- Boris Johnson steht ein harter Tag bevor: Sein ehemals engster politischer Berater, Dominic Cummings, wird heute vor dem Parlament zur Corona-Krisenpolitik seines einstigen Chefs befragt.
- Alles deutet darauf hin, dass Cummings dieses Gelegenheit zur Abrechnung mit dem britischen Premier nutzen möchte.
- Boris Johnson dürfte unmittelbar nach Cummings Aussage mit dessen Aussagen konfrontiert werden.
London rüstet sich für ein mögliches politisches Beben. Am Mittwoch (10.30 MESZ) wird der ehemalige Top-Berater von Premierminister
In zahlreichen Twitter-Nachrichten legt Cummings seit gut einer Woche Rechenschaft ab über seine damaligen Handlungen und wirft der Regierung Untätigkeit vor. Zuletzt hatte er sich wiederholt kritisch über den Umgang von Johnsons Kabinett mit der Pandemie geäußert. Allerdings weisen politische Beobachter in London darauf hin, dass ohne Cummings, der als "graue Eminenz" der Downing Street galt, kaum eine Entscheidung von Tragweite getroffen wurde. Auch deshalb wirkt es wie ein Rachefeldzug: Denn Cummings hatte seinen Berater-Posten im vergangenen November im Streit verlassen.
Um Cummings kümmern sich die Unterhaus-Ausschüsse für Gesundheit und Wissenschaft. Erwartet wird, dass sich die Befragung letztlich auf vier Kernbereiche konzentriert: die Vorbereitung der Regierung sowie der erste Lockdown, das als ineffektiv kritisierte milliardenschwere Test- und Nachverfolgungsprogramm, die Impfkampagne und der zweite Lockdown im Herbst.
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Plaudert Cummings aus dem Nähkästchen?
Mit Spannung erwartet wird zudem, ob Cummings aus dem Nähkästchen plaudert. So gab es unlängst Berichte über skandalträchtige Johnson-Aussagen. Lieber nehme er in Kauf, dass sich "die Leichen zu Tausenden auftürmen", als einen weiteren Lockdown durchzusetzen, soll der Premier gesagt haben. Auch soll Johnson fünf Corona-Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrats (Cobra) zur Pandemie verpasst haben - angeblich, weil er an einer Biografie über den legendären Dichter William Shakespeare arbeitete. Noch offen ist zudem, ob zunächst - entgegen der Bestimmungen - ein Großspender der Konservativen Partei für die teure Renovierung von Johnsons Amtswohnung aufkam.
Johnson dürfte gleich mit Cummings Aussagen konfrontiert werden
Wie der Sender Sky News berichtete, dürfte die Befragung mehrere Stunden dauern - und sich vermutlich mit der sogenannten Prime Minister's Question Time überschneiden. Dort stellt sich Johnson traditionell regelmäßig am Mittwoch (13.00 Uhr MESZ) den Fragen des Parlaments. Es ist davon auszugehen, dass Oppositionsführer Keir Starmer und andere Labour-Abgeordnete die Chance nutzen werden, um Johnson sofort mit Aussagen von Cummings zu konfrontieren.
Mit mehr als 150.000 Menschen, die an oder mit Covid gestorben sind, ist Großbritannien eines der von der Pandemie am schwersten betroffenen Länder Europas. Die Regierung steht in der Kritik, besonders mit der Verhängung des ersten Lockdowns zu lange gezögert zu haben.
Cummings zufolge lag das auch an der zunächst verfolgten Strategie, ähnlich wie in Schweden die Ausbreitung des Virus nicht gänzlich zu unterdrücken, sondern auf eine allmählich einsetzende Immunität in der Bevölkerung zu hoffen. Beteuerungen von Regierungsmitgliedern, das sei nicht der Fall gewesen, bezeichnete er als "Bullshit". Arbeitsministerin Thérèse Coffey widersprach ihm erst am Dienstag energisch.
Die Downing Street bleibt schweigsam
Ansonsten gab sich "Number 10" zu Cummings' Vorwürfen zuletzt demonstrativ schweigsam. Die Tweets seien "revisionistisch", hieß es in der "Times", allerdings nur als Zitat einer ungenannten Regierungsquelle. Cummings sei heuchlerisch, stand dort zu lesen. Politische Beobachter schließen zudem nicht aus, dass Johnson am Mittwoch mit einem Manöver von der Befragung ablenken will. Sogar ein Kabinettsumbau steht im Raum.
Cummings war in weiten Teilen der Bevölkerung regelrecht verhasst. Doch als er Hunderte Kilometer zu seiner Familie nach Durham fuhr und damit offenkundig die Corona-Regeln brach, stellten sich Johnson und weitere Regierungsmitglieder hinter den Berater. Cummings selbst gab im Rosengarten der Downing Street eine skurrile Pressekonferenz und verteidigte sich. Nun, fast auf den Tag genau ein Jahr später, steht er wieder im Rampenlicht. (dpa/ska)
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