• Brasilien hat einen neuen Präsidenten: In der Stichwahl am Sonntag hat sich der Herausforderer, Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, knapp gegen Amtsinhaber Jair Bolsonaro durchgesetzt.
  • Am Ende war der Vorsprung hauchdünn: Lula gewann mit 50,9 Prozent der gültigen Stimmen, Bolsonaro erhielt 49,1 Prozent.

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"Dies war heute nicht mein Sieg und nicht der Sieg der PT. Das war der Sieg des brasilianischen Volkes", schlug der Wahlsieger vor Journalisten gleich versöhnliche Töne an. "Es war die wichtigste Wahl in der Geschichte unseres Landes." Das Volk habe gezeigt, dass es mehr und nicht weniger Demokratie wolle, mehr und nicht weniger Inklusion, außerdem mehr Gleichheit und Brüderlichkeit.

Erste Jubelschreie waren in den Großstädten des größten Landes Lateinamerikas bereits um 18:46 Uhr Ortszeit zu hören. Das war der Zeitpunkt, zu dem während der Auszählung Lula erstmals an Bolsonaro vorbeizog. Zu diesem Zeitpunkt waren 70 Prozent der Stimmen ausgezählt. In manchen Städten strömten die ersten Lula-Anhänger auf die Straßen, um den absehbaren Wahlsieg zu feiern.

In São Paulo, der größten Stadt Brasilien, hatten sich bereits zu Beginn der Auszählung Anhänger beider Kandidaten auf der Avenida Paulista versammelt. Die Stadtverwaltung hatte angekündigt, dass der Gewinner der Wahl die Straße für seine Siegesfeier nutzen könnte. Auch auf Plätzen und Straßen in weiteren großen Städten des Landes feierten die Anhänger Lulas friedlich und ausgelassen.

Zitterpartie bis zum Schluss

Dass es am Ende eine solche Zitterpartie wurde, lag vor allem daran, dass Jair Bolsonaro erneut Stimmen hinzugewinnen konnte. Im Vergleich zum ersten Wahlgang, in dem er rund 51 Millionen Stimmen erhielt, legte er mit fast 58 Millionen Stimmen kräftig zu. Herausforderer Lula konnte dagegen weniger Stimmen hinzugewinnen. Am Ende stimmten gut 60 Millionen Wahlberechtigte für den Altmeister der Arbeiterpartei PT.

Es war nicht nur der knappste Ausgang in der Geschichte Brasiliens, knapper noch als 2014 bei der Wiederwahl von Dilma Rousseff gegen Aécio Neves, als die beiden Kontrahenten 3,2 Prozentpunkte auseinanderlagen. Lula ist der erste Kandidat, dem es gelungen ist, demokratisch in eine dritte Amtszeit gewählt zu werden. Darüber hinaus gelang es ihm als Erster, die Wiederwahl eines Amtsinhabers zu vereiteln. Bislang hatte ein angetretener Amtsinhaber auch stets die Wiederwahl gewonnen. Außerdem wird er der älteste gewählte Kandidat sein, der am 1. Januar das Amt antreten wird. Vergangenen Donnerstag wurde Lula 77 Jahre alt.

Garant für den Sieg Lulas war sein gutes Abschneiden im Nordosten. Dort, in der zweitbevölkerungsreichsten Region, hielt er Bolsonaro deutlich auf Distanz. Dieser Vorsprung reichte aus, um auch den Gesamtsieg zu erringen. Zwar gewann Bolsonaro in den restlichen Regionen Norden, Südwesten und Südosten, jedoch fielen dort die Ergebnisse – außer im Südwesten – weniger deutlich zu Gunsten Bolsonaros aus. Insgesamt erhielt dieser in 14 Bundesstaaten die Mehrzahl der Stimmen, Lula nur in 13. Im ersten Wahlgang am 2. Oktober war es genau umgekehrt.

