Spionieren chinesische Behörden User über die App TikTok aus oder versuchen gar, deren Meinung zu beeinflussen? Datenschützer und Sicherheitsexperten schlagen seit langem Alarm. Spätestens seit Montana als erster US-Bundesstaat die Videoplattform verboten hat, ist die Debatte über TikTok auch hierzulande in vollem Gange. Ist die Sorge berechtigt und handelt es sich um Panikmache?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Verbots-Debatte in den USA hat auch hierzulande eine Diskussion losgetreten: Wie gefährlich ist die Kurzvideoplattform TikTok für den Westen? In den USA steht die App, die besonders bei jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren beliebt ist, massiv in der Kritik. Grund: Der Dienst mit weltweit mehr als einer Milliarde Nutzern stammt vom chinesischen Konzern ByteDance.

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Mehrere Staaten, darunter die USA, Kanada, Dänemark und Großbritannien, haben Mitarbeitern ihrer Regierungen bereits untersagt, TikTok auf ihrem Dienstgerät zu nutzen. Auch Mitarbeiter von EU-Institutionen sollen die App von ihrem Handy löschen. Der US-Bundesstaat Montana geht noch weiter: Er hat die Videoplattform im April verboten. Weitere Bundesstaaten könnten folgen, sogar ein generelles Verbot in den USA ist im Gespräch.

Werden User ausspioniert?

Die Befürchtung von Datenschutzexperten ist, dass sensible Daten preisgegeben werden könnten, wenn die App installiert wird. "TikTok wird von einem chinesischen Unternehmen betrieben – es ist also nicht auszuschließen, dass der chinesische Staat auf Daten, Meinungen und Geschäftsabläufe Zugriff hat", sagt Medienrechtsexperte Rolf Schwartmann. Möglicherweise könne die chinesische Regierung so an Informationen über Menschen im Ausland kommen.

Denn Informationen über seine Nutzer sammelt der Konzern in großem Stil. Wie die meisten großen Unternehmen in China arbeitet ByteDance im Auftrag der chinesischen Regierung. Nicht unüblich hat es auch ein internes Komitee der Kommunistischen Partei Chinas, welches die Parteimitglieder unter den Mitarbeitern organisiert. Außerdem besteht zwischen ByteDance und dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit eine "strategische Partnerschaft".

Vorwurf: Zensur und Unterdrückung

Viele befürchten daher, dass der Internet-Technologie-Riese gezielt Inhalte zensiert und überwacht. Zu solchen kontroversen Themen zählen beispielsweise die Umerziehungslager in Xinjiang. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch auf Inhalte zugegriffen wird, sagt Schwartmann.

Neben der Zensur wird TikTok auch die Unterdrückung von Minderheiten vorgeworfen. Im Gespräch mit der "Deutschen Presseagentur" sagte der Sicherheitexperte Rüdiger Trost, TikTok sei "sehr gefährlich". "Der Algorithmus von Tiktok benachteiligt gezielt Individuen, die nach westlichem Verständnis eines besonderen Schutzes bedürfen", erklärte er. So würden beispielsweise Beiträge von Behinderten gezielt seltener ausgespielt.

Ereignisse, die dem chinesischen Staat nicht gefallen, würden der Zensur zum Opfer fallen. "Mindestens so groß wie die Gefahr vor Spionage ist das Risiko einer gezielten Beeinflussung der öffentlichen Meinung in westlichen Gesellschaften. Nicht zuletzt vor Wahlen", warnte Trost.

Warnungen von Extremismusforschern

In der App werden Usern in schneller Abfolge Kurzvideos präsentiert, die von Katzenvideos und Schminktipps bis zu politischen Statements und Verschwörungsinhalten reichen. Innerhalb weniger Stunden passt der Algorithmus sich an die Interessen eines Nutzers an und spielt ihm personalisierte Inhalte aus.

Extremismusforscher sehen eine Gefahr darin, dass User in eine Bubble gezogen werden. "Vieles weiß man über den TikTok-Algorithmus und die Verwendung der Daten nicht genau, aber das Misstrauen ist groß", sagt Schwartmann.

