Die Vereinten Nationen feiern 70. Geburtstag. Berühmte Menschen können bei solchen Anlässen mit einer wohlgemeinten Lobrede rechnen. Die Bilanz des Autors und UN-Experten Andreas Zumach fällt eher gemischt aus, aber er betont auch: "Das Versagen der UNO ist immer das Versagen ihrer Mitgliedsstaaten."

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Herr Zumach, ist der 70. Geburtstag der UNO ein Grund zur Freude?

Andreas Zumach: Ja, es ist ein Grund zur Freude. Sie hat es nicht geschafft, die Menschheit von der Geißel des Krieges zu befreien, aber sie hat doch einige Konflikte verhindern und andere durch Verhandlungen frühzeitig beenden können – wie den ersten Golfkrieg zwischen Iran und Irak. Außerdem wurden durch ihre Unterorganisationen wie das Weltflüchtlingshilfswerk humanitäre Katastrophen verhindert. Das ist eine gemischte Bilanz, dennoch: Ohne die UN wäre die Welt in einem schlechteren Zustand.

Welche Verdienste kann sie noch vorweisen?

Es kam auch dank der Vermittlung des UN-Sicherheitsrates im Kalten Krieg nicht zu einem atomaren Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion. Das ist sicher der größte Verdienst. Und denken Sie an die zahlreichen Abkommen in den Bereichen Menschenrechte, Abrüstung, Arbeitsschutz oder Umwelt- und Klimaschutz.

Was waren die größten Fehler?

Zu den schwärzesten Stunden gehört ganz sicher der Völkermord in Ruanda 1994, als trotz dringender Warnungen eines kanadischen Generals, nichts geschehen ist. Da wurde Däumchen gedreht, es war den Verantwortlichen einfach egal, um es zynisch zu sagen, dass sich da irgendwo in Afrika ein paar Schwarze die Köpfe einschlagen. Der Mord an 8.000 Muslimen in Srebrenica im Jugoslawien-Krieg war das größte Versagen auf dem europäischen Kontinent.

Warum ist die Organisation oft tatenlos?

Ich möchte das ausdrücklich betonen: Wenn man von einem Versagen der Vereinten Nationen spricht, ist das in erster Linie ein Versagen der Mitgliedsstaaten. Es gibt unterschiedliche nationalstaatliche Interessen und Machtgewichte. Daher kommt es im Sicherheitsrat immer wieder zu Blockaden durch die fünf Veto-Mächte. Dennoch halte ich die UNO mit ihrem kollektiven System für geeigneter, egoistische Interessen der Mitgliedsstaaten im Zaum zu halten als ein nach außen gerichtetes Militärbündnis wie die NATO.

Der Syrien-Krieg, die Ukraine-Krise, Ebola: Hat die UNO auch dort versagt?

Junge Leute, denen ich begegne und die um die 25 Jahre alt sind, sagen: 2014 gab es das schlimmste globale Chaos, das wir je erlebt haben. Und sie sehen leider auch ein Versagen der UNO, weil sich die Veto-Mächte im Sicherheitsrat erneut gegenseitig blockieren, etwa im Syrien-Krieg, wo sich die USA und Russland nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten. Dass in Syrien nicht einmal die vollständige Versorgung der Flüchtlinge gelingt, ist dramatisch und hat viel mit der finanziellen Unterversorgung zu tun. Ich sage es noch einmal: Für das Versagen muss man immer die Mitgliedsstaaten verantwortlich machen.

Es gibt mehr als 30 UN-Sonder- und Spezialorganisationen wie die Weltgesundheitsorganisation WHO oder das Welternährungsprogramm WFP. Haben die alle eine Berechtigung?

Diese Organisationen wurde alle zu einer bestimmen Zeit gegründet, weil es einen konkreten Bedarf dafür gab. Das 1951 geschaffene Hochkommissariat für Flüchtlinge sollte sich der Flüchtlingsfrage in Europa annehmen, heute haben wir weltweit rund 50 Millionen Menschen, die auf der Flucht sind. Das Problem ist immer noch da. Sicherlich gibt es einige Organisationen, die man abschaffen könnte. Die UNIDO, die die Industrialisierung in Afrika vorantreiben sollte, ist meines Erachtens überflüssig geworden. Andere Organisationen müssten dagegen viel besser finanziert werden.

Wie viel Macht hat die UNO eigentlich noch?

Sie wird in der Tat aus bedeutenden Verhandlungen immer häufiger rausgehalten. In der Ukraine-Krise waren die Europäer zu überheblich und wollten das lieber mit ihren eigenen Organisationen wie der EU oder der OSZE regeln. Auch im Konflikt zwischen Israel und Palästina spielt die UNO keine Rolle, weil die USA das verhindern. Der Eindruck drängt sich auf, dass der Staatenbund an Macht verliert.

Kann man die UNO abschaffen?

Nein, das kann man auf gar keinen Fall. Sie wird heute mindestens so dringend gebraucht wie 1945. Sie muss unbedingt gestärkt und reformiert werden, sie muss handlungsfähiger gemacht werden. Wichtig wäre eine Finanzreform, verbunden mit der Erhöhung des Etats. Die UNO braucht eine stehende Einsatztruppe, um globale Krisen, Kriege, Gewalt, Hunger und innerstaatliche Konflikte einzudämmen.

Hat die UNO eine Zukunft?

Sie muss eine Zukunft haben. Eine Welt ohne die UNO, das wäre ein Rückfall in die Barbarei in Bezug auf zwischenstaatliche Beziehungen, so wie wir es ab Mitte der 1930er Jahre in Europa schon einmal erlebt haben.

Andreas Zumach (60) arbeitet seit 1988 am UN-Sitz in Genf als Korrespondent, unter anderem für die TAZ. Er ist Autor des Buches: "Globales Chaos – machtlose Uno. Ist die Weltorganisation überflüssig geworden?"
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