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Bolsonaro besonders stark im Süden

Weiterer Erfolg für den scheidenden Präsidenten Bolsonaro: In den bevölkerungsreichen Bundesstaaten Rio de Janeiro und São Paulo gewann er nicht nur die meisten Stimmen. Sein Kandidat Tarcísio Gomes de Freitas gewann auch die Stichwahl um das Amt des Gouverneurs gegen PT-Kandidat Fernando Haddad deutlich. Und das, obwohl Tarcísio in den letzten Tagen negative Schlagzeilen gemacht hatte. Bei einem Wahlkampfauftritt in Paraisópolis sollen Sicherheitsleute des Kandidaten einen unbewaffneten Mann erschossen haben. Die genauen Hintergründe der Tat sind noch unklar.

Während sich der Wahlsieger Lula nach Bekanntgabe des Ergebnisses zunächst den Weg zu den Journalisten bahnte, um anschließend in São Paulo ein Bad in der Menge zu nehmen, blieb es um Jair Bolsonaro zunächst ruhig.

Verbündete Bolsonaros: Erste Signale, das Wahlergebnis anerkennen zu wollen

Durchaus bemerkenswert die Reaktion von Onyx Lorenzoni (PL) auf seine Wahlniederlage gegen Eduardo Leite um das Amt des Gouverneurs von Rio Grande do Sul. "In einer Demokratie ist die Entscheidung des Volkes souverän", sagte der Unterlegene. Er war für dieselbe Partei wie Bolsonaro angetreten, war zuvor Minister in dessen Kabinett gewesen.

Diese Reaktion lässt darauf hoffen, dass sich die Befürchtungen vieler Brasilianer nicht erfüllen und es zu einem friedlichen Amtsübergang kommen wird. Auch Arthur Lira, Präsident des Abgeordnetenhauses und ebenfalls ein Verbündeter Bolsonaros, ließ aufhorchen. "Diese Wahl war eine Demonstration der Vitalität der Demokratie", sagte er. Lira ließ keine Zweifel daran, dass die Wahl sauber verlaufen war. Nun müsse sich die Politik wieder bemühen, das Land zu befrieden und sich darauf zu konzentrieren, bessere Lebensbedingungen für das brasilianische Volk zu schaffen, so Lira. Damit sieht es so aus, als rückten bereits die ersten Verbündeten von Jair Bolsonaro ab. Er hatte stets die Rechtmäßigkeit und Zuverlässigkeit der elektronischen Wahlurnen angezweifelt.

Wollte Verkehrspolizei Wähler abhalten?

Beunruhigende Nachrichten hab es am Nachmittag aus einigen Bundesstaaten des Nordostens. Von dort berichteten zahlreiche Personen über die sozialen Netzwerke, dass linke Sympathisanten wohl von der Verkehrspolizei Policia Federal Rodoviária (PFR) angehalten und kontrolliert wurden – offenbar mit dem Ziel, diesen den Weg zum Wahllokal zu erschweren.

Der Nachrichtensender Globo berichtete von 560 Operationen der PFR, 272 davon alleine im Nordosten. Dort hatte Lula im ersten Wahlgang die meisten Unterstützer gehabt. Auch im Bundesstaat Rio de Janeiro gab es Kontrollen, unter anderem an der Brücke, die die Städte Rio de Janeiro und Niteroí verbindet. Die 13 Kilometer lange Brücke ist ein Verkehrs-Nadelöhr.

Der Präsident des Obersten Wahlgerichtshofs STE, Alexandre de Moraes, hatte später erklärt, dass anscheinend niemand durch die Aktionen an der Stimmabgabe gehindert worden sei. Deshalb hatte er auch nicht die Forderungen einiger führender Politiker des linken Spektrums aufgenommen, als Ausgleich die Wahllokale länger geöffnet zu lassen.

Marina Silva, frühere und mögliche neue Umweltministerin einer neuen Lula-Regierung, ging sogar so weit, von einem Putsch-Versuch zu sprechen.

Allerdings ebenfalls pikant: Der Chef der PRF, Silvinei Vasques, hatte im Vorfeld der Wahl auf Instragram ein Foto von einer großen brasilianischen Flagge gepostet, mit der Aufforderung "Vote 22" (Zu Deutsch: "Wählt 22.") Die 22 war die Liste von Jair Bolsonaro.

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