TikTok weist Vorwürfe zurück

TikTok selbst bestreitet die Vorwürfe. Sprecher des Konzerns beteuern immer wieder, die Daten der US-Nutzer würden auch in den USA verarbeitet, Backup-Server befänden sich außerhalb von China. Außerdem liege der Firmensitz auf den Cayman-Inseln in der Karibik. TikTok sei unabhängig von dem in Peking sitzenden Firmenteil von ByteDance und man sehe sich nicht als Tochter eines chinesischen Unternehmens.

Datenanfragen von der chinesischen Regierung habe es nie gegeben. TikTok versucht, den Bedenken mit Zusagen für mehr Transparenz zu begegnen. So sollen beispielsweise Daten von europäischen Usern in drei Rechenzentren in Europa gespeichert werden. Ein unabhängiger Partner werde den Datenfluss und den Zugang zu Informationen überwachen.

Vorbehalte gegenüber Peking

"Das Unbehagen liegt dennoch darin, dass ein Staat, den insbesondere die Amerikaner sehr kritisch sehen, einen Dienst betreibt, den amerikanische und andere westliche Staatsbürger nutzen", sagt Schwartmann.

Zwar fürchte man sich als europäischer Staatsbürger auch vor dem Eingriff amerikanischer Geheimdienste, hierzulande vertraue man den USA aber mehr als China. "Es handelt sich um eine andere Staatsform – viele Vorgänge, die in China mit Daten der Bürger passieren, sind aus unserer Sicht rechtswidrig", erinnert der Experte.

Von dem Misstrauen wissen auch westliche Technologiekonzerne: Unternehmen wie Airbnb, Yahoo und LinkedIn haben China bereits den Rücken gekehrt oder ihre Niederlassungen dort verkleinert.

Deutschland will nicht den Verbots-Weg gehen

Hierzulande hat Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ein generelles Verbot der App bislang ausgeschlossen. Dafür sehe sie keine Grundlage. Dennoch forderte die SPD-Politikerin mehr Aufklärung darüber, dass Daten abfließen könnten. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber empfiehlt Bundesministerien und -behörden, TikTok nicht auf dienstlichen Geräten einzusetzen. Eine "umfangreiche Analyse" zur Cybersicherheit steht noch aus.

Gegner von TikTok-Verboten weisen aber immer wieder darauf hin, dass die Plattform der Meinungsäußerung dient. Befürchtet werden Kollateralschäden für das freie Internet, wenn der Staat den Dienst verbietet.

Verbot könnte umgangen werden

Im US-Bundesstaat Montana ist es künftig verboten, die App zum Download anzubieten, TikTok darf als Unternehmen außerdem nicht mehr in dem Bundesstaat tätig sein. "Das ist ein massiver Eingriff in die Grundrechte der Menschen, die den Dienst nutzen", erinnert Schwartmann. Nutzer würden bevormundet, welchen Dienst sie nutzen dürfen.

Ob das Verbot wirklich Erfolg hat, bezweifelt er zudem. Häufig könne man den Zugriff auf Server mittels sogenannter "VPN-Tunnel" herstellen und die App trotz Verbot herunterladen. Allerdings will der Bundesstaat auch mit Bußgeldern arbeiten, die gegen Anbieter und Unternehmen verhängt werden könnten.

Gesetz mit großer Symbolwirkung

Es sei aber in jedem Fall ein Gesetz mit großer Symbolwirkung, das klarmache: "Dieser Dienst darf bei uns nicht zur Verbreitung von Meinungen genutzt werden", sagt Schwartmann. Ob es angemessen sei, so in den Meinungsfreiheitsprozess der Menschen einzugreifen, sei "die große Frage".

Außerdem sei TikTok nicht das einzige Unternehmen, welches Daten sammele und potenziell weiterverkaufe – der Facebook-Konzern Meta steht dafür ebenfalls in der Kritik. Im Westen ist TikTok allerdings die einzige erfolgreiche Online-Plattform, die nicht aus den USA stammt.

Über den Gesprächspartner: Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Technischen Hochschule Köln und Inhaber der Professur für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht. Er ist zugleich Privatdozent an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e.V. Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist Mitglied der Datenethikkommission.

Verwendete Quellen:

  • dpa
  • Tagesschau.de: Spaßige App - oder Sicherheitsrisiko?
  • ZDF.de: Faeser: Kein TikTok-Verbot in Deutschland
  • Tagesschau.de: Montana will TikTok komplett verbieten
  • Euronews.com: Welche Länder haben TikTok verboten und warum?
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