Carlos Ghosn flieht filmreif in einem Instrumentenkasten vor der japanischen Justiz in den Libanon. Der schwerreiche Ex-Automanager sieht sich als Opfer eines Komplotts - eine Geschichte wie gemacht für Hollywood.

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Noch ist nicht bekannt, welcher Film-Produzent sich gerade die Finger danach leckt. Aber dass die Geschichte von Carlos Ghosn eines Tages verfilmt wird, steht wohl außer Frage.

Im Mittelpunkt steht der einst gefeierte Automanager Ghosn, ein prominenter Kosmopolit mit drei verschiedenen Staatsbürgerschaften (französisch, brasilianisch, libanesisch). Er ist der Drahtzieher des milliardenschweren internationalen Autobündnisses von Renault, Mitsubishi und Nissan. Dank ihm finden alle drei Autokonzerne in die Wachstumszone zurück.

Doch aus dem Star der Branche wird ein Verdächtiger, dem schwerwiegende Vergehen wie Betrug und Veruntreuung zur Last gelegt werden. Ghosn kommt in Untersuchungshaft, wird auf Kaution freigelassen und in den Hausarrest überstellt. Und kurz vor Silvester flieht er auf spektakuläre Art und Weise nach Beirut. Fertig ist der Oscar-Plot.

Schwere Vorwürfe gegen Ghosn - Hausarrest mit strengen Auflagen

Rückblick: Am 19. November 2018 wird Ghosn in Tokio wegen Verstoßes gegen Börsenauflagen festgenommen und angeklagt. Zudem soll er laut Staatsanwaltschaft private Investitionsverluste auf Nissan übertragen haben.

Nur wenige Tage nach seiner Festnahme wird er von Nissan und kurz darauf auch Mitsubishi Motors als Verwaltungsratschef gefeuert. Im Januar 2019 tritt er schließlich auch von seinem Posten als Renault-Konzernchef zurück.

Erst Ende April 2019, nach umfangreichem juristischen Hin und Her, wird Ghosn, der alle Vorwürfe bestreitet, aus der U-Haft entlassen. Gegen Zahlung von umgerechnet 8,2 Millionen Euro Kaution darf er zu Hause in seinem luxuriösen Anwesen im Tokioer Bezirk Minamoto auf seinen Prozess warten, der für das Frühjahr 2020 anberaumt ist.

Allerdings unter strengen Auflagen: unter anderem werden ihm seine drei Pässe abgenommen, um eine mögliche Flucht zu verhindern. Zudem wird die Kontaktsperre zu seiner Frau Carole aufrechterhalten. Erst Ende November 2019, nach rund acht Monaten Funkstille, darf Ghosn mit seiner Gattin eine Stunde lang sprechen – per Videokonferenz und unter Anwesenheit der Anwälte.

Ghosn sieht sich als Opfer der japanischen Justiz

Diskussionen über das japanische Rechtssystem machen international die Runde. Gilt im Kaiserreich die Unschuldsvermutung nicht mehr? Haben Nissan und die Staatsanwaltschaft gemeinsam einen Komplott konstruiert, um zu verhindern, dass der Automanager Japans Autokonzern an Renault "verscherbelt"? Ist Ghosn eine Geisel der japanischen Justiz, wie laut "Süddeutscher Zeitung" sogar einige Menschenrechtler und Rechtsexperten vermuten?

Diesen Umgang wollte sich Ghosn offenbar nicht länger bieten lassen. An Silvester berichten libanesische Medien, der Ex-Manager sei aus Japan geflüchtet. Was einen klaren Verstoß gegen die Kautionsauflagen bedeuten würde. Kurz darauf bestätigt Ghosn, sich jetzt im Libanon zu befinden.

Er sei "nicht länger eine Geisel des manipulierten japanischen Justizsystems", erklärte der frühere Renault-Boss in einer Stellungnahme. Japans Justiz habe ihm grundlegende Rechte verwehrt, das Prinzip der Unschuldsvermutung ignoriert und gegen internationale Abkommen verstoßen. "Ich bin dem Unrecht und politischer Verfolgung entkommen."

Filmreife Flucht im Instrumentenkoffer?

