Felsstürze mit teils enormen Ausmaßen verunsichern derzeit nicht nur Alpinisten und Urlauber, sondern auch die Tourismusindustrie. Häufen sich solche Geschehnisse? Wird Wandern im Gebirge lebensgefährlich? Fachleute haben gute und schlechte Nachrichten.

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Zehntausende Tonnen Geröll stürzten am Heiligabend auf eine Straße im Tiroler Valsertal – zum Glück waren weit und breit keine Menschen unterwegs.

Am 8. Januar dann donnerten im Kanton Graubünden 100 Kubikmeter Fels über eine Straße ins Tal. Und schon einen Tag später krachte es wieder in Tirol: Ein Felssturz auf die Brennerbundesstraße führte zur vorübergehenden Totalsperrung.

Bei kleineren Felsstürzen nur drei Stunden Vorwarnzeit

Professor Michael Krautblatter forscht an der Uni München mit zehn Kollegen zum Thema Hangbewegungen, klettert selbst in den Bergen und arbeitet für die bayerische Regierung an einem Frühwarnsystem für Felsstürze. Wir haben ihn zum Thema befragt.

Herr Professor Krautblatter, ist unsere Wahrnehmung richtig, dass Felsstürze in den Alpen häufiger werden?
Krautblatter: Felsstürze waren schon immer ein häufiges Phänomen. Wir haben aber verlässliche Daten, dass sie in zwei Bereichen tatsächlich deutlich zugenommen haben: In den Alpen taut in einem Bereich zwischen 2.800 und 3.400 Höhenmetern die bisherige Dauerfrostzone auf. Das hat mit dem Klimawandel zu tun und führt zu vermehrten Felsstürzen dort oben. Außerdem haben wir immer öfter heftigen Starkregen, und wo der niedergeht, nimmt der Steinschlag zu.

Wie begegnet Ihre Wissenschaft diesen Gefahren?

Wir arbeiten daran, die Zeichen der Berge besser zu verstehen. Wenn sich Gesteinsmassen in Bewegung setzen, können wir frühzeitig akustische und seismische Signale wahrnehmen. Das ist einfach, wenn es um große Bergstürze mit einer Million Kubikmetern und mehr geht. Das können wir Tage vorher registrieren. Häufiger sind aber kleinere Ereignisse, bei denen sich zwischen zehn und 1000 Kubikmeter Gestein lösen. Da haben wir teilweise nur drei Stunden Vorwarnzeit.

Das ist knapp…

Ja, aber die Warnung lässt sich mittlerweile gut organisieren: Wir können den Empfang von Signalen, die Analyse und die anschließende Warnung automatisieren. Dann werden zum Beispiel Menschen, die in einem betroffenen Gebiet arbeiten, über eine Smartphone-App rechtzeitig gewarnt und können das gefährdete Gebiet verlassen.

Werden als bald an jedem Gebirgshang Messinstrumente installiert sein?

Das ist nicht nötig. Wir überfliegen beispielsweise schon seit langem regelmäßig das Ötztal und die Zugspitze mit einer hochauflösenden Ultracam und werden diese Art der Fernanalysen ausweiten. Die Aufnahmen liefern uns Daten, mit denen wir Gefahrenstellen ausmachen können. Und nur für solche Gebiete erarbeiten wir dann Frühwarnsysteme.

Das hört sich nach einer teuren Angelegenheit an.

In den Alpen stehen derzeit Schutzbauwerke im Wert von etwa einer Milliarde Euro. Unsere Maßnahmen sind da wesentlich billiger. Ein einziger Meter Steinschlagzaun kann leicht 10.000 Euro kosten, der Bau schädigt oftmals das Gelände und führt zu neuen Problemen. Ein Frühwarnsystem dagegen installieren wir für 20. bis 30.000 Euro.

Fünf Tage vor einem Felssturz eine Straße zu sperren, sie danach frei zu räumen und zu erneuern – das ist einfacher und billiger als Verbauen. Wenn man den Tourismus mit einkalkuliert, ist es viel teurer, wenn wir Wege sperren müssten – an manchen Stellen amortisiert sich deshalb eine Investition in Frühwarnsysteme, grob gesagt, schon nach zwei Tagen.

"Das Steinschlagrisiko ist nach wie vor sehr gering"

Der Österreichischer Alpenverein (ÖAV) und der Deutschen Alpenverein (DAV) betreuen in Österreich gemeinsam Wege mit einer Gesamtlänge von 40.000 Kilometern. Peter Kapelari ist Leiter der Abteilung Hütten, Wege und Kartographie beim ÖAV.

Herr Kapelari, dürfen wir uns zum Spazieren, Wandern und Klettern bald nicht mehr in die Berge trauen?

Kapelari: Alpine Gefahren wie Steinschlag waren schon immer da. Man muss mit Verstand in die Berge gehen und sollte sich nicht gerade im Steinschlaggebiet zum Jausen niedersetzen. Solche Passagen muss man morgens oder am Abend durchqueren, nicht in der Mittagshitze, weil da am meisten Steinschlag zu erwarten ist.

Aber die Anzahl der Vorfälle nimmt zu.

Ja, aber aus den Unfallstatistiken sehen wir, dass das Steinschlagrisiko nach wie vor sehr gering ist. Die Gefahr, dass Sie bei der Anfahrt mit dem Auto verunfallen, ist deutlich größer. Trotzdem haben wir das Problem im Blick und sehen uns, wenn nötig, auch nach anderen Trassen und neuen Wegen um.

Gibt es weitere Maßnahmen?

Beispiel Gamsgrabenweg im Bereich der Großglockner-Hochalpenstraße: Das ist ein gefährlicher Steinschlagbereich, der von vielen "Halbschuh-Touristen" begangen wird. Man hat dort einen 800 Meter langen Tunnel gegraben. So viel Aufwand kann man aber nicht überall betreiben. Wo nur Alpinisten unterwegs sind, würde man das nicht machen.

Aber auch die sind in Gefahr …

Ein anderes Beispiel ist die Galtenscharte in Osttirol am Venediger Höhenweg. Hier machen die Hüttenwirte auf die Steinschlaggefahr aufmerksam und geben den Wanderern Helme mit, die sie dann in der nächsten Hütte wieder abgeben können.

Ist es also gefährlicher geworden in den Alpen?

Aus meiner Sicht nicht. Wir dürfen nicht das Prinzip der Verkehrssicherungspflicht auf das Gebirge übertragen: Man kann nicht die Wege besenrein machen und restlos absichern wie einen Autobahnabschnitt. Niemand kann die Verantwortung übernehmen, dass kein Stein runterfällt. Wir sehen verstärkt unseren Auftrag darin, die Gefahren klar zu kommunizieren und ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Es gibt ein gewisses Risiko, dass Brocken runterkommen. Deshalb muss man zum Beispiel aufpassen, dass Touristenprospekte die Dinge nicht zu einfach darstellen.

Als Urlauber muss man also Risiken eingehen, wenn man in den Bergen wandert?

Das war schon immer so. Aber ein viel größeres Risiko als der Felssturz ist der Wettersturz – das wird am meisten unterschätzt. Die Leute haben keine Ahnung, wie schnell es am Berg von plus 20 Grad auf Minusgrade runtergehen kann. Und in der Statistik von Todesfällen im Sommer in den Bergen stehen nach wie vor Herz-Kreislauf-Probleme ganz vorne – die fehlende Kondition also. Das sind Dinge, für die der Berg nichts kann.


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