Hongkong kommt nicht zur Ruhe. Doch der Kampf für mehr Demokratie tobt nicht erst seit wenigen Wochen. Bereits vor fünf Jahren gingen Massen auf die Straßen, damals, weil Peking Reformen in Hongkong verhindert hat - es war der Beginn der "Regenschirm-Bewegung".
Heute vor fünf Jahren hat Pekings Regierung mit einem Beschluss maßgebliche politische Reformen in Hongkong verhindert. Es folgten Massenproteste – und damit die "Regenschirm-Bewegung". Fünf Jahre später gehen in der chinesischen Sonderverwaltungsregion wieder Hunderttausende auf die Straße - und Staat und Demokratiebewegung scheinen sich unversöhnlicher denn je gegenüber zu stehen.
Doch was passierte damals? Was genau trieb die Menschen in Hongkong vor fünf Jahren auf die Straßen?
Das passierte 2014
31. August 2014: Der Nationale Volkskongress in Peking beschließt zwar, dass 2017 erstmals alle Bürger den Regierungschef Hongkongs wählen dürfen. Die Kandidaten aber sollen von einem 1.200 mitgliederstarken Gremium ausgewählt werden. Mit dem sogenannten "831-Beschluss" stellt die chinesische Zentralregierung also sicher, dass der Regierungschef weiterhin auf Linie ist. Anhänger der Demokratie in Hongkong reagieren empört. Zum Hintergrund: Hongkong war britische Kolonie und gehört seit 1997 wieder zu China. Mitte der 80er-Jahre hatte die chinesische Regierung Hongkong gemäß dem Prinzip "Ein Land - zwei Systeme" für 50 Jahre weitgehende politische und institutionelle Autonomie zugesichert. Der Regierungschef wurde bis 2017 jedoch nicht durch freie Wahlen, sondern von einem Wahlkomitee bestimmt.
September 2014: Nach dem "831"-Beschluss kommt es zu ersten Studentenprotesten, angeführt von der Hong Kong Federation of Students (HKFS) und einer Aktivistengruppe aus Oberschülern und Studenten mit dem Namen Scholarism. In der Nacht zum 28. September schließt sich die Bürgerrechtsbewegung Occupy Central with Love and Peace (OCLP) den Studierenden an.
Regierungskritiker besetzen Teile der Hongkonger Innenstadt und des Finanzzentrums. Sie fordern den Rücktritt des Regierungschefs Leung Chun Ying. Es kommt zu Zusammenstößen mit der Polizei und prochinesischen Gegendemonstranten. Die Polizei versucht, die Demonstrationen mit Pfefferspray, Tränengas, Gummiknüppeln und Festnahmen aufzulösen. Weil Protestierende sich mit Schirmen vor dem Pfefferspray schützen, erhält die Bewegung ihren Namen: "Regenschirm-Bewegung".
Mitte Oktober 2014: Regierung und Demonstranten treffen sich zwar zu Verhandlungen, können sich aber nicht einigen: Die Protestler fordern weiterhin die freie Nominierung der Kandidaten fürs Regierungsamt. Die politische Führung stellt ihnen indes lediglich in Aussicht, das Wahlkomitee demokratisch zu besetzen.
Dezember 2014: Mehrere prominente OCLP-Aktivisten rufen dazu auf, Besetzungen zu beenden. Die Proteste ebben ab. Bis Mitte des Monats werden letzte besetzte Plätze ohne Widerstand geräumt.
In den Folgejahren werden mehrere Aktivisten als Anführer der Regenschirm-Bewegung schuldig gesprochen und zu Haftstrafen verurteilt.
Das passierte fünf Jahre später
9. Juni 2019: Mit der größten Demonstration seit den Regenschirm-Protesten stellen sich Hundertausende Hongkonger gegen die Pläne der Regierung für ein Auslieferungsgesetz: Sie wollen verhindern, dass Hongkong Verdächtige auf Chinas Ersuchen an die Volksrepublik ausliefert. Protestierende halten Schilder hoch, auf denen Sätze stehen wie: "Nach China ausgeliefert, für immer verschwunden."
12. Juni 2019: Bei Protesten gegen das geplante Auslieferungsgesetz kommt es zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei. Wieder sind Tränengas, Pfefferspray, Wasserwerfer, Gummigeschosse und Schlagstöcke im Einsatz. Weil die Demonstranten das Parlament blockieren, wird die geplante Debatte über das Gesetz verschoben. Am Tag darauf wird sich die EU hinter die Demonstranten stellen – und Peking empört reagieren.
15. Juni 2019: Nach schweren Protesten setzt Hongkongs Regierung die Pläne für das umstrittene Gesetz aus. Doch die Demonstranten geben sich damit nicht zufrieden.
16. Juni 2019: Wieder gehen Menschen auf die Straße – nach Angaben der Organisatoren sind es fast zwei Millionen, laut Polizei 338.000. Sie fordern den Rücktritt von Regierungschefin Carrie Lam und den endgültigen Stopp des geplanten Gesetzes.