Falls sich Ghosns Flucht nach Beirut tatsächlich so zugetragen hat, wie das libanesische Fernsehen berichtet, wäre wohl selbst James Bond zufrieden. Demnach soll der gebürtige Brasilianer heimlich in einem Instrumentenkasten einer Musikgruppe, die zum Dinner in seinem Anwesen vorgespielt haben soll, zum Flughafen Kansai transportiert worden sein. Per Privatjet ging es dann offenbar erst nach Istanbul und von dort weiter nach Beirut, wo Ghosn ein Luxusanwesen sein Eigen nennt.

Ausgeheckt worden sein soll der Fluchtplan von Ehefrau Carole. Ghosns Anwälte beteuern, selbst von dem Coup ihres Mandaten überrumpelt worden zu sein. "Wir wurden davon völlig überrascht, ich bin sprachlos", sagte Ghosns Hauptanwalt Junichiro Hironaka am Dienstag vor Journalisten in Tokio. Er habe keinen Kontakt zu Ghosn und wisse auch nicht, wie er ihn nun erreichen könne, sagte Hironaka. Er wisse nicht, "wie es nun weitergehen soll".

Das weiß Ghosn vermutlich auch nicht so ganz genau. Aus dem Außenministerium in Tokio hieß es, Japans Regierung sei nun auf Hilfe der libanesischen Behörden angewiesen, da kein Auslieferungsabkommen mit dem Mittelmeerstaat bestehe, wie der japanische Sender NHK berichtete.

Festnahmen in der Türkei, Durchsuchung in Japan

Wie genau Ghosn aus Japan entkam, ist weiter unklar. Der 65-Jährige soll zwei französische Pässe besitzen, von denen er nur einen abgegeben habe. Den zweiten habe er in einer abgeschlossenen Tasche mit sich tragen dürfen, berichtete NHK ohne Quellenangabe. Die französische Agentur AFP meldete, ihr sei dies bestätigt worden. Dem NHK-Bericht zufolge liegt den japanischen Behörden kein Vermerk über eine Ausreise des Ex-Managers vor.

Der libanesische Staatsminister und Präsidentenberater Salim Jreissati betonte gegenüber der libanesischen Zeitung "Al-Nahar": "Alles was wir wissen ist, dass er mit seinem französischen Pass legal am Rafik-Hariri-Flughafen eingereist ist."

Der Libanon schaltete Interpol ein. Die Generalstaatsanwaltschaft habe von der internationalen Polizeiorganisation eine sogenannte Rote Notiz zur Festnahme Ghosns erhalten, zitierte die staatliche libanesische Nachrichtenagentur Ani am Donnerstag Justizminister Albert Sarhan.

In der Türkei sind unterdessen sieben mutmaßliche Helfer festgenommen worden. Darunter seien vier Piloten, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag. Sie würden verdächtigt, Ghosn bei der Flucht mit einem Privatjet von Japan über Istanbul in den Libanon geholfen zu haben. In Tokio durchsuchten Ermittler das Haus Ghosns.

Frankreich würde Ghosn nicht an Japan ausliefern

Sicher fühlen könnte sich der Ex-Manager in Frankreich. Die französischen Behörden wurden zwar nicht über Ghosns Abreise aus Japan informiert, wie es aus dem Außenministerium hieß.

Die Staatssekretärin im französischen Wirtschafts- und Finanzministerium, Agnès Pannier-Runacher, betonte aber: "Wenn Herr Ghosn nach Frankreich käme, würden wir Herrn Ghosn nicht ausliefern, denn Frankreich liefert niemals seine eigenen Staatsangehörigen aus."

Allerdings erklärte sie auch, dass man in Frankreich wütend wäre, wenn ein ausländischer Staatsbürger vor der französischen Justiz fliehen würde. Ghosn stehe nicht über dem Gesetz. Man müsse nun aber erstmal verstehen, was überhaupt passiert sei.

Einer Fortsetzung steht also zumindest aus Hollywood-Sicht nichts im Wege.

Verwendete Quellen:

  • sueddeutsche.de: "Flucht im Instrumentenkasten"
  • Agenturmaterial von dpa und afp
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