderungen beim Agrar-Diesel zu wehren. Einen Teil der Maßnahmen hat die Regierung in Reaktion darauf inzwischen zurückgenommen – der Agrardiesel läuft nun gestreckt über einen Zeitraum von drei Jahren aus und grüne Kennzeichen bleiben erhalten.
Zur Besänftigung versprach die Regierung außerdem, weitere Maßnahmen zur Entlastung der Bauern folgen zu lassen. Die kamen jetzt: In der vergangenen Woche haben sich die Bundestagsfraktionen der Ampel-Parteien auf ein Entlastungspaket für die Landwirtschaft geeinigt.
Bürokratieabbau und Steuerentlastung
Zu den Reformen zählen unter anderem Bürokratieabbau für Melde- und Aufzeichnungspflichten sowie steuerliche Entlastungen. Bauern können zum Beispiel künftig durch eine "steuerliche Gewinnglättung" Einkommen aus guten und schlechten Jahren besser miteinander verrechnen. Außerdem wird die Weidetierhaltung auf Grünland zusätzlich gefördert.
Zu den Maßnahmen zählt auch eine Reform des Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetzes. Dabei sollen unlautere Handelspraktiken unterbunden werden, etwa das Zurückschicken unverkaufter Erzeugnisse vom Handel an den Lieferanten ohne Zahlung des Kaufpreises oder die kurzfristige Stornierung von Bestellungen verderblicher Waren wie Salatköpfe oder Erdbeeren durch den Käufer.
Bauernverband reagiert scharf
Der Bauernverband zeigt sich von dem Agrar-Paket enttäuscht. Auf dem Deutschen Bauerntag äußerte sich Verbandspräsident Joachim Rukwied scharf: Die Ampel habe bewiesen, dass sie nichts von Agrarpolitik verstehe. Die geplanten Entlastungen seien ein "Hohn". Es gebe zwar Schritte in die richtige Richtung, doch das Paket sei "Lichtjahre" von dem entfernt, was gebraucht würde.
Auch in einer öffentlichen Anhörung im Bundestag Anfang Juli sprach sich eine Mehrheit der Sachverständigen für deutliche Nachbesserungen aus. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt Agrarwissenschaftler Bernhard Forstner: "Das Paket ist nicht der große Wurf, aber es enthält einige Aspekte, die die Landwirte im Vorfeld gefordert haben." Aus wissenschaftlicher Sicht sei es problematisch, dass zu wenig für die Ziele Biodiversität, Umwelt- und Tierschutz passiere.
Einkommen verbessert sich
"Das Paket enthält eine Gewinnglättung über drei Jahre, durch die sich die Einkommenssituation vieler Bauern verbessern dürfte", hält Forstner fest. Profitieren würden vor allem Landwirte, die hohe jährliche Schwankungen in ihrem landwirtschaftlichen Einkommen haben. "Durch die Glättung zahlen sie künftig im Schnitt weniger, weil wir ein progressives Tarifsystem bei der Einkommenssteuer haben", so der Experte.
Er wirft jedoch eine Frage auf: Geht es den Landwirten eigentlich schlecht? Dazu sagt Forstner mit Bezug auf Daten des repräsentativen Testbetriebsnetzes Landwirtschaft der Bundesregierung: "Wenn man sich die Ergebnisse der letzten Jahre im Durchschnitt ansieht, dann erkennt man, dass die Landwirte in den letzten zwei Wirtschaftsjahren im Vergleich zu den Vorjahren sehr hohe Gewinne erwirtschaftet haben." Vor allem die Milchvieh- und Ackerbaubetriebe hätten aufgrund hoher Erzeugerpreise zuletzt sehr gut verdient.
Heterogene Landwirtschaft
"Man darf nicht vergessen, dass die Landwirtschaft mit Blick etwa auf die Region, den Produktionsbereich und die Betriebsstruktur oder -größe sehr heterogen ist. Man findet immer Gruppen, die gerade nicht so gut dastehen und die sich in der politischen Debatte gut instrumentalisieren lassen", so Forstner. In den letzten Jahren hätten beispielsweise die Dauerkultur- und Obstbaubetriebe im Durchschnitt keine guten Einkommen erzielt.
