- Fast 20 Jahre lang waren Frauenhäuser in Afghanistan ein Zufluchtsort für Tausende Mädchen und Frauen, die versuchten, häuslicher Gewalt oder Zwangsheirat zu entkommen.
- Einem Bericht von Amnesty International zufolge ist davon kaum etwas geblieben.
In Afghanistan ist es für weibliche Gewaltopfer seit der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban laut Amnesty International (AI) fast unmöglich geworden, Hilfe zu bekommen. Unterstützungsnetzwerke für Überlebende von Gewalt in Beziehungen oder Zufluchtsorte wie Frauenhäuser seien so gut wie verschwunden, heißt es in einem von der Menschenrechtsorganisation am Montag veröffentlichten Bericht.
Die Taliban haben Mitte August in Afghanistan militärisch die Macht übernommen. Seither haben die Islamisten Frauenrechte merklich eingeschränkt. Dem AI-Bericht zufolge schlossen sie auch Frauenhäuser und entließen Häftlinge aus den Gefängnissen, von denen viele wegen geschlechtsspezifischer Gewaltdelikte verurteilt waren. Ehemalige Bewohnerinnen von Frauenhäusern sowie Mitarbeiter von Schutzeinrichtungen sowie an den Schutzdiensten beteiligte Anwälte, Richter oder Regierungsbeamte, seien nun in Gefahr.
Afghanistan: Neun von zehn Frauen erleben Gewalt in der Partnerschaft
Die Frauenhäuser hätten Frauen und Mädchen zu ihren Familien zurückschicken müssen, andere Opfer seien von ihren Familienmitgliedern gewaltsam weggebracht worden, heißt es in dem Bericht weiter. Wieder andere seien seither auf der Straße gelandet. AI habe zudem glaubwürdige Berichte erhalten, Taliban hätten betroffene Frauen in Gefängnisse gebracht.
AI-Generalsekretärin Agnès Callamard forderte die Taliban auf, die Wiedereröffnung von Notunterkünften zu gestatten und zu unterstützen. Die internationale Gemeinschaft solle solche Schutzdienste zudem sofort und langfristig finanzieren.
In Afghanistan erleben UN-Angaben zufolge neun von zehn Frauen in ihrem Leben mindestens eine Form von Gewalt in der Partnerschaft. Vor der Machtübernahme der Taliban wandten sich jährlich Tausende Frauen an ein landesweites Netz von Frauenhäusern und Dienstleistern, die sie mit Rechtsberatung, Anwälten, medizinischen oder psychosozialer Hilfe unterstützten.
Eine im neunten Monat schwangere Afghanin sagte AI, ihr Mann habe alles aufgehoben, was er finden konnte, und sie damit geschlagen. "Immer wenn er mich schlug, traf sich seine Familie und sah zu. Es passierte fast jeden Tag." AI zufolge suchte die Frau nach einem sicheren Ort gesucht, an dem sie leben konnte. Früher habe es ein Frauenhaus gegeben, aber dort habe man ihr gesagt, es sei geschlossen, man nehme keine neuen Fälle auf.
Frauenministerium und viele Frauenhäuser sind geschlossen
Benafscha Efaf von der afghanischen Frauenrechtsorganisation Women for Afghan Women (WAW) sagte der Deutschen Presse-Agentur, es habe auch jede Menge Gegenwind aus der vorherigen Regierung gegeben. "Aber damals hatten wir immerhin die Unterstützung des Frauenministeriums und vieler Ältester. Das waren Beziehungen, die wir über Jahre aufgebaut hatten." WAW ist eine von sechs Organisationen, die in Afghanistan Frauenhäuser betrieben.
Das Frauenministerium ist mittlerweile von den Taliban aufgelöst, die Frauenhäuser von WAW selbst geschlossen worden. Zuletzt habe man mehr als 300 Frauen und Dutzende Kinder betreut. Als die Sicherheitslage sich zunehmend verschlechtert habe, habe man begonnen, einen umfangreichen Evakuierungsplan umzusetzen. Frauen seien teils in Schnellverfahren in ihre Familien reintegriert worden, wo das nicht gegangen sei, seien sie von den Provinzen nach Kabul gebracht worden.
Efaf sagte, geblieben sei ein Frauenhaus in Kabul mit rund 15 Frauen und vier Kindern. Geblieben seien auch schreckliche Erinnerungen an die Panik unter den Frauen, die sie am Tag des Fall Kabuls miterlebt habe. "Sie hatten nicht nur Angst, dass die Taliban sie töten würden, sondern auch davor, dass die Taliban ihre Ehemänner, Väter und Onkel aus dem Gefängnis entließen."
Sensibilisierungsprogramme werden eingestellt - Frauen sollen sich an Gericht wenden
Eine Frau sei rund eineinhalb Monate, nachdem sie auf eigenen Wunsch zu ihrer Familie zurückgegangen sei, von ihrem Ex-Mann gefunden und in einem Dorf in der Provinz Badachschan getötet worden. Die Zukunft macht Efaf große Sorgen. "Die vergangenen 20 Jahre waren goldene Jahre für die Frauen Afghanistans, wir haben so viele Fortschritte gemacht", sagte sie.
Nun aber seien alle Sensibilisierungsprogramme, die Ausbildung von Frauen oder andere Frauenförderprogramme eingestellt. Die in der Einrichtung in Kabul verbliebenen Frauen und vor allem Anwälte, die Frauen vertreten hätten, seien in Gefahr. Mit den reintegrierten Frauen sei man weiter in Kontakt, aber neue Fälle könnten sie keine betreuen. "Die Arbeit unserer Zentren werden wir nicht so schnell wieder aufnehmen können."
Eine Psychologin einer Schutzeinrichtung sagte Amnesty International zufolge, die Taliban hätten kein Verfahren, wie mit derartigen Fällen umzugehen sei. Taliban-Sprecher Suhail Schahin sagte AI, dass es im Islam keinen Platz für Gewalt gegen Mädchen und Frauen gebe. Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt seien, könnten sich an die Gerichte wenden.
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© dpa
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