Die USA gehen in der Drogenpolitik neue Wege. In immer mehr Bundesstaaten wird der Cannabis-Handel teilweise legalisiert - oder nur noch gering bestraft. In Berlin will der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in einem Modellprojekt den ersten Coffee-Shop Deutschlands eröffnen. Ist das der erste Schritt zur vollständigen Legalisierung von Cannabis in der Bundesrepublik?

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"Ich geh kurz zum Kiosk, die Zeitung holen." "Das Gras ist alle, Schatz - bringst Du noch etwas mit?" Ein Dialog, der in naher Zukunft in Berlin-Kreuzberg zum Alltag gehören könnte. Das Berliner Bezirksparlament Friedrichshain-Kreuzberg will im Görlitzer Park den ersten Coffee-Shop in Deutschland ermöglichen. Cannabis soll dann ganz legal gekauft werden können - wie Kaffee, Zucker oder Alkohol.

"Die Situation im Görli zeigt, dass die Prohibitionspolitik der vergangenen Jahrzehnte gescheitert ist. Wir müssen jetzt ungewöhnliche Lösungen denken", erklärt die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann. Mit dem Begriff Prohibition spielt sie auf die Zeit des staatlichen Alkoholverbots in den Vereinigten Staaten zwischen 1919 und 1933 an. Damals verlagerten sich durch das Verbot die Alkoholproduktion und der Verkauf in die Illegalität.

Eine regelrechte Alkohol-Mafia entstand, die mit illegalem Handel Millionen verdiente. Weniger getrunken wurde indes nicht. Die Prohibition erwies sich als willkommene Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Kriminelle. Die HBO-Serie "Boardwalk Empire" erzählt lustvoll, wie eine ganze Generation von Gangstern und korrupten Politikern durch das Alkoholverbot reich wurde. Mit der Abschaffung der Prohibition endeten auch die illegalen Geschäfte mit dem Alkohol - und mit ihnen die Begleiterscheinungen wie Erpressung, Gewalt und verunreinigte Ware.

"Der illegale Drogenhandel schadet allen!"

Um diese Auswüchse eines illegalen Marktes geht es auch den Befürwortern des Kreuzberger Projektes. "Der illegale Drogenhandel schadet am Ende allen, Konsumenten wie Umfeld", sagte Jonas Schemmel, Fraktionssprecher der Grünen im Bezirk. "Wir wollen endlich Kontrolle über den Handel, um die Menschen vor den negativen Folgen des Schwarzmarktes zu schützen." Ende November 2013 verabschiedete das Bezirksparlament Friedrichshain-Kreuzberg mit großer Mehrheit den parlamentarischen Antrag zum Cannabis-Modellprojekt im Görlitzer Park.

Doch einfach so Drogen legalisieren - das kann auch ein Bezirksparlament mit grüner Mehrheit nicht. In Deutschland ist es verboten, Drogen zu verkaufen. Deshalb hofft der Bezirk auf eine Ausnahmegenehmigung - aus "öffentlichem Interesse". Gemeinsam mit Experten, Beratungsstellen und Anwohnern soll ein Antrag an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) entwickelt und gestellt werden. Auch die Kritiker müssen noch überzeugt werden.

Anstiftung zum Konsum?

"Die Einrichtung eines Coffeeshops wäre nicht weniger als die Kapitulation vor den Verhältnissen", mahnt der Generalsekretär der Berliner CDU, Kai Wegner. Wer glaube, Kriminalität bekämpfen zu können, "indem er kriminelles Verhalten einfach erlaubt, irrt sich". Der Staat dürfe nicht zum Dealer werden. Eine "Anstiftung zum Konsum", nichts anderes wäre ein staatlich lizensierter Cannabisverkauf, sagt Wegner. Und wiederholt damit das jahrzehntelang vorgetragene Argument gegen eine kontrollierte, legale Abgabe von Drogen.

Kontrollierte Abgabe und Ausdünnung des illegalen Drogenmarktes versus einer klaren Abgrenzung des Staates gegenüber Drogen? In dieser Frage gibt den Grünen in Kreuzberg ausgerechnet die Entwicklung in den USA eine willkommene Argumentationshilfe. Wie einst zum Ende der Prohibition fällt in immer mehr US-Staaten das absolute Cannabis-Verbot. Inzwischen ist in knapp der Hälfte aller Bundesstaaten der medizinische Gebrauch der Droge legal. In Colorado ist sogar der private Gebrauch legalisiert worden. Seit dem 1. Januar 2014 dürfen über 21-Jährige Marihuana legal kaufen und konsumieren.

In den USA: Entkriminalisierung des Cannabis-Konsum

Auch in Bundesstaaten, die an dem Verbot festhalten, bewegt sich etwas. Minnesota, Nebraska, Mississippi, North Carolina und Ohio halten zwar an einem Verbot fest - ahnden Verstöße aber nicht mehr mit einer Gefängnisstrafe. Die Argumente für eine Lockerung der Drogengesetze ähneln denen der Grünen in Kreuzberg. Eine Kriminalisierung der Konsumenten und die Existenz eines illegalen Marktes helfe niemanden. Außerdem folge die Anwendung der Drogengesetze rassistischen Mustern. Fast immer seien Schwarze von Festnahmen und Gefängnisstrafen betroffen. Und: Wer wegen Cannabis-Besitz einmal ins Gefängnis kommt, verlässt den Weg in die Illegalität selten wieder.

In Deutschland ist die Situation allerdings eine andere. Während in den USA eine Mehrheit die Legalisierung befürwortet, sprechen sich in Deutschland laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Magazins "Stern" 65 Prozent gegen eine Freigabe von Marihuana und Haschisch aus. Lediglich 29 Prozent sind für eine Legalisierung. Für eine flächendeckende Legalisierung müsste der Bundestag das Betäubungsmittelgesetz ändern. Eine mehrheitsfähige Initiative in diese Richtung ist aufgrund der großen Ablehnung in der Bevölkerung sehr unwahrscheinlich.

Ein Ausnahme-Genehmigung des Verkaufs "zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken" lässt das Betäubungsmittelgesetz allerdings zu. Auf das "öffentliche Interesse" ihres Modellprojektes berufen sich die Kreuzberger - und könnten damit sogar Erfolg haben. Der Coffee-Shop am Görlitzer Park könnte als zeitlich befristetes Modellprojekt Wirklichkeit werden.

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