Noch ein wichtiger Punkt fehlt aus Sicht von Forstner in der Debatte: "Was das Einkommen angeht, erfassen wir im Testbetriebsnetz häufig nur einen Teil der Gesamteinkommen. Viele Landwirte haben aber zusätzlich Einkommen aus anderen Standbeinen wie Photovoltaikanlagen, Pensions-Tierhaltung, Urlaubsangebote oder durch Direktvermarktung ihrer Produkte, um nur einige Beispiele zu nennen", sagt er.
Ob nun Landwirte im Einkommensvergleich mit anderen Berufsgruppen wie zum Beispiel Handwerkern relativ gut oder schlecht dastehen, sei aufgrund der mangelnden Datenlage sehr schwer zu beurteilen.
Aufgabe des Staates? Experte sagt "nein"
"Landwirte arbeiten sicherlich hart und verdienen dafür Wertschätzung. Der Wettbewerb unter den Betrieben, die wirtschaftlichen Perspektiven sowie persönliche Konstellationen führen dazu, dass zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe aufgegeben werden", sagt Forstner. Seit 2010 ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um circa 15 Prozent zurückgegangen. Muss hier der Staat gegensteuern? Forstner meint: nein.
Es gebe derzeit gute Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und ein Punkt müsse offener und ehrlicher diskutiert werden: Neben dem Einkommen hätten die Landwirtsfamilien oftmals umfangreiches Boden- und Immobilienvermögen, das den Betroffenen den Ausstieg aus der Landwirtschaft erleichtere, sagt Forstner.
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Immer mehr Auflagen
Er meint aber auch: Die Proteste kommen nicht in erster Linie daher, dass die Einkommen und Vermögen zu niedrig sind. "Sondern es geht vor allem darum, dass die Produktionsauflagen in den letzten Jahren immer stärker wurden, etwa was die Tierhaltung, den Pflanzenschutzmitteleinsatz und das Düngerecht angeht. Hinzu kommt, dass die Politik einen Umbau der Tierhaltung angekündigt hat, aber die notwendige Finanzierung bislang offenlässt. Dies führt bei vielen Betroffenen mangels fehlender Planungssicherheit zu Frust und Investitionszurückhaltung oder zur Aufgabe der Tierhaltung", so der Experte.
Ungeklärte Fragen
Daher hält auch Forstner das Agrar-Entlastungspaket der Bundesregierung noch für ausbaufähig. "Die derzeitige Regierung hat es in der Dreierkonstellation zugegebenermaßen schwer, aber beim Bürokratieabbau gibt es beispielsweise Handlungspotenzial in Sachen Dokumentations- und Meldepflichten", meint er. Teilweise müssten Landwirte Daten mehrfach melden, weil sie zum Beispiel aus datenschutzrechtlichen Gründen von staatlichen Stellen nicht kombiniert oder weitergegeben werden dürften.
Die Bundesregierung sei gegenwärtig dabei, mit den relevanten Gruppen in einem "Praxischeck" bürokratische Erleichterungen zu erarbeiten. "Ob ein großer Wurf gelingt, ist allerdings zweifelhaft", so Forstner. Den Abbau unnötiger Bürokratie habe auch die "Zukunftskommission Landwirtschaft" in ihrem Bericht aus dem Jahr 2021 bereits ausdrücklich als notwendig erachtet.
Die Agrarpolitik sei, so Forstner, über die Jahre sehr komplex geworden. Dort, wo der Staat mit öffentlichen Geldern fördere, werde nachvollziehbarerweise gemäß dem Grundsatz "Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen" genauer hingeschaut und evaluiert. Außerdem seien weitere Anreize oder Auflagen zur Minderung von Treibhausgasen, Artenschwund sowie zum Ressourcenschutz unumgänglich.
Forstner wünscht sich angesichts der aufgeheizten Stimmung, mehr dort hinzuschauen, wo es gut läuft. "Viele landwirtschaftliche Betriebe entwickeln sich erfolgreich, indem sie sich unternehmerisch, teilweise mit ganz neuen Geschäftsmodellen, auf die großen Herausforderungen des Sektors ausrichten", erinnert er.
Über den Gesprächspartner
- Bernhard Forstner ist Agrarökonom und arbeitet am Institut für Betriebswirtschaft des Thünen-Instituts. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die EU-Agrarpolitik sowie Agrar- und Unternehmensstrukturen.
Verwendete Quellen
- wochenblatt-dlv.de: Bauernpräsident Rukwied erklärt, was Bauernproteste gebracht haben
- bundestag.de: Sachverständige kritisierten Agrarpaket
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