Ein 35-Jähriger stürzt bei den Protesten in den Tod. Die Polizei teilt mit, dass es sich um Selbstmord handele. Einen Tag nach den größten Massenprotesten seit drei Jahrzehnten wird der prominente Aktivist Joshua Wong, Anführer von Scholarism, aus dem Gefängnis freikommen. Nachdem er bereits auf Kaution frei war, hatte ein Gericht erst Mitte Mai beschlossen, das er wegen der Regenschirm-Proteste erneut in Haft muss.
1. Juli 2019: Begleitet von weiteren gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten feiert Hongkong den 22. Jahrestag der Rückkehr zu China. Hunderte besetzen am Abend das Parlament der Stadt und zerstören teilweise die Einrichtung. Gleichzeitig läuft auch friedlicher Protest.
21. Juli 2019: Erstmals attackieren Protestierende auch Chinas Vertretung in Hongkong: Einige von ihnen werfen mit Eiern und Farbe. Die Polizei findet in einem Waffenlager im Lagerraum einer Unabhängigkeitsgruppe zwei Kilogramm Sprengstoff, Brandsätze, Säure, Messer und Metallstangen. Regierungskritische Demonstranten werden auf dem Heimweg von Schlägern in weißen T-Shirts angegriffen, 45 Menschen dabei teilweise schwer verletzt. Die Protest-Bewegung wirft der Polizei vor, nicht eingegriffen zu haben.
31. Juli 2019: Anklagen gegen 44 regierungskritische Demonstranten rufen neue Proteste hervor. Ihnen wird vorgeworfen, sich an einem "Aufruhr" beteiligt zu haben.
5. August 2019: Ein Massenstreik und neue Zusammenstöße lösen Chaos aus: Demonstranten blockieren große Teile des öffentlichen Verkehrs und sorgen auch am Flughafen für Ausfälle. Regierungschefin Lam warnt, dass die Proteste und die Gewalt Hongkong "an den Rand einer sehr gefährlichen Lage gebracht haben".
China wirft Demonstranten "erste Anzeichen von Terrorismus" vor
12. August 2019: Die Protestbewegung setzt den Flughafen außer Betrieb. Viele Protestierende tragen Augenbinden: Die Polizei soll eine Demonstrantin mit einem Gummigeschoss schwer im Gesicht verletzt haben. Am selben Tag zeigt Chinas staatliche Zeitung "Global Times" ein Video mit Polizeieinheiten mit gepanzerten Fahrzeugen, die sich dem Bericht zufolge in Hongkongs Nachbarstadt Shenzhen auf eine Übung vorbereiten.
Ein ähnliches Manöver hat es dort schon in der Woche zuvor gegeben. Chinas Regierung wirft den Demonstranten "erste Anzeichen von Terrorismus" vor. Am Tag darauf wird es am Flughafen wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen kommen.
15. August 2019: Ein prominenter Anführer der Proteste von 2014, der Juraprofessor Benny Tai, darf gegen Kaution das Gefängnis, jedoch nicht Hongkong verlassen.
16. bis 18. August 2019: Obwohl die chinesische Regierung zumindest indirekt mit militärischer Gewalt droht, gehen weiter Hunderttausende Menschen auf die Straße. Seit Tagen kursieren Bilder von Übungen der paramilitärischen Polizei in Shenzhen – und auf Hongkongs Straßen fahren Militärlastwagen.
23. August 2019: Nach dem Vorbild des "Baltischen Wegs" bilden Demonstranten eine kilometerlange Menschenkette durch Hongkong. Am 23. August 1989 hatten sich rund zwei Millionen Menschen so mit einer 600 Kilometer langen Kette von Tallinn (Estland) über Riga (Lettland) bis nach Vilnius (Litauen) gegen die Sowjetherrschaft und für die Freiheit eingesetzt.
25. und 26. August 2019: Bei erneuten Ausschreitungen werden am Wochenende 65 Menschen festgenommen, darunter ein zwölfjähriges Kind. Seit Juni hat die Polizei insgesamt mehr als 850 Teilnehmer der Proteste festgenommen.
30. August 2019: Studentenaktivist Joshua Wong kommt, gemeinsam mit zwei Mitstreitern, erneut in Haft - und wird am selben Tag wieder auf Kaution freigelassen. Zuvor haben die Behörden eine für Samstag geplante Großdemonstration verboten. Die Organisatoren sagen den Protest ab. Nun bleibt abzuwarten, ob, fünf Jahre nach dem "831-Beschluss", trotz des Verbots wieder Menschen auf die Straße gehen.
Verwendete Quellen:
- Berichterstattung der Deutschen Presse-Agentur (dpa)
- Neue Zürcher Zeitung: Volkswahl im engen Korsett
- Bundeszentrale für politische Bildung: Eingeschränkt frei: Proteste in Hongkong für mehr Demokratie
- Spiegel Online: Die Regenschirm-Revolution
- South China Morning Post: Police let Occupy organisers walk away without charge after they turn themselves in
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.